Krankenhaus Dritter Orden:Fehler mit fatalen Folgen

Erst stellten die Ärzte im Münchner Krankenhaus Dritter Orden die Diagnose zu spät, dann behandelten sie das Baby zu zögerlich: Seither ist das Mädchen schwerbehindert. Nun muss die Klinik ein hohes Schmerzensgeld zahlen.

Ekkehard Müller-Jentsch

Zu spät haben die Ärzte im Münchner Krankenhaus Dritter Orden bei einem erst sechs Monate alten Baby die richtige Diagnose gestellt: eine Entzündung des Gehirns durch Herpes-Viren. Und sie haben das Kind danach außerdem zu zögerlich behandelt. Die heute Zehnjährige aus einer Münchner Nachbargemeinde ist seither schwerbehindert und wird wohl immer auf dem geistigen Niveau eines Kleinkindes bleiben. Das Landgericht München I hat die Klinik deshalb zur Zahlung von 300.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.

Krankenhaus Dritter Orden: Hirnhautentzündung nach Herpes-Viren lautete die Diagnose. Doch für das damals sechs Monate alte Mädchen kam sie zu spät. Seither ist das Kind schwerbehindert.

Hirnhautentzündung nach Herpes-Viren lautete die Diagnose. Doch für das damals sechs Monate alte Mädchen kam sie zu spät. Seither ist das Kind schwerbehindert.

(Foto: Robert Haas)

Das Baby war im Oktober 2002 von einem Notarzt mit Verdacht auf Hirnhautentzündung in das Krankenhaus gebracht worden. Schon bei der Aufnahme war bemerkt worden, dass die "komplizierten Fieberanfälle" auf Störungen einer bestimmten Hirnregion zurückzuführen sind - Fachleute sprechen von "fokaler Symptomatik". Wie später ein Gerichtsgutachter feststellte, hätten angesichts solcher epileptischer Krampfanfälle die behandelnden Ärzte "von vornherein die Verdachtsdiagnose einer viralen Herpes-Enzephalitis zu stellen gehabt".

Die Klinikmediziner verteidigten dagegen ihre damalige Diagnose: Eine virale Herpes-Enzephalitis sei extrem selten, während die bakterielle Hinhautentzündung 200 mal häufiger zu verzeichnen sei. Fachärztliche Leitlinien zur Behandlung hätten außerdem damals noch nicht existiert. Die Eltern hatten im Namen ihrer Tochter Klage gegen das Krankenhaus erhoben. Denn sie wird zeitlebens auf intensive Betreuung angewiesen sein - mit heute noch gar nicht überschaubaren Kosten.

Zudem verlangten sie Schmerzensgeld. "Man hätte unser Kind von vornherein parallel auch auf ein virales Geschehen hin behandeln müssen", sagten sie in der Verhandlung. Dies sei aber erst nach drei Tagen geschehen. Ungeachtet der Seltenheit des Krankheitsbildes müsse bereits bei einem Verdacht der Entzündung des Gehirns durch Viren "umgehend und volldosiert" der Arzneistoff Aciclovir eingesetzt werden, bestätigte dann auch der vom Gericht bestellte Medizinexperte den Richtern der Arzthaftungskammer. Der rechtzeitige Beginn der Behandlung sowie die richtige, hohe Dosis sei von Anfang an entscheidend. Dies zu verkennen, verstoße gegen elementare medizinische Grundkenntnisse, sagte der Sachverständige.

Tatsächlich war das Kind dann aber nur mit der Hälfte der angemessenen Dosis behandelt worden. Sie hätten Bedenken gehabt, weil die Funktionsfähigkeit der Baby-Nieren zu diesem Zeitpunkt fragwürdig gewesen sei, verteidigten sich die Klinikärzte: Deshalb durfte die Gabe des Medikaments "nur vorsichtig erfolgen". Dem ehemaligen Chefarzt der beklagten Klinik war dabei anzumerken, dass er über das Schicksal des Kindes überaus erschüttert ist.

Der Gutachter beharrte vor Gericht darauf, dass alles einzig und allein von der frühzeitigen und hoch dosierten Aciclovir-Therapie abhänge. Es wäre auf jeden Fall besser gewesen, diese sofort einzuleiten und bei einem Negativbefund wieder abzusetzen, als zu riskieren, zu spät zu beginnen. Die 9. Zivilkammer erklärte bei der Urteilsbegründung, dass es unerheblich sei, ob das betroffene Kind überhaupt seinen Zustand jemals wahrnehmen könne.

Angesichts der in schwerstem Maße eingeschränkten Lebensperspektive sei hier ein Schmerzensgeld von 300.000 Euro angemessen. Die Klinik wurde zudem dazu verurteilt, auch alle zukünftigen Schäden zu tragen, soweit sie nicht von Sozialversicherungsträgern übernommen werden (Az.: 9 O 9447/09). Ob die Klinik dieses Urteil vor dem Oberlandesgericht München anfechten wird, ist noch offen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: