Krankenhäuser:Was die Chef-Behandlung kostet

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  • Knapp zehn Prozent der Bevölkerung sind sich sicher, dass sie als Privatversicherte besser behandelt werden.
  • Anreizsysteme verleiten Chefärzte dazu, möglichst oft im Operationssaal zu stehen.
  • Während eine Klinik für gesetzlich Versicherte fallbezogene Pauschalen verlangt, können Chefärzte bei Privatpatienten den 2,3-fachen oder gar 3,5-fachen Gebührensatz abrechnen.

Von Werner Bartens

Die Medizin in Deutschland leidet an etlichen Gebrechen, zwei davon haben mit Vorurteilen der Patienten zu tun: Erstens sind sich knapp zehn Prozent der Bevölkerung sicher, dass sie als Privatversicherte besser behandelt werden. Und noch mehr Menschen glauben, dass ihnen eine Chefarzt-Behandlung die optimale Therapie garantiert. Dabei wissen Ärzte wie Pflegepersonal genau, dass es von Vorteil sein kann, sich nicht vom Chef behandeln zu lassen. Manchmal operiert der Oberarzt besser, oder der altgediente Stationsarzt ist der einfühlsamere Doktor, der zudem mehr Erfahrung in der Behandlung chronisch Kranker hat. Der Chef muss schließlich die Klinik leiten, forschen, Kongresse besuchen und repräsentieren - da ist er am Skalpell oder vor dem Arzneischrank manchmal aus der Übung.

ExklusivKlinikum rechts der Isar
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Die Vorwürfe wiegen schwer: Das Klinikum rechts der Isar in München kassierte von Patienten und Versicherungen erhöhte Gebühren für Operationen durch den Leiter der Chirurgie - die dieser allerdings gar nicht vorgenommen haben kann.

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Trotzdem gibt es unheilvolle Anreizsysteme, die den Chefarzt dazu verleiten, möglichst oft im Operationssaal und OP-Bericht zu stehen - so wie in dem am Montag bekannt gewordenen Fall am Klinikum rechts der Isar, wo der Chefarzt der Chirurgie-Abteilung für mehrere Eingriffe als Operateur aufgeführt wurde, obwohl er bei diesen gar nicht dabei war. Während eine Klinik für gesetzlich versicherte Patienten fallbezogene Pauschalen bekommt, egal von wem sie behandelt werden, gibt es Ermessensspielraum für Privatpatienten. Chefärzte können den 2,3-fachen oder gar 3,5-fachen Gebührensatz abrechnen, wenn sie dies mit mehr Zeitaufwand oder einem komplizierten OP-Zugang begründen. Patienten fragen selten nach, worin die Schwierigkeiten bei ihnen bestanden, und meist lässt sich im Nachhinein schwer nachweisen, dass der Aufschlag nicht gerechtfertigt war. Das Geld bekommt die Klinik, oft fließt der Großteil auch direkt an den Chefarzt, sofern dieser zur - welch schönes Wort - "Privatliquidation" berechtigt ist.

Was sich für die Klinik rechnet, soll sich auch für den Chefarzt rechnen

Ein weiterer Grund dafür, dass Chefärzte gerne selbst Hand anlegen, auch wenn sie eigentlich gerade zur Tagung müssten, ist das Bonussystem. Mehr als die Hälfte aller bestehenden und fast alle neuen Chefarztverträge enthalten einen Passus über Zusatzzahlungen in Höhe von 20 000 bis 50 000 Euro, sollte diese lukrative Untersuchung oder jener aufwendige Eingriff mehr als 50- oder 70-mal pro Jahr durchgeführt werden. Was sich für die Klinik rechnet, soll sich auch für den Chefarzt rechnen. Man muss kein schlechter Mensch sein, um in Versuchung zu geraten, einem Patienten gegen Jahresende, wenn der Bonus lockt, noch zu einer Operation zu raten.

Kommt es zum Eingriff, sind die Operationsberichte wichtige Dokumente. Patienten können sie anfordern. Assistenzärzte weisen damit nach, dass sie genug Erfahrung haben, um die Facharztprüfung abzulegen. Für Haftungsfragen spielen sie eine wichtige Rolle. Zumeist werden sie vom Operateur noch im OP diktiert oder gleich im Anschluss verfasst. Wie sonst will sich der Arzt bei drei, vier oder fünf Eingriffen am Tag merken, was während der Operation geschah, und noch im Kopf haben, ob der Situs, wie das eröffnete Operationsgebiet von Chirurgen genannt wird, Überraschendes bereithielt?

Besonderheiten werden im OP-Bericht vermerkt

OP-Berichte sehen von Klinik zu Klinik anders aus, doch allen ist gemeinsam, dass dort detailliert das operative Vorgehen und der Verlauf geschildert werden. Besonderheiten werden vermerkt, das weitere Procedere sowieso. Immer sind der erste Operateur, weitere Operateure, Assistenten und Anästhesisten genannt, häufig wird die Zeitdauer notiert und manchmal, welcher Arzt welchen Teil des Eingriffs übernommen hat. Für das Diktat oder die Niederschrift ist in der Regel der erste Operateur verantwortlich.

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Dass sich dieser manchmal mit dem schwierigsten Teil der Operation begnügt und Assistenten danach Routinehandgriffe ausführen und "zumachen", ist üblich. Sie müssen das Nähen ja auch lernen. Ihre persönliche Beteiligung legen manche Chefärzte allerdings sehr elastisch aus. So wie jener Anästhesie-Chef, der in jedem Operationssaal Überwachungskameras installieren ließ und behauptete, er war immer dabei: Schließlich habe er von seinem Kontrollzentrum aus alle Eingriffe einsehen und bei Bedarf eingreifen können.

© SZ vom 30.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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