Kranfahrer Günther über den Dächern Münchens:Immer oben auf

"Als Kranfahrer bist immer der Depp": Günther leistet in 70 Metern Höhe bei 40 Grad Schwerstarbeit. Ein Besuch in seiner Krankabine bietet spannende Einblicke in einen harten Job und liefert eine Antwort auf die Frage, was Torhüter und Kranfahrer gemeinsam haben.

Patrick Schultz

Bei der Arbeitskleidung ist der Günther Minimalist: Nur mit einer blauen Unterhose und einer verspiegelten Pilotenbrille bekleidet sitzt er in seiner Kranführerkabine; was will er auch machen, wenn es in der kleinen Blechkapsel hoch über der Baustelle am Karlsplatz schon vormittags um die 40 Grad heiß ist?

Kranfahrer Günther über den Dächern Münchens: Kranfahrer Günther an seinem Arbeitsplatz hoch über den Dächern von München (Foto: Stefan Bertram)

Kranfahrer Günther an seinem Arbeitsplatz hoch über den Dächern von München (Foto: Stefan Bertram)

(Foto: Stefan Bertram)

"Kommt's rein", sagt Günther, wenn man durch die Dachluke in die Kabine klettert, und sein Akzent verrät, dass er aus Österreich kommt. Günther - einen Nachnamen brauche man auf dem Bau nicht, sagt er -, Günther also sitzt breit in seinem Kranführerstuhl, die grauen Haare und den Schnurrbart kurz gestutzt. In den Händen hat er die zwei Steuerknüppel, mit denen er seinen Kran dreht und Betonteile, Eisenstangen, Dämmplatten und alles, was sonst so bewegt werden muss auf der Baustelle, in die Höhe hebt. Für Smalltalk hat er keine Zeit, aber er scheint sich doch zu freuen, dass mal jemand vorbeischaut.

Wer in 60 Metern Höhe arbeitet, empfängt nicht viele Gäste. Ein ungeübter Kletterer braucht etwa zehn Minuten für den Weg zu Günthers Kabine hinauf, aufmerksam beobachtet von den Bauarbeitern: Die geben später zu, dass sie Wetten abschließen, wie weit er wohl kommen wird. Denn früher oder später hält jeder von Günthers Besuchern kurz inne auf der gelben Stahlleiter, auf deren Sprossen zwei Füße gerade so nebeneinander Platz haben. Dann schaut er sich kurz um und hat plötzlich die Turmuhr der Frauenkirche auf Augenhöhe oder der Kran neigt sich zur Seite, weil Günther ein schweres Betonteil hebt.

Statistiker haben sicher irgendwann ausgerechnet, dass eine Autobahnfahrt deutlich gefährlicher sei als eine Kranbesteigung, und tatsächlich leben auf der Baustelle die Gerüstbauer gefährlicher als der Kranführer. Solche Zahlen beruhigen allerdings nur bedingt, wenn man durch das Metallgitter unter den Füßen 50 Meter tief auf eine Betonlandschaft herunterblickt, auf der die Arbeiter in ihren Plastikhelmen wie gelbe Punkte wirken.

"Heute soll ja immer Einzug sein, kaum dass wir das Fundament gegossen haben"

Der Neubau, den der Bauherr Bayerische Hausbau das "Joseph-Pschorr-Haus" getauft hat, wird einmal fünf Stockwerke hoch sein; Mango und Sport Scheck wollen unter anderen hier einziehen. Fünf Kräne stehen an der Neuhauser Straße gleich am Karlsplatz, Günther steuert Kran 3, den höchsten des Quintetts: Ein 70 Meter hoher "Wolff 7031". Mehr als 50 Meter ist der Arm des Krans, der sogenannte Ausleger, lang, bis zu 4,5 Tonnen kann er heben.

Gerade werden Tiefgarage und Untergeschosse gebaut, bis zur Einweihung dürfte aber noch ein gutes Jahr vergehen. "Heute soll ja immer Einzug sein, kaum dass wir das Fundament gegossen haben", sagt Günther. Seit 28 Jahren lenkt er Kräne, und der Stress, klagt er, werde jedes Jahr schlimmer. Und weil all die Arbeiter aus Osteuropa auch ihre Sprachen mitgebracht haben, gehe es auch auf der Baustelle an der Neuhauser Straße ein bisschen zu wie einst beim Turmbau zu Babel.

Zehn Stunden allein in der Kabine

Zehn Stunden sitzt Günther jeden Tag oben in seinem Kranführerhäuschen, morgens um zehn steigt er mit einer Brotzeit und vier Flaschen Wasser im Rucksack auf den Kran, über Mittag runterklettern lohnt sich nicht. Dann sitzt er da, allein in seiner rundum verglasten Kabine, über all dem Staub und Lärm des Baubetriebs. Ab und zu kommt eine Krähe vorbei und setzt sich auf den Ausleger. Nicht mal ein Radio hat er in seiner Kabine.

Das kleine schwarze Funkgerät an der Wand liefert all die Unterhaltung, die er braucht: Einige Arbeiter diskutieren über den Äther angeregt auf rumänisch, dann funkt Andrej aus dem Untergeschoss Günther an: Wo bleiben die Betonbauteile? Oliver will in der Tiefgarage endlich mit der Wärmedämmung anfangen, die Teile liegen noch auf dem Laster, der in der Neuhauser Straße parkt. "Oliver, hör mir mal zu", ruft Günther in sein Walkie-Talkie, "Rom haben wir nicht in drei Tagen gebaut. Dann bauen wir das hier auch nicht in drei Tagen."

Er darf sich nicht verrückt machen lassen; wer tonnenschwere Lasten über eine Baustelle schweben lässt, kann keine Hektik gebrauchen. Und so hebt Günther mit dem rechten Steuerknüppel die Palette mit den Betonteilen vorsichtig in die Luft, der Kran neigt sich etwas nach vorne, die linke Hand schwenkt die Ladung über die Baustelle. Vorbei an der Sankt-Michaels-Kirche und über die jungen Leute, die sich in Badeklamotten auf den Dachgärten am Altheimer Eck sonnen. Federleicht sieht das von hier oben aus. Nur die Digitalanzeige neben der Windschutzscheibe verrät, dass das graue Paket, das im Wind vor sich hinpendelt, 900 Kilogramm wiegt.

"Der Wind ist der größte Feind der Kranfahrer", sagt Günther. Der Wind kann schwerste Lasten in Gerüste wehen, er macht das Platzieren der Paletten zum Glücksspiel, und er rüttelt lärmend an Günthers Kabine. Jetzt blockiert aber der Kollege von Kran 1 den Südteil der Baustelle, da kann der Günther mal eine rauchen und über das Leben als Kranführer nachdenken.

Einzelkämpfer und doch Teil der Mannschaft

"Ich freue mich schon, wenn ich abends wieder am Boden bin und mit den Leuten reden kann", sagt er. Dann radelt er gern oder geht in die Wirtschaft. Früher in der Steiermark hat er im Dorfverein Fußball gespielt, da war er Torwart. Und irgendwie passt das ja auch ganz gut, weil Kranführer und Torhüter irgendwie wesensverwandt sind: Sie sind Teil der Mannschaft, aber doch sehr weit weg, sie sind Einzelkämpfer.

"Als Kranführer bist immer der Depp", sagt Günther auch. "Alle wollen immer was von Dir, und jeder denkt, er kann Dir alles sagen." Ab und zu ruft einer von den ungeduldigen Kollegen ein paar nette Worte zu Günther hinauf, oft auf Rumänisch oder Portugiesisch, und der Günther zahlt es ihm durch das offene Fenster auf Österreichisch zurück. "Du kannst mich mal gernhaben", sagt er dann, oder: "Was die Hund da unten arbeiten, das möcht' ich mal wissen".

Ohne den Kranlenker hätten sie auf jeden Fall gar keine Arbeit: Gerade auf einer Innenstadtbaustelle wird so gut wie alles mit dem Kran bewegt. Kranführer wie Günther sind gefragt. Die Ausbildung zum "Turmdrehkranführer" dauert zehn Tage, es folgt ein Abschlusstest, ein Magazin hat mal ausgerechnet, dass man dann durchschnittlich 2425 Euro brutto verdient.

"Eine Gaudi ist es nicht"

Gute Augen und Schwindelfreiheit seien Voraussetzung, sagt Günther. Sie machen aber noch lange keinen guten Kranführer, meinen die Kollegen unten auf der Erde: Ein Gefühl für die Lasten und den Wind habe nicht jeder. Dazu komme die Verantwortung, die das metergenaue Absetzen von tonnenschweren Lasten in eine wuselnde Baustelle mit sich bringt.

Und mit den Kränen ist es wie mit den Autos, erzählt Günther, jedes Modell reagiere ein wenig anders. Der gelbe Wolff-Kran zum Beispiel, der für das nächste halbe Jahr sein Arbeitsplatz ist, das sei ein "Schrottkran": Das Gerät stand vorher an der irischen Küste, die Meerluft hat der Elektronik zugesetzt, und Günter bekommt öfter Besuch vom Elektriker, als im lieb ist.

Es ist Mittag, die gelben Helme unten hören mit dem Wuseln auf, setzen sich an die Einkaufsstraße und trinken ein Bier. Günther bleibt beim Wasser. Bis acht wird er noch einige Tonnen Baumaterial bewegen, dann ab nach Hause. "Eine Gaudi ist es nicht", sagt er.Zumindest virtuell scheinen das einige anders zu sehen: Im Computerhandel kann man Spiele wie den "Kransimulator 2009" erwerben. "Absolut realistische Originalkräne" darf der Spieler in "verschiedenen Bauszenarien" steuern, verspricht der Hersteller. Eine gelungene Simulation des Kranfahrens, urteilt ein Kunde im Internet. "Action und Aufregung" könne man bei diesem Thema allerdings nicht erwarten. Der Günther hat keinen Computer, aber wenn er das läse, würde er wohl lachen. Oder dem Autor ein paar Nettigkeiten auf Österreichisch sagen.

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