Süddeutsche Zeitung

Kostprobe:Zu viel - und nicht immer des Guten

Das Restaurant "Risotto" bei Schloss Nymphenburg will der perfekte Münchner Italiener sein und scheitert gerade auch deshalb an seinem Anspruch

Von Tankred Tunke

Wenn ein Historiker erforschen wollte, was die italienische Küche vor 30 Jahren ausgemacht hat, dann müsste er eigentlich nur in München essen gehen. Streng genommen geht es bei den meisten Italienern hier zwar eher um einen Küchenstil, den die Münchner seit Jahrzehnten für italienisch halten wollen und der mit seinem Mutterland nicht in jedem Fall etwas zu tun haben muss. Doch die rührende, fast museale Beständigkeit dieses Stils ist bemerkenswert.

Zu den Zutaten des originär Münchner Italieners gehört unbedingt eine Prise prätentiöser Glamour, etwa die große Oper der Tagesempfehlungen ("Ragazzi, die Tagliata ist heute fantastica!"). Noch wichtiger ist der unausgesprochene Deal, auf dem die Geschäftsgrundlage beruht: Der Service huldigt dem (Lieblings-!)Gast in einer Art Gottesdienst mehr oder weniger plumper Vertraulichkeiten. Im Gegenzug sinkt der Besucher vor jedem Parmigiano-Reggiano-Spänchen Zunge schnalzend auf die Knie.

Wer das für ein überholtes Klischee hält, der sollte im Ristorante Risotto nahe des Nymphenburger Schlosses Station machen. Wobei das kleine Restaurant auf den ersten Blick gar nicht unter Klischeeverdacht fällt. Eröffnet erst 2016, wird es geführt von drei sizilianischen Brüdern, die bei Hamburg aufgewachsen sind, nach eigenen Angaben einen hohen Qualitätsanspruch verfolgen und das Olivenöl vom Betrieb ihrer Familie bei Agrigento beziehen. Drinnen sieht man weiße Tischwäsche zu schwarzen Stühlen, falschem Kaminfeuer und Kopien antiker Spiegel - das wirkt angesichts des jungen Teams vielleicht eine Spur zu gewollt gediegen, ist jedoch gemütlich. Vor allem aber hat sich das Lokal, wie der Name verrät, auf Risotto spezialisiert, eine bodenständige Königsdisziplin, die man auf Münchner Speisekarten eher vereinzelt findet. Das macht neugierig.

Die Karte stimmt schon ob ihrer Größe zwiespältig: Neben den Risotti gibt es Vorspeisen, Salate, Suppen, Pasta, Fleisch- und Fischgerichte, dazu Pizzen aus dem Lavasteinofen und eine Tageskarte mit zehn Positionen, die zwar interessant klingt, aber die Frage aufwirft: Wie schaffen die das? Wir entscheiden uns gegen das auf einer Tafel beworbene Überraschungsmenü (vier Gänge 59 Euro), auch, weil der Kellner zur Erklärung des Angebots seine Hand neben dem Schlüsselbein meiner Begleiterin parkt und so verschwörerisch wie wolkig raunt: "Einfach zurücklehnen, Leute, und genießen. Das wird ganz toll!"

Schon die Antipasti offenbaren ein großes Missverständnis: In der nur vermeintlich einfachen italienischen Küche dreht sich ja vieles um wenige Grundprodukte von hoher Qualität, an deren technischer Herausarbeitung sich die Güte des Kochs messen lässt. In diesem Lokal aber scheint es vor allem um Luxuszutaten zu gehen, die sich gegenseitig die Show stehlen, auch weil die Küche hier viele Gerichte nicht zu Ende gedacht hat. So war die Burrata zwar gut, doch wieso behobelt man den edlen Frischkäse nicht nur mit Trüffel, sondern serviert ihn dazu im Steinpilzbett? Das macht den Gang unnötig teuer (21,90 Euro), zu üppig und zu dumpf, bereits nach dem dritten Bissen lechzte der Gaumen nach Säure, Süße, ja irgendeinem Kontrapunkt.

Mutig fanden wir, im Winter ein Auberginen-Carpaccio (10,90) mit frischen Tomaten anzubieten. Entsprechend matt wirkte das Gemüse, das unerklärlicherweise dick mit veganem Pesto überzogen war. Die pharmazeutischen Noten des pecorinolosen Basilikums klebten lange am Gaumen, die aromafreien Tomatenwürfel und die Pinienkerne konnten da nichts ausrichten. Saisonaler war der Orangen-Fenchel-Salat mit gebratenem Pulpo ( und leichtem Brathuhnaroma, 13,90). Doch warum schmeckten die Orangenfilets nach nichts, wo auf Siziliens Plantagen gerade Hochsaison ist? Ähnlich fad: die unreife Mango zu den tadellos gegarten, gratinierten Jakobsmuscheln, deren Gin-Limetten-Soße sich leider geschmacklich im Ungefähren verlor (20,90). In Ordnung waren die Tomatensuppe (6,90) und das Vitello Tonnato (12,50), doch wären wir dafür nicht extra hergekommen.

Ristorante Risotto

Qualität: ● ● ○ ○ ○

Service: ● ● ● ○ ○

Ambiente: ● ● ● ○ ○

Preis/Leistung: ● ● ○ ○ ○

Hirschgartenallee 38

Telefon: 089 - 17 09 57 09

www.ristorante-risotto.de

Öffnungszeiten

So -Fr. 11.30 Uhr bis 23.00 Uhr

Sa.. 17.00 Uhr bis 0.00 Uhr

Mittwoch Ruhetag

Echtes Vergnügen bereitete nur das Amarone-Risotto mit Radicchio und gereiftem Parmesan; endlich eine schlichte wie ausgewogene Kombination mit fantastischem Aroma, der Reis cremig-schlotzig, aber mit Biss, so muss es sein (23,90). Bei anderen Reisgerichten wie dem Risotto mit Sepia-Tinte zeigte sich dann wieder die Unbeholfenheit der Küche bei edlen Zutaten: Die rustikalen Noten von Tinte und Minze (wieso Minze?) machten die unnötigerweise aus Argentinien eingeflogenen Gambas dazu überflüssig; so war das Risotto nur ärgerlich teuer (29,90). Wie sehr es in der italienischen Küche auf die Grundlagen ankommt, merkte man auch den Ravioli an: der Teig war leider zu dick, da hatte die schöne Füllungsidee aus Taleggio und Birne zu Salbei nicht den Hauch einer Chance (21,90)

. Am Ende warf auch die Dessertkarte viele Fragen auf: Wieso werden fast alle Nachspeisen hier mit Waldfrüchten angeboten? Wo bitte gehen drei fade Kulturblaubeeren als Waldbeeren durch? Und warum "dekonstruiert" man Cannoli-Röllchen, steckt die Brösel in zu käsige Ricottacreme-Blobs und beschneit alles mit Puderzucker? Die Küche hier mag hohe Ziele haben, aber wir kommen leider erst wieder, wenn sie die Karte eingedampft hat und sich auf das Wesentliche konzentriert.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2020
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