"L'Adresse 37":Wo der Koch singt und küsst

"L'Adresse 37": Mittelpunkt des neuen L'Adresse 37 ist die Showküche, in der normalerweise der französische Koch Loïc Cantegrel wirkt. Hier ist er nicht im Bild, vermutlich erfreute er die Gäste gerade mit einem Lied.

Mittelpunkt des neuen L'Adresse 37 ist die Showküche, in der normalerweise der französische Koch Loïc Cantegrel wirkt. Hier ist er nicht im Bild, vermutlich erfreute er die Gäste gerade mit einem Lied.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Pariser Koch Loïc Cantegrel fand im Westend seine neue Heimat. Im Bistro "L'Adresse 37" nehmen die Gäste gerne teil an der Inszenierung - die mit Foie Gras auch kulinarisch sehr erfreulich ist.

Von Helene Töttchen

Es ist nur konsequent, dass Loïc Cantegrel genau hier sein neues Domizil gefunden hat, in Spucknähe zur Theresienwiese. Seit einer Weile führt Paris, seine Heimatstadt, eine Art Oktoberfest durch, mit Zelt, Musi und Münchner Bier. Und weil Cantegrels Wahlheimat der vergangenen sieben Jahre, die Rablstraße, sich unsanft auch von ihm und seinem Restaurant L'Adresse 37 in Haidhausen trennte (wie sich herausstellte, waren die Räume gar nicht für ein Lokal genehmigt gewesen), war Cantegrel auf der Suche und wurde in der Tulbeckstraße fündig. Die zeichnet sich dadurch aus, dass oft ein frischer Sudwind vom nahen Augustinerbräu herüberweht - und sonst nicht viel los ist.

Laufkundschaft sitzt im neuen L'Adresse 37 also selten, die meisten Gäste sind absichtsvoll hier, nicht zwingend aus dem Viertel, gerne Paare mittleren Alters, manche hat man auch schon im Marais Soir 200 Meter weiter gesehen, da gibt es auch französische Küche. Cantegrel begrüßt oder verabschiedet viele Gäste mit Handschlag oder Küsschen, winkt aus der Küche oder singt laut zur ohnehin nicht gerade dezenten Musik, die auch französisch sein kann. Das mit der Beschallung erinnert an die Rablstraße.

Ansonsten hat Cantegrel seinem Lokal einen komplett neuen Anstrich gegeben, aus dem gehobenen Bistro in Haidhausen, das mal "Au Comptoir de Loïc" hieß, ist im Westend ein anderer moderner Gastraum mit Blätterwaldwandbemalung, zeitgemäßen nackten Glühbirnen und front cooking geworden, was sehr zur Stimmung beiträgt, da die Showküche, mit ihren schwarzen Fliesen und Gerätschaften, Kräutern, Ölflaschen und mittenmang dem singenden Koch, nett anzusehen ist. Oft verstummen die Gespräche an den Tischen, manche Gäste genießen das Zimmertheater mit Kocheinlage sichtlich.

Seine Küche nennt Loïc Cantegrel "bistro néo français", die Karte zeigt klassische französische Küche, gewürzt mit kosmopolitischer Fantasie. Wir starteten mit einer hinreißenden Foie Gras (21 Euro), die wir bei unserem ersten Besuch mit duftiger warmer Brioche bekamen, beim zweiten mit solidem Landbrot, aber immer mit köstlicher Apfel-Ingwer-Konfitüre. Die Gänseleberpastete ist uns softeisgleich auf der Zunge zerschmolzen, auf Nachfrage hörten wir, dass sie aus Frankreich kam, und ja, gestopft.

Fein im Geschmack war auch das Rindertatar (17 Euro), das wohltemperiert sein Aroma gut entfalten konnte, umhüllt von einer Marinade aus Kräutern und wohldosiertem Senfeis, die ein guter Gegenspieler war. Im Vergleich dazu ist das Thunfischtatar Niçoise (14 Euro) ein wenig in die Bredouille geraten, dem feinen Fisch waren rote Zwiebeln und Kapern und offenbar Chili, alles in reichlicher Menge, zur Seite gestellt worden, was ihn in seiner Zartheit ins Hintertreffen geraten ließ. Woher kommt der Thunfisch, wollen wir wissen, noch ein schlechtes Gewissen habend wegen der Stopfleber. "Aus Tschernobyl", ruft Cantegrel fröhlich aus der Küche.

Die Karte ist angenehm übersichtlich

In klassischer Schönheit zeigt sich das Fondant de Boeuf mit Schokorotweinsoße (22 Euro), saftig geschmort, mit deutlicher Weinnote, die erfreulicherweise die Schokolade zu einem feinherben Grundton herunterdimmte und gut mit dem Süßkartoffelpüree und den Maronen harmonierte. Sehr angetan waren wir von der Kombination aus Entenbrust mit dünn geschnittenem Kalmar auf violetten Frühkartoffeln, bei der Tintenfisch und Vogel von buttriger Zartheit waren, wie man das selten kennt. Der Überraschungshauptgang (22 Euro) war bei einem unserer Besuche Zander, aufgebettet aus Süßkartoffeln und Maronen, in dezenter Kräuterkruste, die dem zurückhaltendem Fisch Raum ließ.

Die Karte ist angenehm übersichtlich, jeweils fünf bis sechs Posten als Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise, aus denen der Gast sich einzelne Gerichte oder ein Menü zusammenstellen kann; zwei Gänge kosten 31 Euro, drei 41 Euro und vier 51 Euro.

Der Service beriet kenntnisreich, auch in Weinfragen, die offenen Weine geraten mit zum Beispiel dem Cahors vom Weingut der Cantegrels zu 4,50 Euro für 0,1 Liter, der das Schokorind rund und warm umfing, ein wenig teuer, der gleichpreisige Muscadet zum Zander war duftig, aber im geeisten Glas ein wenig kühl. Beim Wasser hätten wir eine Frage: Was ist "L'Adresse Aqua Chiara Microfilter (0 km)"? Der Meister erklärte, die langen Wege für Wasser in anderen Lokalen, die bösen Großkonzerne, die Umwelt, das Kokosfilterverfahren, macht: 4,50 Euro für 0,5 Liter Mangfaller Spätlese. Happig für Leitungswasser.

Ritueller Schlussakt nach dem Dessert

Wer kein Dessert mehr schafft, dem seien die Macarons zum Espresso (9 Euro) empfohlen, drei an der Zahl, in wechselnden Sorten, aber immer von Principessa aus München, die köstliche Macarons macht, nah an denen von La Durée aus Paris. Noch besser aber würden sie schmecken, wenn es das L'Adresse auch an schwächer besuchten Tagen schaffen würde, eine gewisse Menge vorher aufzutauen, damit man nicht ein Semifreddo gereicht bekommt.

Bei der Crème Brûlée (9 Euro) blickten wir uns verstohlen um, fragten uns, ob man es wohl hört, wie wir da so auf dem schieren braunen, kaum karamellisierten Zucker herumknirschen. Vielleicht hatten wir einfach Pech mit den Desserts, Freunde berichten bei anderen Besuchen von wahren Wundertaten der Patisserie.

Nach dem Dessert gibt es dann den rituellen Schlussakt im neuen Zimmertheater im Westend: Kurz nach 22 Uhr, Loïc Cantegrel hängt die Schürze an den Haken, plaudert mit den Gästen, mal hier, mal dort, mal bei uns. "Es gibt Fressen, und es gibt Essen. Bei mir gibt es nur das Eine, sagt er inbrünstig. C'est ça! Genauso ist es.

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