Süddeutsche Zeitung

Kriegsverbrecher-Prozess:Das Blutbad in der Casa Cannicci

Josef S. soll 1944 ein Massaker in Italien befohlen haben - ein Gutachter hält ihn für verhandlungsfähig.

Alexander Krug

63 Jahre nach Kriegsende wird München wohl noch einmal zum Schauplatz eines großen Kriegsverbrecher-Prozesses. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist der wegen Mordes angeklagte ehemalige Leutnant Josef S. laut einem ärztlichen Gutachten verhandlungsfähig. Der heute 89-Jährige aus Ottobrunn soll 1944 die Ermordung von 14 italienischen Zivilisten angeordnet haben. Es wird damit gerechnet, dass die Anklage in den kommenden Tagen zugelassen wird. Voraussichtlich im September soll der Prozess beginnen.

Josef S. führte im Sommer 1944 die erste Kompanie des Gebirgs-Pionier-Bataillons 818, das in Mittelitalien den deutschen Rückzug sichern sollte. Am 26. Januar 1944 wurde in Falzano, einem kleinen Weiler unweit der Kleinstadt Cortona in der Toskana, eine deutsche Streife von Partisanen aus dem Hinterhalt angegriffen. Zwei Soldaten wurden dabei getötet.

Als Vergeltung erschossen ausgeschickte Suchtrupps zunächst drei Männer und eine 74-jährige Frau, die ihnen zufällig über den Weg liefen. Am 27. Juni trieben die Deutschen zwölf Männer auf dem Dorfplatz zusammen und stellten sie an eine Wand. Ein deutsch sprechenden Mann durfte gehen, die anderen elf wurden in das Haus von Ferdinando Cannicci gesperrt.

Die "Casa Cannicci" wurde dann mit Dynamit in die Luft gejagt. Anschließend feuerten die Soldaten mit Maschinengewehren in die Trümmer. Gino M., damals 15 Jahre alt, überlebte als einziger das Massaker. Er ging später zu den Carabinieri und zählt heute zu den wenigen noch lebenden Augenzeugen des Verbrechens.

Die Staatsanwaltschaft München I macht Josef S. als Kompanieführer für das Massaker verantwortlich, gemeinsam mit dem Bataillonskommandeur Major Herbert St., der allerdings nicht verhandlungsfähig ist. Die Anklage lautet auf 14-fachen Mord. Josef S. war schon im September 2006 von einem italienischen Militärtribunal in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Als deutscher Staatsbürger wird er aber nicht ausgeliefert. Im Wege der Rechtshilfe wurde er jedoch damals von deutschen Ermittlern vernommen. In dem mehr als 100 Seiten starken Urteil der Militärrichter von La Spezia ist seine Aussage dokumentiert. Danach hatte sich Josef S. 1937 freiwillig zu den Gebirgsjägern in Mittenwald gemeldet und war dann schnell zum Unteroffizier und Offizier aufgestiegen.

Nach der Teilnahme am Polen- und Russlandfeldzug war er in Italien vorübergehend Ordonanzoffizier des hitlertreuen Generalfeldmarschalls Albert Kesselring, der ab 1943 in Italien mit zahlreichen Befehlen die Brutalisierung des Krieges auch gegen die Zivilbevölkerung anheizte.

So versprach er jedem Soldaten Straffreiheit bei Exzesstaten und forderte getreu Hitlers "Bandenbekämpfungsbefehls" ausdrücklich die Erschießung von "allen männlichen Einwohnern" eines Ortes, der Partisanen unterstützt oder von dem aus Attacken gegen deutsche Soldaten geführt werden. Der Befehl Kesselrings datiert vom 20. Juni 1944, auffallend ist der zeitliche Zusammenhang zum Massaker in Falzano.

Josef S. bestreitet die Vorwürfe der Anklage bis heute. Nach Kriegsende zog er nach Ottobrunn, wo er als honoriger Bürger galt. 20 Jahre saß er für die CSU im Gemeinderat, war Ehrenkommandant der Feuerwehr und bekam 2005 wegen besonderer Verdienste die "Bürgermedaille" überreicht.

Der Kontakt zu seinen "alten Kameraden" riss nie ab. Man traf sich regelmäßig in einer Gaststätte in Thalkirchen und mitunter auch auf der größten deutschen Veteranenfeier, die seit mehr als 50 Jahren jeweils zu Pfingsten in Mittenwald stattfindet. 2007 wurde Josef S. dort gesehen, nur wenige Monate später ließ er sich offenbar vorsorglich für einen möglichen Strafprozess ein Attest ausstellen.

Dieses legten seine Verteidiger bei Anklageerhebung auch vor, doch die Richter der zuständigen 1. Strafkammer wollten sich selbst ein Bild von S.' Gesundheitszustand machen. Nach Informationen der SZ wurde Josef S. für einige Tage in einer Klinik aufgenommen. Das jetzt vorliegende Gutachten bescheinigt ihm fast uneingeschränkte Verhandlungsfähigkeit. Es ist aber damit zu rechnen, dass mit Rücksicht auf sein hohes Alter mit Pausen und eventuell nur einige Stunden am Tag verhandelt wird.

Mit dem Verfahren gegen Josef S. wird erstmals einem Mitglied der Gebirgstruppe in München der Prozess gemacht. Die Kriegsverbrechen deutscher Soldaten an Italienern nach deren Austritt aus der Hitler-Koalition im September 1943 waren bis Anfang der 90er Jahre noch weitgehend unerforscht, insbesondere die Verbrechen der Gebirgsjäger, die vor allem in Südosteuropa eine Blutspur hinterließen (siehe die soeben erschienene Studie von Hermann Frank Meyer, "Blutiges Edelweiß").

Nach Erkenntnissen des Kölner Historikers Carlo Gentile liegt die Beteiligung der Gebirgstruppe an Kriegsverbrechen in Italien im "Wehrmachtsdurchschnitt". Rund 10000 italienische Zivilisten wurden von 1943 bis 1945 Opfer der deutschen Besatzung. Ein Drittel davon ermordeten allein die SS-Divisionen "Herman Göring" und "Reichsführer SS". Strafrechtlich wurden diese Verbrechen so gut wie nie geahndet. Erst in jüngster Zeit wurden die Ermittlungen intensiviert, es kam zu einigen wenigen Anklagen. Hauptproblem der Ermittler ist dabei der Nachweis des Mordes.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.180078
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.05.2008
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.