Standortfrage:Neue Missklänge in der Konzertsaal-Debatte

Germany Hamburg Orchestra performing classical music PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY WBF000151

Heftige Dissonanzen: Es geht um Hochkultur, aber gestritten wird um einen neuen Konzertsaal für München auf teils recht niedrigem Niveau.

(Foto: imago)

Eigentlich hatte das Kabinett schon entschieden: Der Konzertsaal zieht ins Werksviertel. Aber die Posthallen-Befürworter wollen nicht locker lassen - jetzt spielt sogar der Führerbau eine Rolle.

Von Christian Krügel

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Führerbau: beste Lage an der Arcisstraße, historisches Ensemble, teurer Unterhalt - warum sollte der Freistaat Adolf Hitlers Münchner Repräsentationsbau nicht verkaufen und mit dem Erlös eine Musikstadt in der Paketposthalle mitfinanzieren?

Verrückte Idee? Noch lange nicht verrückt genug, um nicht doch eine Rolle zu spielen in einem Streit, den Ministerpräsident Horst Seehofer Anfang Dezember für beendet erklärt hatte: Ein neuer Konzertsaal für die BR-Orchester soll im Werksviertel am Ostbahnhof entstehen, nicht in der Posthalle in Neuhausen.

Ein klares Wort der Staatsregierung - aber längst kein Grund für Ruhe. Im Gegenteil: Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der beiden Standorte flammte in dieser Woche heftiger denn je auf, entfacht durch böse Briefe, harsche Presseerklärungen, eigentümliche Gutachten.

Schlagworte wie "Fälschung", "Manipulation", "Ignoranz" flirren umher, diesmal nicht in kleinen Zirkeln von Musikfreunden, sondern im Herzen der Macht, der CSU-Landtagsfraktion und -Staatsregierung. Im Mittelpunkt dabei: Landtagsabgeordneter Thomas Goppel, Ex-Wissenschaftsminister, Ex-CSU-Generalsekretär, derzeit extrem aktiver Lobbyist für die Paketposthalle.

Briefe an CSU-Spitzenfunktionäre

Seit dem Kabinettsvotum für die Konkurrenz im Werksviertel setzt der 68-Jährige Himmel und Hölle in Bewegung, um die Entscheidung zu revidieren. In Briefen an CSU-Spitzenfunktionäre lästert er offen über die "Staatsregierung, die sich dem Mittelmaß zugewandt" habe, die die kulturelle Bedeutung Münchens gerade verspiele, weswegen ein "Schwenk" der Entscheidung unabdingbar sei.

Nach eigenem Bekunden bearbeitet er alle relevanten Minister in Einzelgesprächen. Und er nutzt eines seiner vielen Ehrenämter für Lobbyarbeit: Als Präsident des Bayerischen Musikrats ließ er am Dienstag eine Pressemitteilung verbreiten, in der er für die Paketposthalle und eine dort mögliche "Musikstadt" warb. Als Beleg verwies er auf ein angebliches Gutachten des Büros Speer und Partner (AS&P).

Diese hatten im Herbst im Auftrag der Staatsregierung den besten Standort geprüft und sich klar für das ehemalige Pfanni-Fabrikgelände am Ostbahnhof ausgesprochen. Nun, so behauptete Goppel, kämen die Experten zum Ergebnis, dass unbedingt auch die Paketposthalle noch einmal geprüft werden müsse.

Als Beleg versandte Goppels Büro eine Expertise, die im Stile von AS&P aufgemacht war - aber nicht von diesen stammte, sondern von der Paketpostinvestorengruppe um den Münchner Anwalt Josef Nachmann. Goppel erklärte das mit einem Versehen seines Sekretariats, doch die Empörung ist immens.

In der CSU-Fraktion ist von "dreister Fälschung" die Rede

Der sonst eher zurückhaltende Verein der Konzertsaalfreunde sprach am Freitag in einer Presseerklärung von "fragwürdigen Argumenten" und einem "untauglichen Versuch", die Entscheidung fürs Werksviertel zu revidieren. In der CSU-Fraktion ist von "dreister Fälschung" die Rede.

Standortfrage: Thomas Goppel setzt sich für einen Konzertsaal in der Paketposthalle ein.

Thomas Goppel setzt sich für einen Konzertsaal in der Paketposthalle ein.

(Foto: lks)

Warum verkämpft sich Goppel in dieser Sache? "Ich bin nicht interessiert daran, großen Krach zu machen", sagt er der SZ, es gehe um die beste Lösung für München. Im Werksviertel, im "Hinterhof" hinter dem Ostbahnhof, sei zu wenig Platz, um ein Konzerthaus mit Perspektive zu bauen, inklusive Musikhochschule und Übungsräumen.

In der Paketpost dagegen sei Raum für mehrere Säle, für die Hochschule, für die "Neuordnung der gesamten Musikszene Münchens". Und natürlich gehe es ihm auch darum, die Verhältnisse zwischen Staatsregierung und CSU-Fraktion zurechtzurücken: Das Kabinett hatte im Dezember entschieden, ohne zuvor die Fraktion zu konsultieren - "ein Webfehler", nennen das selbst Goppel-Gegner in der Fraktion.

Nicht im Kleinklein des Werksviertels verharren

Goppel zur Seite springt der Würzburger Abgeordnete und CSU-Kulturexperte Oliver Jörg. Er sammelte bei der Klausurtagung in Kreuth alle Bedenken der Abgeordneten, Jörg nennt das einen "ganz normalen parlamentarischen Vorgang". Das Thema müsse eben in allen Facetten diskutiert werden, auch die Sache mit dem Führerbau.

Die Idee stamme von ihm: Das Nazi-Gebäude müsse für 65 Millionen Euro ohnehin saniert werden, die dort untergebrachte Musikhochschule dann vorübergehend ausziehen. Warum also nicht gleich die Hochschule komplett in die Paketpost verlegen, den Führerbau anders nutzen - und die Erlöse in die neue "Musikstadt" stecken? Man müsse über alles nachdenken. Thomas Goppel findet auch, man müsse groß denken, nicht im Kleinklein des Werksviertels verharren. So groß dachte er freilich nicht immer.

Noch im Februar 2015 unterstützte er Horst Seehofers Plan, auf einen Neubau ganz zu verzichten und stattdessen den Gasteig zu sanieren. Im Juli tauchte Goppel dann erstmals als Unterstützer des Projektes in der Paketposthalle auf, als es die Investorengruppe um Josef Nachmann präsentierte. Zur selben Zeit wurden auch die Pläne von Pfanni-Erbe Werner Eckart öffentlich.

Das Areal im Werksviertel soll in Erbpacht an den Freistaat gehen

Standortfrage: Möglicher Standort in der bisherigen 'Kultfabrik' am Ostbahnhof.

Möglicher Standort in der bisherigen 'Kultfabrik' am Ostbahnhof.

(Foto: Robert Haas)

Spätestens von da an war klar, dass es bei dem Konzertsaal-Projekt um weit mehr geht als um Musik. Es geht um Geld, sehr viel Geld sogar, denn beide, Eckart wie die Nachmann-Gruppe, würden von einem Konzertsaal unmittelbar profitieren. Relativ gut auszurechnen ist das bei Eckart: Er will das Areal im Werksviertel nicht verkaufen, sondern in Erbpacht an den Freistaat geben.

Das könnte allein in den ersten 50 Jahren rund 30 Millionen Euro bringen. Im Gespräch ist derzeit nach Informationen der SZ, dass der Freistaat die Laufzeit frei wählen kann, bis hin zu einem "ewigen Erbbaurecht". Das brächte dem Steuerzahler Sicherheit, dass der Konzertsaal nicht irgendwann in Eckarts Besitz übergeht, ihm selbst aber auch die Sicherheit einer ewig guten Verzinsung - der entscheidende Knackpunkt für die CSU-Fraktion, so Oliver Jörg.

Im Werksviertel verweist man darauf, dass es um die Abrundung eines Kulturquartiers gehe, das ohnehin schon entstünde. Profitieren dürfte Eckart auch davon: Eine Philharmonie zieht Publikum für die dort geplanten Hotels. Das Engagement des Freistaats beruhigt die Banken, auch die Bayerische Landesbank, die bei der Finanzierung der Bauten eine wichtige Rolle spielt.

Am Ostbahnhof wächst schon ein Viertel empor, Josef Nachmann und seine Partner müssen dagegen auf Visionen verweisen. Die allerdings sind lukrativ: Das Areal ist die letzte große unbebaute Fläche entlang der Bahn. Insgesamt bis zu 75 000 Quadratmeter für Gewerbe, Büros, Hotels stehen dort zur Verfügung.

Die Deutsche Post will das Areal verkaufen- nur inklusive Halle

Immobilienexperten sprechen von einem "Filetstück", allerdings mit einem harten Knochen in der Mitte: die denkmalgeschützte Paketposthalle. Die Deutsche Post als Besitzerin will das Areal verkaufen- nur inklusive Halle. Der ideale Deal geht so: Die Investoren kaufen alles, finden einen Abnehmer für die Halle, der auch Unterhalt und Sanierung übernimmt, sie selbst verdienen das Geld mit der Entwicklung drum herum.

Das Votum der Staatsregierung fürs Werksviertel macht einen Strich durch die Rechnung. Schlimmer noch: In einem Gutachten der TU ist davon die Rede, dass die Halle spätestens 100 Jahre nach der Errichtung, also etwa 2070, komplett saniert werden müsste. Eine Aussage, die auch andere Investoren abschrecken dürfte und die deshalb die Nachmann-Gruppe mit einer Reihe von Expertisen entkräften möchte.

Thomas Goppel, der auch Vorsitzender des Landesdenkmalrats ist, appelliert an die Pflicht des Freistaats, die Halle zu erhalten. Doch die Staatsregierung will sich raushalten: Diese Pflicht liege klar beim Eigentümer, heißt es in einem internen Papier.

Goppel tritt in diesem Streit also in drei Rollen auf: besorgter Denkmalschützer, Musikfreund, CSU-Abgeordneter. "Ich selber habe davon keine Vorteile", betont er ausdrücklich. Es gehe um eine "vernünftige Sachentscheidung". Am Dienstag werden die CSU-Parlamentarier erneut darüber diskutieren, abends, ohne Zeitlimit. Es dürfte eine lange Nacht werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: