Süddeutsche Zeitung

Krippenplatz in München:Protokoll einer schwierigen Suche

Eltern haben einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz - doch das bedeutet nicht, dass sie ihr Kind sofort unterbringen. Im Gegenteil. Manchmal versuchen sogar 80 verzweifelte Eltern, sich bei zwei Erzieherinnen unvergesslich zu machen. Ein Erfahrungsbericht.

Von Inga Rahmsdorf

Viele Samstagnachmittage hockten wir auf winzigen Stühlen und versuchten, einen guten Eindruck zu machen. Wir legten Tabellen an, putzten uns vor Besichtigungsterminen die Schuhe und verschickten freundliche Mails, in denen wir beteuerten, dass wir weiterhin großes Interesse an einem Betreuungsplatz haben. Wir versicherten, dass wir sehr gern alle vier Wochen für 30 Kinder einkaufen und kochen würden, handwerklich ausgesprochen begabt seien. Wir hörten uns Ausführungen über Cook-and-freeze-Essen an, als unser Kind noch so klein war, dass es noch nie etwas anderes als Milch zu sich genommen hatte. Bei der Frage im Anmeldebogen "Wächst Ihr Kind zweisprachig auf?" überlegten wir, ob es von Vorteil sein kann, wenigstens Plattdeutsch anzugeben. Fast eineinhalb Jahre lang haben wir einen Krippenplatz in München gesucht.

Seit vergangenem Jahr gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, überall entstehen neue Einrichtungen. Doch wer in München einen Platz für sein einjähriges Kind sucht, muss es bei jeder Einrichtung einzeln anmelden. Es gibt Hunderte verschiedene Kriterien, nach denen Plätze vergeben werden, die meisten bleiben für suchende Eltern ein Geheimnis.

Der reinste Irrsinn

Der Stadtrat hatte sich Mitte März dafür ausgesprochen, eine zentrale Anmeldestelle zu schaffen, an die sich Eltern künftig wenden können, wenn sie einen Krippen-, Kindergarten oder Hortplatz suchen. Die Schaffung dieser Stelle wird nicht einfach, weil es so viele unterschiedliche Modelle für die Betreuung gibt. Aber sie könnte den Irrsinn, dem Eltern in München ausgesetzt sind, beenden.

Wissenschaftler geben Eltern oft den Rat, bei der Auswahl einer Krippe auf die Qualität zu achten. Man solle nach dem Betreuungsschlüssel fragen, der pädagogischen Ausrichtung, der Ausbildung der Mitarbeiter und dem Essen. Außerdem solle man sich die Krippe genau anschauen. Das sind sicherlich sinnvolle Hinweise, wenn man sich denn einen Krippenplatz aussuchen kann. Doch das Problem bei der Suche nach einem Platz für unseren Sohn war, dass wir nicht diejenigen waren, die Ansprüche stellen konnten. Wir waren Bittsteller. Einen Krippenplatz zu suchen ist in München etwa so, wie eine Wohnung zu suchen. Es dauert lange, es ist aufwendig, es kostet Nerven, man braucht sehr viel Glück und am Ende muss man nehmen, was man kriegen kann. Auswählen kann man nur unter den privaten Einrichtungen, wenn man bereit ist, horrende Summen zu zahlen.

Lohnt sich ein Umzug?

Ein Abschnitt in unserer Tabelle trug die Überschrift: private Krippen. Je länger die Liste wurde, je häufiger wir Preise um die 1000 Euro pro Monat eintrugen und je mehr Zeit verstrich, in der wir keinen Platz in einer öffentlichen Krippe fanden, desto ernsthafter fragten wir uns, ob wir eigentlich völlig wahnsinnig sind, trotz Kind in München zu bleiben. Wir dachten darüber nach, nach Berlin zu ziehen, wo keiner unserer Freunde mehr als 200 Euro im Monat für einen Kitaplatz zahlt. Oder nach Norddeutschland in die Nähe der Großeltern, die bei der Betreuung helfen könnten. Vielleicht auch in irgendeine andere schöne Region, wo man allein für das Geld, das wir in München für Wohnung plus privaten Krippenplatz zahlen müssten, schon ziemlich gut leben kann.

Zugegeben, anfangs waren wir ziemlich naiv. Es waren nur noch wenige Wochen bis zum Geburtstermin, als wir mit dem Anmeldemarathon begannen. Viel zu spät. Aber das Kind war ja noch nicht einmal geboren, es gab noch keinen Namen, das Thema Krippe war noch weit weg. Einer von uns hätte sich einen Montagnachmittag freinehmen müssen, um uns bei einer städtischen Krippe anzumelden. Am ersten Tag meines Mutterschutzes ging ich zu einer städtischen Krippe. Wegen Krankheit heute keine Anmeldungen, stand auf einem Zettel an der Tür. Eine Woche später hing der Zettel immer noch dort. Am dritten Montag zog ich brav meine Schuhe am Eingang aus und setzte mich zu den anderen wartenden Eltern vor das Büro.

Die Leiterin der Krippe schaute mit einem mitleidigen Blick auf meinen Bauch. In zwei Jahren hätte ich vielleicht Chancen auf einen Platz, sagte sie, setzte mich auf die Warteliste und verabschiedete mich mit dem Hinweis: "Da können Sie besser Lotto spielen." Die nächste Krippe, zu der ich ging, wurde von einem Verein getragen. Zu unserem Wunschtermin, Herbst 2013, sollten vier Plätze frei werden. Wir standen auf Platz 146 der Warteliste.

Wichtig ist, dass man die Spielregeln herausfindet. Jede Krippe hat ihre eigenen. Und wichtig ist, dass man diese Regeln sofort in seine Tabellen einträgt, weil man bei 40 bis 50 Krippen schnell den Überblick verliert. Da kann es fatal sein, wenn man nicht mehr weiß, ob man nun alle zwei Wochen anrufen oder alle drei Monate einen Brief schicken muss. Denn wenn man einen Rückmeldetermin nicht einhält, wird man von der Warteliste gestrichen. Dabei gibt es zwei Phasen, die zu unterscheiden sind: Phase eins ist die Anmeldeprozedur, für die man die Frage klären muss: Wie komme ich auf die Warteliste? Phase zwei ist die anspruchsvollere, für die man wissen muss, wie man sein andauerndes Interesse überzeugend bekundet.

Es gibt Krippen, bei denen man nur Chancen hat, wenn man immer wieder anruft und nachfragt. Und es gibt solche, bei denen man für immer verloren hat, wenn man anruft. Es gibt Einrichtungen, die im Internet Besichtigungstermine anbieten, bei denen man sich dann auf die Warteliste setzen lassen kann. Es gibt auch Krippen, bei denen man erst einmal anrufen muss, um sich für einen Besichtigungstermin anzumelden. Und es gibt Elterninitiativen, bei denen man sich per Mail anmelden muss - bitte auf gar keinen Fall anrufen oder vorbeikommen! Wenn man Glück hat, wird man dann zu einem Tag der offenen Tür eingeladen, der etwa alle sechs Monate stattfindet. Der läuft so ab, dass 80 verzweifelte Eltern versuchen, sich bei zehn Eltern und zwei Erziehern der Krippe unvergesslich zu machen. Als ich mich einmal mit einer Mutter unterhielt, die zur Initiative gehörte, stellten wir fest, dass wir einen gemeinsamen Bekannten hatten. Was für ein Erfolgserlebnis! Das dachte ich. Geholfen hat es nicht. Die Krippe hat sich nie wieder gemeldet. Anrufen durfte man nicht. Unsere Mails blieben unbeantwortet.

Die Zuversicht schwindet

Im ersten Jahr unserer Suche hat sich eine einzige Krippe zurückgemeldet. Als unser Kind drei Monate alt war, rief uns eine Elterninitiative an. Sie hätten überraschenderweise einen Platz frei. Ab sofort. Die Öffnungszeiten: 8 bis 15 Uhr und freitags bis 12 Uhr. Wir sagten ab, denn wir waren noch zuversichtlich, irgendetwas würde schon noch klappen. Doch nichts klappte. Irgendwann standen wir dann vor der Option: einer von uns kann auch nach Ende der Elternzeit erst einmal nicht arbeiten - was wir nicht wollten und auch in München nicht finanzierbar wäre. Oder wir unterschreiben einen Vertrag bei einer privaten Krippe - was eigentlich auch nicht finanzierbar ist - und hoffen darauf, dass wir dann möglichst bald wechseln können.

Also meldeten wir uns bei einer privaten Krippe an. 900 Euro für fünf Tage die Woche plus Essensgeld. Vier Wochen bevor die Eingewöhnungszeit begann, rief uns eine andere Einrichtung an. In zwei Monaten sei ein Platz frei. Die Krippe gehörte nicht zu unseren Favoriten, aber war in Ordnung, der Preis lag zwischen privat und städtisch. Wir kündigten bei der ersten Krippe, zahlten die Bearbeitungsgebühr. Der Beginn für die Eingewöhnung verschob sich, wir mussten die Elternzeit verlängern. Von der Stadt München erhielten wir ein Schreiben, nachdem wir uns an die zentrale Krippenkummerstelle gewandt hatten. Wir könnten einen Platz in einer städtischen Krippe bekommen. In zwei Monaten. Die Einrichtung sei noch im Bau. Und am anderen Ende der Stadt.

Letztendlich hatten wir großes Glück. Eine Woche vor der Eingewöhnung erfuhren wir von Freunden, dass in einer Krippe ein Platz frei geworden sei. Es waren Ferien, die 150 Bewerber vor uns auf der Warteliste waren wohl noch im Urlaub. Wir unterschrieben sofort. Es stellte sich als doppeltes Glück heraus. Nicht nur, weil die Einrichtung zu unseren Favoriten zählte, sondern auch, weil dort die Kinder bis betreut werden, bis sie in die Schule kommen - und nicht nur, bis sie drei Jahre alt sind. Sonst müssten wir uns nun wieder auf die Suche machen - nach einem Kindergartenplatz.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2014/wolf
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