Süddeutsche Zeitung

Kriegsverbrecher-Prozess:"Wir waren halt noch richtige Kerle"

Lesezeit: 2 min

Überraschende Wende: Ein bisher unbekannter Zeuge behauptet, der mutmaßliche Kriegsverbrecher Scheungraber habe mit dem Massaker geprahlt.

Alexander Krug

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef Scheungraber, 90, hat nach zehn Monaten Dauer eine überraschende Wendung genommen. Am Donnerstag trat im Schwurgericht ein Zeuge auf, der behauptete, in einem Gespräch habe sich Scheungraber mit einem Massaker an italienischen Zivilisten im Zweiten Weltkrieg gebrüstet. "Wir waren halt noch richtige Kerle", zitierte der Zeuge den Angeklagten.

Den Verteidigern stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben, als Eugen S. in den Zeugenstand gerufen wurde. Der 64 Jahre alte Berufsfachschullehrer hatte sich erst am Freitag vor einer Woche bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, um eine Aussage zu machen. Er habe lange mit sich gerungen, seine Frau habe ihm sogar abgeraten. "Es war mein eigener Entschluss", meinte Eugen S.

Der ehemalige Wehrmachtsleutnant Scheungraber ist angeklagt, im Juni 1944 in Falzano di Cortona (Toskana) nach einem Partisanenüberfall den Befehl zu einem Vergeltungsschlag gegeben zu haben, bei dem Zivilisten in ein Haus gesperrt wurden, das dann gesprengt wurde. Der wegen 14-fachen Mordes angeklagte Scheungraber bestreitet die Vorwürfe. Seine Anwälte hatten am ersten Prozesstag im September 2008 erklärt, ihr Mandant habe "keinerlei Kenntnisse" von dem Geschehen.

Zeuge Eugen S. hatte in den siebziger Jahren als Geselle in der Möbelschreinerei Scheungrabers in Ottobrunn gearbeitet. Der Angeklagte habe einmal ("es könnte auf einer Betriebsfeier gewesen sein") von seinen Kriegserlebnissen erzählt und darüber, dass er nicht mehr nach Italien reisen dürfe, weil er dort in Abwesenheit zum Tode verurteilt sei. Als Grund habe er angegeben, es habe einmal einen Partisanenüberfall gegeben, bei dem "einige Kameraden hinterrücks" erschossen worden seien. Danach habe man "ein gutes Dutzend Männer erschossen und in die Luft gejagt".

Er habe der Geschichte damals keine besondere Bedeutung beigemessen, so der Zeuge, wenngleich er überrascht gewesen sei: "Wenn ich so etwas gemacht hätte, würde ich damit nicht angeben." Er habe die Geschichte vergessen und sich erst kürzlich wieder daran erinnert, als er einen Radiobeitrag über den Prozess gehört habe. Über die konkrete Beteiligung Scheungrabers wisse er nichts, aber: "Er hat es mir so dargestellt, als ob der Befehl von ihm gekommen wäre. Er sagte, dann habe ich sie erschießen lassen. Das klingt für mich so, als wenn es seine Entscheidung war."

Gerüchte darüber, dass Scheungraber gerne mit Kriegserlebnissen prahlte, gab es schon mehrmals. Eugen S. ist der erste, der sie benennt. Die drei Verteidiger halten ihn für unglaubwürdig, Anwalt Klaus Goebel machte eine abwertende Handbewegung nach dem Motto, alles Blabla. Zuvor allerdings hatte er noch heftig gegen die Aussage protestiert. Er finde es "nicht in Ordnung", dass die Verteidigung keine Vorabinformation über den Zeugen erhalten habe. Vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl musste er sich dann belehren lassen, dass die Kammer sehr wohl einen Verteidiger vorab informiert habe. "Wenn Sie sich nicht untereinander absprechen, können wir dafür nichts", sagte Götzl. Die Anwälte verzichteten letztlich auf dezidierte Nachfragen.

Die Vertreterin der Nebenklage, Gabriele Heinecke, forderte im Anschluss an die Aussage von Eugen S., einen weiteren ehemaligen Mitarbeiter Scheungrabers als Zeugen zu laden. Auch mit ihm soll der Angeklagte "häufig" über seine Kriegserlebnisse in Italien gesprochen und von "Handgranaten in Häuser werfen und ähnlichem" erzählt haben. Die Staatsanwaltschaft will den Zeugen zum nächsten Termin am 22. Juli ausfindig machen und vorladen lassen. Die Kammer wies alle Prozessbeteiligten darauf hin, dass an diesem Tag auch die - unterbrochenen - Plädoyers fortgesetzt werden sollen. Als vorerst letzter Termin mit einer möglichen Urteilsverkündung ist der 11. August vorgesehen.

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SZ vom 17.07.2009
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