Süddeutsche Zeitung

Kreativwirtschaft:Kunst und Knete

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Wichtiger Wirtschaftsfaktor: Jürgen Enninger leitet das städtische Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft

Von Franz Kotteder

Tja, wie stellt man sich so einen Oberkreativen eigentlich vor? So ein bisschen wild natürlich, immer quirlig und aktiv, lässiger Pferdeschwanz vielleicht, Künstlerschal elegant um den Hals gewickelt und dauernd einen provokanten Spruch auf den Lippen? So ein bisschen wie der frühere Chef des Hauses der Kunst, also Chris-Dercon-mäßig? Jemand, der weiß, wie man Wirbel macht, jedenfalls.

Jürgen Korbinian Enninger, 47, ist der Leiter des städtischen Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft, das seinen Sitz im künftigen Kreativquartier in einer ehemaligen Kaserne an der Dachauer Straße 114 hat. Er ist sozusagen der städtische Oberkreative. Aber mit den oben geschilderten Klischees, die über Kreative nun einmal so umgehen, hat er eher wenig gemein. Man tritt ihm wohl nicht zu nahe, wenn man sagt: Dass er mal Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit an der Katholischen Universität Eichstätt studiert hat, passt irgendwie gar nicht so schlecht zu seinem Typ. Liegt ja auch nahe, wenn man ausgerechnet in Pfarrkirchen geboren wird und dann in Marktl am Inn, Geburtsort von Papst Benedikt, aufgewachsen ist. Aber Enninger hat eben nicht nur ein Diplom als Religionspädagoge, sondern auch noch eines als Kulturwirt.

Und so wird dann schon klarer, warum er an diesem Donnerstag im Einstein-Kulturzentrum mit auf dem Podium sitzt, wenn der neue "Datenreport 2015 zur Kultur- und Kreativwirtschaft in der Metropolregion München" der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Das städtische Kompetenzteam hat die Studie miterstellt, zusammen mit dem Wirtschafts- und Kulturreferat, dem Verein Europäische Metropolregion München, dem Film-Fernseh-Fonds Bayern sowie der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Die Untersuchung ist 2012 schon einmal erschienen und war mit ein Grund dafür, warum das Kompetenzteam Mitte 2014 überhaupt erst ins Leben gerufen wurde. Zwei Jahre zuvor hatte sich durch den Datenreport erst so richtig herausgestellt, welche Bedeutung die Münchner Wirtschaftsregion für die deutsche, ja europäische Kultur- und Kreativwirtschaft überhaupt hat. Die Politik hatte es gar nicht für möglich gehalten, dass München in diesem Wirtschaftssektor, der von der Bildenden Kunst über Musik und die Medien bis hin zur Werbung, Architektur und Computerspiele-Firmen reicht, europaweit unter den Top Ten ist, noch weit vor Frankfurt und Berlin. Um diesen obendrein recht zukunftsträchtigen Sektor noch mehr zu unterstützen und den Vorsprung womöglich noch auszubauen, gründete die Stadt schließlich das Kompetenzteam. Fachleute aus drei verschiedenen Referaten - Kultur, Arbeit und Wirtschaft, Kommunalreferat - arbeiten hier zusammen, und Enninger ist ihr Chef.

Das hat natürlich mit seinem anderen Studienfach zu tun, das ihm dann irgendwann sehr schnell zum bedeutenderen geworden ist. Nach dem Studium arbeitete er eine Weile auch als Verlagsassistent, hängte ein Praktikum in Hongkong dran und fand schließlich, dass die Welt so bunt und schön war, dass er noch ein weiteres Studium vertragen konnte. Diesmal waren es Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien mit Schwerpunkt Südostasienkunde an der Passauer Uni. Studienaufenthalte führen ihn in dieser Zeit ausgerechnet nach Kanada und in die Niederlande, was nicht daran liegt, dass er damals etwa seinen Kompass verloren hätte. Jürgen Enninger geht halt beruflich nur manchmal etwas verschlungene Wege, wie es zu sein scheint.

Nach dem Studium zog es ihn dann zum Münchner Musiklabel Enja, das hauptsächlich Jazz verlegt. Musik war ihm immer schon sehr wichtig - Enninger spielt nach wie vor sehr gern Klavier in seiner Freizeit. Nach ein paar Jahren, 2006, war er dann auch geschäftsführender Gesellschafter von Enja. Aber auch da, wo andere ein Lebensziel drin gesehen hätten, geriet er schon bald wieder auf Abwege. In diesem Fall über den Branchenverband VUT, dem Verband unabhängiger Musikunternehmen. Für den begann er sich ehrenamtlich zu engagieren, erst in Bayern und dann bundesweit.

Irgendwann hat er dann gemerkt, dass ihm das Vernetzen und Beraten Spaß macht und dass man damit schon etwas Erreichen konnte für die vielen kreativ Tätigen, die im Praktischen oft etwas Nachhilfe gebrauchen können und sich manchmal schwer tun mit der Verwertung ihrer eigentlich kostbaren Güter. Und als die Bundesregierung 2010 beschloss, ein Kompetenzzentrum des Bundes für Kultur- und Kreativwirtschaft einzurichten, kam sie auf Jürgen Enninger als ihren Mann in Bayern. Das ist übrigens wörtlich zu nehmen, denn von da an war Enninger fast vier Jahre lang alleine für ganz Bayern zuständig, reiste durch den Freistaat, um Unternehmen und Einzelpersonen der Kreativbranche zu beraten, welche Fördermöglichkeiten es für sie gibt, wie sie ihr Potenzial noch besser nutzen konnten, und wo und wie sie Gleichgesinnte finden konnten. "Ich wurde geradezu überschwemmt mit Anfragen", sagt Enninger heute über diese Zeit.

Als das Programm 2014 auslief, war es fast zwangsläufig, dass er zur Stadt wechselte - denn das Kompetenzteam führt im Grund die Arbeit des Bundes weiter, nur bezogen auf die Großregion München und nicht als One-Man-Show, sondern mit Enninger und sechseinhalb Vollzeitstellen. Das sind schon ganz andere Möglichkeiten. Münchens Zweiter Bürgermeister und Wirtschaftsreferent Josef Schmid (CSU) war jedenfalls schon zum Amtsantritt im September 2014 voll des Lobes über Enninger: "Das ist der beste Mann, den wir für den Job kriegen konnten."

Der beste Mann ist jetzt noch ein wenig mit den Mühen des Alltags beschäftigt. "Hauptsächlich geht es den Leuten in München um die Raumfrage", sagt der Teamchef, "gerade Künstler und Kreative tun sich da natürlich besonders schwer, günstige Arbeitsräume zu finden." Da kann er mit seinen Leuten zwar Tipps geben und vielleicht auch Zwischennutzungen vermitteln, das Problem wird aber auch er nicht lösen können. "Wenn hier im Kreativquartier einmal die Jutier- und die Tonnenhalle für Künstler und Kreativberufe zur Verfügung stehen", sagt er, "dann wird sich schon manches verändern." Bis dahin ist er damit beschäftigt, mögliche Partner zusammenzubringen und weiter die Menschen zu beraten, wie sie ihre Talente so nutzen können, dass sie davon auch leben können. Mindestens das.

So sitzt er nun also im zweiten Stock der ehemaligen Kaserne in seinem Büro und berät und vernetzt Kulturschaffende und Kreative aller Sparten und Sorten. Wie er es eingerichtet hat, beschreibt den Bürobewohner schon ganz gut in seiner ganzen Bandbreite. An der Wand hinter der Sitzecke, wo er Besucher empfängt, sieht man alte Stiche von der Münchner Altstadt. An der Wand gegenüber hängt ein riesiges, meterlanges Poster, das aufzeigt, von welchen Variablen die Musikszene in München so abhängt und was sie alles braucht. Es sieht beinahe aus wie ein Graffiti, ist aber zugleich höchst informativ. Poster dieser Art lässt Enninger bei allen Treffen der verschiedenen Sparten zeichnen. Den "Mann mit der Wandzeitung" nennen ihn manche deshalb schon. Man könnte auch sagen: Ein bisschen verrückt ist er in seiner ruhigen, besonnenen Art halt Gott sei Dank doch auch noch.

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Quelle:
SZ vom 28.01.2016
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