Zwei Bodyguards in goldenen Anzügen mit grünen Krawatten und Sonnenbrillen betreten die Bühne, kehren wortlos den Boden mit einem Besen, bis der auseinanderfällt. Sie treten ab, geben die Bühne frei für die 38 Ensemblemitglieder des Stücks „Unapologetic - Born to Shine“ aus der Schweiz, mit dem das 14. Rampenlichter-Festival eröffnet.
Aus der sich in glitzernden Kostümen bewegenden Menge der Tänzer und Tänzerinnen schält sich eine junge Frau mit grünen, langen Haaren. Sie erhebt ihre Stimme, um von ihrem Werdegang zu singen und zu erzählen. Immer sei sie still gewesen und habe nichts gesagt, habe alles unterdrückt aus Angst, es könnte Chaos geben. Auf „Schwyzerdütsch“, erklärt sie, denn aufgewachsen sei sie im tiefen Baselland - mit Stiefeln, Bäumen und Gülle. Hart war das.
Jetzt aber sei sie von einer Nullnummer zur Heldin geworden: „Ich han es Aug vom ne Tiiger/ E Kämpferin, tanze ums Füür/Will ich bin e Gwünnerin/Und du ghörsch mich brülle/Lüter, lüter als en Loi“ - übersetzt: „Ich habe ein Auge von einem Tiger/ Eine Kämpferin, tanze ums Feuer/ Weil ich bin eine Gewinnerin/ Und du hörst mich brüllen/ Lauter, lauter als ein Löwe“.
„Unapologetic“ soll ausdrücken, dass es keine Entschuldigung geben wird - und auch keine erwartet wird. Entsprechend erkunden die Darstellenden, queere Jugendliche und Erwachsene aus Basel, Zürich, Luzern und Bern in ganz unterschiedlichen Bewegungen und Choreografien ihren persönlichen Umgang mit dem eigenen Körper, hinterfragen ihr Selbstbild und die Schönheitsnormen in der Popkultur. Das Projekt entstand unter der Leitung von Arlette Dellers als Kooperation von „Flux crew“ mit dem „lila. queer festival“.
Im Laufe der Aufführung werfen die Darstellenden mit ihren Glitzer-Kostümen die Erwartungen von außen ab. Darunter auch eine einbeinige Tänzerin, die ihre Krücken beiseite legt und ihre berührende Performance am Boden fortsetzt. „D'Facette vo Schönheit sind unendlich wie s'Meer“ - „Die Facetten der Schönheit sind unendlich, wie das Meer“, sagt die Sängerin.
Energetisch aufgeladen präsentiert die Gruppe jamaikanische Dancehall-Moves, urbane Afro-Steps, HipHop und Modern Dance. Auch wenn sie zwischendurch zu dem eingespielten Song „Candyman“ einen Rückfall erleiden - einander in Selfie-Posen aus dem Scheinwerferlicht verjagen, für ein paar Sekunden Berühmtsein im Netz - gelingt ihnen schließlich ein Miteinander, das jedem und jeder Raum gibt.
„Die Förderung von Nachwuchs im kulturellen Bereich ist mir ein großes Anliegen“, hatte Münchens neuer Kulturreferent Marek Wiechers zuvor bei einem Podiumsgespräch mit Stadträtin Barbara Likus (SPD) gesagt. Und betont, dass junge Menschen für ihn „keine Randfiguren sind, sondern zentrale Stimmen besitzen, auf die wir hören sollten“. Alexander Wenzlik, künstlerischer Leiter des Rampenlichter-Festivals, hatte seinerseits hinzugefügt, er halte es mit den Worten der legendären amerikanischen Modern Dance-Choreografin Martha Graham: „Kunst ist für uns ein heiliger Raum. Nicht weil die Tänzer und Tänzerinnen heilig sind, sondern weil es ein Ort ist, der mit Hingabe und Leidenschaft gestaltet wird“.

Noch bis 23. Juli ist nun zu erleben, wie rund 160 junge Künstler und Künstlerinnen von elf Tanz- und Theatergruppen aus Deutschland, der Schweiz, England und der Ukraine mit ihren Beiträgen das Kreativquartier in einen solchen Kunst-Ort verwandeln. Etwa mit den „Besten Beerdigungen der Welt“ am 19. April: Die Gruppe vom Theater Lübeck gestaltet das Bilderbuch von Ulf Nilsson als tänzerischen Dialog über den Tod und das Leben: Ausgehend von der Frage, warum viele Erwachsene verstummen, wenn es um den Tod geht, nähern sich die jungen Darsteller spielerisch einem ernsten Thema: An einem langweiligen Tag gründen sie ein Beerdigungsinstitut - um für alle toten Tiere, die sonst keiner beachtet, die besten Beerdigungen der Welt auszurichten.

Eine andere Herangehensweise an den Tod wählen die Mitwirkenden des ukrainischen Theaterstücks „VIY“ am darauffolgenden Abend. Das Stück basiert auf der gleichnamigen Gothic-Horror-Novelle, die 1835 vom ukrainischen Schriftsteller Nikolay Gogol geschrieben wurde. Die haarsträubende Geschichte beginnt in der Nähe von Kiew, als eine Gruppe von Seminarstudenten aus der Stadt in den Sommerferien betrunken durch die Landschaft zieht. Sie verirren sich und verbringen eine Nacht in der Gesellschaft einer hageren Hexe. Es kommt zu einer Schlägerei, und einer der Studenten, Khoma, ermordet die Hexe. Es stellt sich jedoch heraus, dass er in Wirklichkeit die schöne Tochter eines Gutsbesitzers getötet hat, und nun muss er drei Tage lang mit ihrer Leiche in einer Kirche ausharren, um ihre Seele vor bösen Geistern zu beschützen.
Im Zentrum der diesjährigen Festivalausgabe steht erstmals ein thematischer Schwerpunkt, „DemokrARTie“, ein Austausch über Kunst und Demokratie, wie Alexander Wenzlik eingangs erklärte. Wie der funktionieren kann, war schon am Eröffnungsabend zu erleben, als die Zuschauer Fragen wie „Kennen Sie in ihrer Heimat öffentliche Räume, die Jugendliche selbst gestalten können?“ mit „viele“, „wenige“ oder „keine“ beantworten sollten. Indem sie bei der jeweils gewählten Antwort aufstanden. Kaum überraschend tendierten die Antworten hier zu „wenige“.
Auch der Münchner Beitrag „Demokra…Was?“ widmet sich dem Thema. Am 21. Juli fantasiert das Tanzstudio Movingheads in einer frei erfundenen Geschichte darüber, wie Demokratie entstanden sein könnte. Sie zeigt ein Königspaar, das mangels eigenen Nachwuchses mit der Suche nach passenden Nachfolgern beginnt. Im Anschluss diskutiert die Autorin Gilda Sahebi mit Jugendlichen unter dem Titel „DemokrARTie – Kunst der Beteiligung“ über Möglichkeiten, sich mit künstlerischen Mitteln in die Gestaltung von Demokratie und Gesellschaft einzubringen.
14. Rampenlichter Festival, bis 23. Juli, Theater Schwere Reiter, Pathos Theater und die Räume der Halle6

