Süddeutsche Zeitung

Krimipfarrer Felix Leibrock:Spaß am klaren Wort

Felix Leibrock provoziert gern - und ist einer, der Werbung machen kann. Auch für sich selbst, den Krimipfarrer. Zum Schreiben kommt er allerdings nur im Urlaub.

Von Gerhard Fischer

Am Sendlinger Tor ist die Chance groß, dieses auffällige Auto zu sehen. Es ist ein Wagen mit Werbung, aber es geht nicht um einen Gartencenter oder einen Mäusezirkus. Auf diesem Auto steht: Der Krimipfarrer. Felix Leibrock, ein Pfarrer, der Krimis schreibt, macht hier Werbung in eigener Sache. "Der Krimipfarrer - das ist die Marke, die ich setzen will", sagt er.

Leibrock arbeitet in der Herzog-Wilhelm-Straße am Sendlinger Tor, er ist Geschäftsführer beim Evangelischen Bildungswerk. Der Pfarrer sitzt in seinem Büro im dritten Stock, er erzählt von seinem Auto, mit dem er zur Arbeit fährt, und davon, dass er lange in Weimar gelebt hat. Dann stellt er eine Gegenfrage und hört zu. Es fällt auf, dass dieser Mann aufmerksam und neugierig ist. Er ist sehr präsent - in dem Sinne, dass er nicht mit den Gedanken woanders ist, nicht in der Zukunft oder beim letzten Spiel des FC Bayern, sondern genau hier: in der Gegenwart, in diesem Gespräch, in diesem Zimmer.

Es geht um einen Schatz aus der Nazi-Zeit

Das Zimmer ist noch ein wenig kahl. Ordner sind im Regal aufgereiht, auf dem Tisch steht ein Computer, an der Wand hängt ein Kalender. Er hat wohl noch nicht die Zeit gefunden, Bilder anzubringen, dabei geht es in seinem Krimi "Todesblau" um Gemälde, und ganz besonders um eines, das "Blaue Kathedrale" heißt und von Lyonel Feininger stammen soll. Nota bene: stammen soll. Leibrock hat das erfunden. Aber wer weiß, vielleicht gibt es so ein Bild wirklich. "Feininger ist mit dem Rad in der Gegend um Weimar unterwegs gewesen und hat Kirchen gezeichnet", sagt Felix Leibrock.

Sein Krimi spielt in Weimar. "Es ist aber kein Regionalkrimi", sagt Leibrock. "Er könnte in jeder Stadt spielen, und die Leute sprechen auch nicht Mundart." Felix Leibrock sagt es nicht offen, dafür ist er zu höflich, aber mit der Masse (besser: dem Zuviel) an Regionalkrimis will er offenbar nicht in einen Topf geworfen werden. Sein Satz "Er könnte in jeder Stadt spielen" braucht allerdings einen Zusatz: in jeder Stadt im Osten. Schließlich geht es, unter anderem, um DDR-Kinderheime. Aber vor allem geht es um einen Schatz, wie ihn Cornelius Gurlitt auch hatte: um Nazi-Raubkunst. Leibrock hatte sein Buch bereits fertig, als die Sache mit Gurlitt öffentlich wurde. "Da fühlte ich mich bestätigt", sagt der Pfarrer. "Ich denke, dass auf vielen Dachböden noch einiges herumliegt."

"Ich mache beruflich das Falsche"

Felix Leibrock wurde 1960 in Neunkirchen geboren, er wuchs in einem kleinen Dorf im Saarland auf, studierte Germanistik und Geschichte, arbeitete bei Hugendubel und machte schließlich in Amberg ein Antiquariat auf, am 9. November 1989. An diesem Tag kamen nur vier Leute vorbei, drei von ihnen sind Bekannte Leibrocks. Er ging abends heim und sah im Fernsehen, wie die Mauer fiel, wie fröhliche Menschen tanzten und sangen. Er dachte sich: "Ich bin am falschen Ort. Und ich mache beruflich das Falsche."

An Weihnachten 1989 las er frühe Predigten von Albert Schweitzer, es sind sehr einfache Ansprachen und Leibrock dachte sich: Das kannst du vielleicht auch.

Es gibt andere, die fast 30 sind und gerne einen neuen Weg gehen würden, aber sie kämen nicht auf die Idee, Pfarrer zu werden; sie würden ins Ausland gehen, noch mal studieren, umschulen oder reich heiraten. Aber Felix Leibrock hatte etwas tief in sich drin, das ein Jahrzehnt lang verschüttet gewesen war: eine Verbindung zur Religion. Er war als Jugendlicher regelmäßig in die Kirche gegangen, mit 18 war er sogar im Pfarrgemeinderat gewesen. Dann, nach dem Abitur, waren andere Dinge wichtiger. Aber jetzt kam die alte Liebe wieder. An Weihnachten 1989 dachte sich Leibrock: "Ich gehöre in den kirchlichen Kontext." Er studierte Theologie und landete schließlich in Weimar - erst als Pfarrer, dann als Kulturdirektor, schließlich als Pfarrer in Apolda im Kreis Weimar.

Felix Leibrock spricht mit den Händen: faltet sie, spreizt die Finger, öffnet die Hände. Vielleicht weiß er, dass diese Gesten Offenheit signalisieren. Vielleicht macht er es auch instinktiv. Dazu formuliert er klar. Seine Sätze haben keine Hänger, sie haben keine Äh-Pausen. Er ist eben ein Profi, was Sprache angeht, er hält Lesungen, er moderiert Literatur-Abende, er predigt. Und er macht dabei kuriose Sachen.

Unglücke, die Gottes Existenz in Frage stellen

Einmal hat er mit dem Inhalt des Stephen-King-Buches Revival eine Predigt gehalten: Ein Priester hat Frau und Tochter bei einem Unfall verloren und nennt zehn weitere Unglücke, die Gottes Existenz in Frage stellen. Einmal sucht ein Tornado eine Gemeinde in den USA heim, fast alle Gebäude werden zerstört, aber kein Mensch wird verletzt. Die Einwohner halten daher einen Dankgottesdienst ab. Während der Messe fegt ein neuer Tornado über die Gemeinde hinweg. Er zerstört die Kirche - und tötet 40 Menschen, die darin beten. Kann es Gott geben, wenn so etwas passiert?

Leibrock hat drei der zehn Unglücke in einer Predigt in Thüringen vorgetragen - ohne zu sagen, dass er King kopiert. Er war gespannt auf die Reaktionen. In Kings Buch verlassen die Leute empört die Kirche, als sie hören, dass Gott angezweifelt wird. In Thüringen blieben sie sitzen. Leibrock fragte die Leute, warum sie nicht protestierten. "Wir wollten warten, was noch kommt", hörte er als Antwort. Nach dem vierten oder fünften Fall enthüllte Leibrock, dass er aus Kings Buch zitiere; danach wurde eifrig diskutiert. Keiner ging.

Und wieso fällt der Pfarrer Leibrock nicht vom Glauben ab, nach solchen Schicksalen? "Erstens ist Glaube immer auch ein Mysterium", sagt er, "man weiß eben nicht alles, und deshalb muss man vertrauen und hoffen." Und zweitens gebe es diese Bibelstelle von Paulus: Gottes Wege sind unergründlich.

Leibrock predigt also manchmal unkonventionell. Man kann auch sagen: Er provoziert ein wenig. Er machte auch mal eine Wallfahrt nach Worms, um Geld für die Sanierung einer Kirche zu sammeln. Er erzielt damit Aufmerksamkeit. Ob es ihm persönlich wichtig ist, wahrgenommen zu werden (was auch nicht verwerflich wäre), oder ob er es tut, weil es der Kirche gut tut: geschenkt. Wichtig ist, was dabei herauskommt.

Nun also Krimipfarrer. Er hätte es dabei belassen können, Pfarrer ohne den Zusatz "Krimi" zu sein, nur Geschäftsführer, bloß Literatur-Abende zu veranstalten. Aber er schreibt auch noch.

Vielleicht ist Felix Leibrock ein Getriebener, einer, der aus seinem Leben rauspressen will, was geht. Für sich. Aber auch für andere. Er sagt, dass er mit seinen Büchern Bildung vermitteln wolle.

Im Jahr 2000 fing er an, Bücher zu schreiben, es wurden in den folgenden Jahren: religiöse Geschichten zur Nacht, Luther-Romane, ein Libretto für ein Musical, ein autobiografisches Buch über seine Studienzeit und auch schon mal ein Krimi, der bei einem kleinen Verlag erschien. "Aber man kommt mit kleinen Verlagen schwer voran", sagt Leibrock. Es freut ihn, dass "Todesblau" nun bei einem großen Verlag erschien, bei Droemer Knaur.

Zu Hause in einer fiktiven Welt

Leibrock hat einen Fulltime-Job beim Bildungswerk. Wie geht das mit dem Krimi-Schreiben überhaupt? Rein zeitlich. "Ich schreibe im Block", sagt Leibrock, das heißt: Der Urlaub geht dafür drauf. Aber das macht nichts. "Es ist Spaß und Entspannung, keine Arbeit", sagt Leibrock, "und das Schöne ist, wie man eintaucht in diese andere, fiktive Welt." Eine Welt, die man als Autor selbst erschaffen kann und in der man eine Zeit lang zu Hause ist. "Da hat man Glücksmomente, wie andere bei Hobbys", sagt Leibrock. Ist es das Glück, die Zeit zu vergessen? Ist es so, wie man es als Kind erlebte: Wenn man nach dem Mittagessen auf den Fußballplatz ging und kickte und die Zeit verrann, ohne dass man es merkte, und schon war es 18 Uhr und die Mutter rief "Abendessen ist fertig"? Leibrock nickt. "Genau so ist es", sagt er.

Bleibt die Frage, warum er jetzt ausgerechnet Krimis schreibt. "Ich habe als Pfarrer eine Grundeinstellung zum Thema Gewalt", sagt Leibrock, "ich glaube, der Mensch ist per se nicht gewalttätig." Er, Leibrock, halte Freuds These vom Aggressionstrieb für widerlegt. Es gebe vielmehr Ursachen, weshalb der Mensch gewalttätig werde: Demütigung, Ausgrenzung, Provokation, Gier. Für einen Krimiautor sei es spannend zu ergründen, was einen Täter zum Täter mache. In seinem Buch "Todesblau" ist es Gier: die Gier nach einem wertvollen Gemälde.

Im Frühjahr soll sein zweiter Weimar-Krimi erscheinen, mit den gleichen Ermittlern Sascha Woltmann und Mandy Hoppe. In Leibrocks alter Gemeinde werden sie schon darauf warten. Die Thüringer Allgemeine druckte neulich eine "Bestseller-Liste" des Buchladens in Apolda ab: Dort stand "Todesblau" vor "Herbstblond", der Autobiografie von Thomas Gottschalk.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2015
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