SZ-Serie "Kreativquartiere in Bayern":Bollwerk für Lichtgestalten und -gestalter

SZ-Serie "Kreativquartiere in Bayern": Die denkmalgeschützte Kaponniere mit der Nummer 94 beherbergt die Kultur- und Kreativwerkstatt Kap94.

Die denkmalgeschützte Kaponniere mit der Nummer 94 beherbergt die Kultur- und Kreativwerkstatt Kap94.

(Foto: Kap 94)

In der ehemaligen Festung Kap94 in Ingolstadt gehen technisch und künstlerisch Begabte eine gelungene Symbiose ein.

Von Magdalena Zumbusch, Ingolstadt

Technik und Kunst: An sich ein Klassiker der Gegensatzpaare. Technikaffine Menschen haben oft nicht unbedingt eine künstlerische Begabung. Umgekehrt sind künstlerisch veranlagte Menschen nicht typischerweise Technik-Profis. Das sind natürlich grobe Verallgemeinerungen, und Ausnahmen bestätigen sowieso immer die Regel. Aber irgendwie weiß man doch noch aus der Schulzeit, dass an gewissen Begabungszusammenhängen was dran ist: Die Physik- und Mathe-Leistungskursler waren meistens auch gute Sportler, aber hatten auf Kunst null Lust, wäre zum Beispiel ein Erfahrungssatz. Ingolstadts Kulturverein "Kap94" überwindet den Schulzeiten-Erfahrungssatz: Ohne viel Aufhebens helfen die Mitglieder mit technischen Berufen (und von denen gibt es einige im Kap94, sicher mehr als im durchschnittlichen Kunstverein) den Künstlern des Kap-Netzwerks, wenn die sich Konzepte ausgedacht haben, die sie bei der Realisierung dann doch technisch überfordern. Und dann gehen im Kap auch Künstler ein und aus, die das Klischee widerlegen - oder die Ausnahme der Regel sind, wie man's eben sehen will: Technisch und künstlerisch Begabte, die an der Schnittstelle der beiden Welten arbeiten.

Veranstaltungen auf dem grünen Dach der Festungsanlage - eigentlich eher Gewinn als Notlösung

Als das Kap im Dezember 2015 frei geworden war, fand sich eine Gruppe Ingolstädter Haupt-, Nebenberufs-, und Freizeit-Kreativer zusammen, um etwas zu machen aus dem Ort. Auf drei Seiten vom Künettegraben umgeben, liegt die denkmalgeschützte Kaponniere (Festungstechniker-Deutsch für einen Verteidigungsbau) mit der Nummer 94. Mehrere Arbeitsräume gruppieren sich um einen stimmungsvollen Veranstaltungsraum. Um diesen Raum dreht sich in der "Kultur-und Kreativwerkstatt Kap94" viel. Nicht umsonst "Werkstatt" genannt, bietet das Kap zwar einerseits Arbeitsraum für Künstler. Weil es aber nicht unbegrenzt Platz gibt in dem kompakten Festungsgebäude, ist die Einrichtung in erster Linie ein Treffpunkt und Veranstaltungsort. So trifft es das Kap besonders hart, dass es seine Innenräume momentan sperren muss: Das Bauamt hat eine Brandschutz-Überholung angeordnet. Die Rettung des Kaps war in diesem Sommer sein Dachgarten: Auf dem Festungsbau wuchs lange, was wollte. Der verwilderte Garten wurde inzwischen von Kap-Mitgliedern gepflegt und mit einer selbstgebauten Bar und einer überdachten Bühne eingerichtet. So kann das meiste erst mal draußen stattfinden, und das Kap-Leben muss nicht völlig brachliegen- bis es zu herbstlich-ungemütlich wird, dann muss man weitersehen.

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(Foto: SZ-Karte)

Eine Reihe von Kabarett-, Lesungs- und Musikabenden fand hier in den vergangenen Monaten statt. Auftreten durften in diesem Jahr bekannte Gesichter der bayerischen Kabarett- und Musikszene wie Björn Puscha oder Michael Sailer. Eine noch laufende wöchentliche Veranstaltung wurde in Zeiten strenger Abstandsregeln eingeführt und ist durch die Ausnahmelage des Kaps möglich: Musiker aus verschiedensten Bereichen spielen an Sonntagen in einem der straßenzugewandten Fenster des Kaps - auf der anderen Seite des Festungsgrabens sind Liegestühle für die Zuhörer aufgebaut. Jeder vorbeilaufende Interessierte, der einen Platz ergattert, darf sich dazusetzen und ein Gratis-Freiluft-Konzert erleben.

Mit seinen DJ-Abenden knüpft das Kap außerdem an die Tradition der Adresse an: Bevor er zur Kreativ-Kultur-Stätte wurde, hieß der Bau mit den schalldämpfenden Mauern "Batterie94" und war eine Disco, die alles angezogen haben soll, was Ingolstadt an Verruchtheit so zu bieten hat. Angeknüpft wurde da kürzlich zum Beispiel durch den Ingolstädter Sound-Künstler Bernhard Hollinger, der inzwischen in Berlin lebt, dem Kap aber zumindest bei Heimatbesuchen die Treue hält und beim letzten Besuch einen Lo-Fi-Abend auf die Beine stellte. Lo-Fi, das steht für "Low Fidelity", was eigentlich nur so viel heißt wie "niedrige Produktionsqualität": Alles klingt etwas gedämpft, man hört stellenweise Imperfektionen. Der Sound soll einen Gegenpol bilden zur kalten Perfektion heutiger Mainstream-Musik, improvisierter und entspannter klingen. Mit einem Lo-Fi-Produzenten hat das Kap sicher eins der technischeren Berufsbilder aufgetrieben, die die Musikwelt so zu bieten hat. Also zurück zur schon angerissenen Vermittlerrolle zwischen Kunst und Technik.

Einige Kap-Mitglieder haben technische Berufe - und tragen mit ihrem Können enorm bei

In der technikaffinen Audi-Hauptstadt Ingolstadt liegt wenigstens etwas näher als sonst, dass unter den Kaplern mit nicht-kreativem Brot-Job auch Techniker sind. Dieses Know-how aus technischen Berufsfeldern war schon bei vielen Projekten unverzichtbar, berichtet Johannes Greiner, Gründungsmitglied und seit vergangenem Jahr zusammen mit Mona Huber Vereinsvorstand. So entstehen mit der Hilfe eines elektrotechnisch ausgebildeten Kap-Mitglieds etwa die Steampunk-inspirierten "Insekten"-Leuchten des Künstlers Tom Parthum. Der Kap-Kollege übernimmt die Verkabelung, den Rest macht Parthum selbst - so perfekt, dass die Leuchten am Schluss fast wie maschinell gefertigt aussehen. Die Bauelemente lassen vermuten, dass alleine im Zusammensuchen geeigneter Einzelteile für die Leuchten schon Einiges an Arbeit steckt: Aus Aluminium-Gewürzschaufeln des Metallwarenherstellers Wilesco ist etwa der Panzer der Leuchte "Butterfly" zusammengeschraubt. Die darunter liegenden Plastikschaufeln hat Parthum bei einem Unternehmen gefunden, das Apotheken mit Labor-Technik beliefert. Als Fühler und Kabelführungen wurden biegsame Schwanenhälse eingesetzt. Die Füße des Schmetterlings sind selbst gefertigt, wie auch die Flügel aus Acrylglas.

SZ-Serie "Kreativquartiere in Bayern": Der Künstler Tom Parthum baut Steampunk-inspirierte Insektenleuchten, bei der Verkabelung hilft ein Kollege aus dem Kap 94.

Der Künstler Tom Parthum baut Steampunk-inspirierte Insektenleuchten, bei der Verkabelung hilft ein Kollege aus dem Kap 94.

(Foto: Tom Parthum)

Ein beeindruckendes technisches Können bringt auch Markus Jordan mit, Teil des harten Kerns des Kaps und an sich auch neben dem Lichtkünstler-Dasein künstlerisch tätig: als Requisiteur im Stadttheater. Trotzdem ist er im Kap das Paradebeispiel für einen, der beides kann, Kunst und Technik. Wie plötzlich Teil eines "Wo ist Walter"-Suchbilds geworden, fühlt man sich in Jordans Atelier, das wie das Kap zur alten Stadtmauer Ingolstadts gehört und in dem er öfter mal auch die Nacht durcharbeitet. Jordans Stücke drehen sich um technische Ideen, die er mit großem Perfektionismus umsetzt. Während der Pandemie entstand sein als "Licht am Ende des Tunnels" betitelter leuchtender "Hyperboloid". So nennt sich die geometrische Form, die entstünde, würde man zwei miteinander an den Rändern durch Schnüre verbundene Kreise ineinander verdrehen, erklärt er. Die "Mae West", das aus schwarzen Stäben konstruierte Kunstwerk am Münchner Effnerplatz zum Beispiel ist ein (Riesen-)Hyperboloid. "Das Labor", eine große Sammlung seiner perfektionistisch umgesetzten technischen Ideen, war jüngst im Stadtschloss Ingolstadts zu sehen.

Doch bei allen leidenschaftlich durchgearbeiteten Nächten, bei aller Begeisterung für die Sache, die man im Kap spürt, wird im Gespräch mit den Kap-Künstlern auch klar, wie schwer und ernüchternd es oft ist, vom Künstler-Dasein zu leben, vor allem seit Corona. Manche versuchen, sich für eine Veränderung im Großen einzusetzen: Parthum ist Initiator einer Petition, die einen Wertschätzungsbeitrag für Kunst und Kultur als allgemeine steuerliche Abgabe fordert. Aber vorerst ist auch der starke Zusammenhalt im Kap eine Erleichterung. Von der starken Gemeinschaft erzählen einem die Kapler alle, man erahnt sie aber auch, wenn man hört, wie die Projekte im Kap zustande kommen. Man ist im Kap immer offen dafür, die Gemeinschaft zu erweitern: Jeder soll kommen und mitmachen dürfen, solange umsetzbare Vorschläge auf den Tisch gebracht werden. Irgendwo ist das eine "klassische Kulturzentrums-Philosophie" - aber was bei vielen Einrichtungen nur leere Parole ist, wird nach allem, was man sieht und hört, im Kap wirklich gelebt - mit beeindruckend professionellem Output.

Kap94, Jahnstraße 1a in Ingolstadt, Telefon 0841/88681580

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