Abschiedsfahrt für den Münchner Konzertsaal auf dem Bodensee:„Auf zu neuen Ufern!“

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Die Architekten Anton Nachbaur-Sturm und Andreas Cukrowicz verabschieden auf der "Vorarlberg" ihre Pläne für den Münchner Konzertsaal - auch mit Luftballons. (Foto: Darko Todorovic)

Die Architekten des ursprünglich geplanten Münchner Konzerthauses feiern auf dem Bodensee das ruhmlose Ende einer Odyssee mit Anstand, Würde und Souveränität.

Von Gerhard Matzig

Um 15 Uhr 30 legt das 62 Meter lange Motorschiff Vorarlberg ab im Hafen. So planmäßig, dass man sich fragt, ob die deutsche Bahn oder auch bayerische Bauherren nicht mal einen Kurs in Bregenz buchen könnten. Der Kurs hätte den Titel „So halte ich Pläne ein“. Für den Ministerpräsidenten Bayerns böte sich außerdem das Propädeutikum „Baukultur für Totalanfänger“ an.

Das superpünktliche Schiff, Baujahr 1964, also angenehm altmodisch im Auftritt, mit Platz für 1000 Fahrgäste, gleitet sanft hinaus. Auf den Bodensee, der sich an diesem Freitagnachmittag erst grau zeigt. Später, nach einem leichten Regen, der von Gischt kaum zu unterscheiden ist, wird sich erst ein dezentes Rosa in den Himmel mischen. Noch später aber, kurz vor der Rückkehr in den Hafen von Bregenz nach einer Odyssee, die zur Heimkehr wird, illuminiert der „Supermond“ die Nacht.

So hollywoodesk gerät dem Vollmond sein Spektakel, dass ein an diesem Abend gelegentlich zu hörender Titanic-Vergleich nicht zu hoch gegriffen erscheint. Allerdings sind die Eisberge fern, der Untergang wird vermieden – und für eigentlich alle Menschen, um die es an diesem Tag auf der denkwürdigen „Abschlussfahrt Konzerthaus München“ geht, gibt es ein Happy End. Nur nicht für Markus Söder und Markus Blume. Sie gelten zunächst als vermisst. Obwohl sie am Ende ehrlicherweise niemand vermisst. Niemand, der etwas mit Architektur, Kunst, Baukultur oder auch einfach nur mit Anstand zu tun hat.

Dazu gleich mehr. Erst mal steht Anton Nachbaur-Sturm am Bug des Schiffes. Mit Blick auf Bregenz – und wenn der Architekt, der zusammen mit Andreas Cukrowicz vor sieben Jahren den internationalen Wettbewerb zum Bau eines Konzerthauses in München für sich entscheiden konnte, jetzt wie Leonardo DiCaprio einst im Film „Titanic“ dem See zurufen würde „Ich bin der König der Welt“, wäre das in Ordnung.

Alle konnten gewinnen – alle haben verloren

Andererseits wäre Nachbaur dann kein typisch bescheidener Vorarlberger. Und so schaut er einfach still aufs Wasser. Aber wenn nicht alles täuscht, dann liegt in diesem Blick auch eine große Ruhe. Und auf jeden Fall eine einzigartige Souveränität. Als Architekturkritiker kennt man übrigens nicht nur die sagenhaften Heldengeschichten gelingender Baukunst; es gibt auch epische Niederlagen – und womöglich gibt es am Bau, dessen Grundlagen sich für alle Beteiligten gerade drastisch verändern, bald mehr Niederlagen als Siege.

Das Sieger-Modell des Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur Architekten für das neue Münchner Konzerthaus wurde 2017 in München präsentiert. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Hier die Regie des Desasters: München, in der Welt eine allererste Adresse der Musik, hofft seit Jahrzehnten auf einen neuen Konzertsaal mit adäquater Weltgeltung. Dazu gab es endlich den ersehnten Wettbewerb – den Cukrowicz Nachbaur Architekten gewonnen haben. Daraus hätte eine Sternstunde der Musikgeschichte, der zeitgenössischen Baukunst und der Stadt München als Kulturmetropole sowie des Freistaates als Kulturträger werden können. Alle hätten gewinnen können – und alle haben verloren.

Erst sind (vom Bauherrn, also Bayern) erfundene und daher viel zu niedrige Baukosten angesetzt worden für ein Bauwerk, dessen genaue Architektur noch nicht einmal feststand; dann sind – nach absurd amateurhaften Planungsverzögerungen (zu verantworten: von Bayern) – die naturgemäß in der Zwischenzeit einfach schon durch Zeitablauf gestiegenen Mehrkosten wiederum von den staatlichen Behörden (also Bayern) in freier Erfindung viel zu hoch angesetzt worden.

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Warum? Weil sich Markus Söder nie wirklich für ein von Vorgängern initiiertes Projekt interessiert hat. Zu schweigen von: verantwortlich zeigen. Schließlich ließ man das ganze Projekt auf hinterhältige Weise fallen – samt der Architekten. Stand jetzt: Für eine wiederum frei erfundene Summe X soll nun ein „Totalunternehmer“ den Konzertsaal realisieren. Bis irgendwann. Für die „Hälfte“ (wovon?). Man ist jetzt schon gespannt, welche Art der totalen Baukunst dem Totalunternehmer vorschwebt, die über die Ambition einer totalen Gewerbekiste an der Autobahn hinausgeht.

Kapitän Söder wäre der Erste im Rettungsboot

All das ist bekannt, aber was überrascht – das sind die Architekten, die auf dem Bodensee nach all den Enttäuschungen nicht auf Anwälte setzen, wie das sonst üblich ist, sondern auf eine Seefahrt. Und zwar unter dem schönen Motto „Leinen los: Auf zu neuen Ufern“. Man kennt wenige Architekten, die in dieser Situation eine solche Souveränität an den Tag legen. Nicht Juristen sollen das letzte Wort haben – sondern: Alle, die voller Energie und Freude, voller Wissen und Professionalität an einem Projekt mitgearbeitet haben. Letztlich vergeblich.

Söder und Blume waren natürlich auch eingeladen zum Bordfest. Zusammen mit Planern, Bauunternehmern, Bauverwaltung, Vertreterinnen der Stadt München und Repräsentanten der Kultur. Wie Anton Nachbaur in einer berührenden Rede mitteilte: „Sie“, also Söder und Blume, „fehlen unentschuldigt.“ Gelächter. Ins Lachen mischt sich aber die Frage: Wie sehr kann man sich für Bayern fremdschämen an diesem Abend?

Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm halten sich nicht auf damit. Sie sprechen zwar vom Gegenwind und auch davon, dass dem Projekt ein Kapitän gefehlt habe, aber: Sie sehen auf den Horizont. Nach vorn. Dort sind keine Eisberge in Sicht an diesem Abend auf der Vorarlberg. Käme es aber zu einer Seenot-Situation und wäre Kapitän Söder an Bord: Er wäre vermutlich noch vor Frauen, Kindern und Hunden als erster im Rettungsboot. Egal, Leinen los.

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