Süddeutsche Zeitung

Konzertsaal-Debatte in München:"Wir wurden zum Narren gehalten"

  • Die Staatsregierung hat der Sanierung der Philharmonie am Gasteig zugestimmt.
  • Damit hat sich das bayerische Kabinett hinter die Pläne von Ministerpräsident Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Reiter (SPD) gestellt.
  • Der Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters, Mariss Jansons, fühlt sich bei der Konzertsaal-Entscheidung von der Politik an der Nase herumgeführt.

Von Andreas Glas, Christian Krügel und Frank Müller

Vielleicht hilft ja ein pädagogischer Rat, geradezu eine seelsorgerische Weisheit, mag sich Mariss Jansons in diesem Moment denken. Und vielleicht hilft das sogar noch bei der bayerischen Staatsregierung und selbst bei Ministerpräsident Horst Seehofer: "Jeder Mensch kann Fehler machen", sagt der Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters, "es zeigt dann Mut und Größe, einen solchen Fehler auch zuzugeben." Der 72-jährige Maestro erntet dafür im überfüllten Presseraum des Bayerischen Rundfunks Gelächter und Applaus. Denn es ist Jansons charmante Art, seine Gesprächspartner der vergangenen Jahre und Wochen - eben Seehofer und auch Kunstminister Ludwig Spaenle - als wortbrüchige und kalt-berechnende Politiker dastehen zu lassen.

Seit zehn Jahren hatte der Lette für einen Konzertsaal gekämpft, den an diesem Dienstagmorgen das Kabinett Seehofer nun endgültig vom Tisch geräumt hat. Jetzt ist es höchste Zeit, dass sich der Stardirigent öffentlich dazu äußert. "Ich habe mit drei Ministerpräsidenten verhandelt. Alle waren immer dafür. Ich habe mit drei Kunstministern verhandelt - die waren nicht immer dafür. Aber am Ende haben immer alle gesagt: Wir garantieren Ihnen, dass dieser Saal kommt." Die bittere Erkenntnis des Maestros: "Ich habe gewartet und gewartet. Ich war naiv, ich war höflich. Aber am Ende muss ich sagen: Wir wurden alle zum Narren gehalten."

Mariss Jansons wirkt kein bisschen resignativ, wenn er das sagt, eher kämpferisch. Jetzt seinen Posten hinzuschmeißen und aus seinem Vertrag, der noch bis 2018 dauert, auszusteigen, ist für ihn völlig undenkbar. "Ich gebe nicht auf. Ich lasse meine Musiker nicht im Stich", sagt er.

BR-Indendant Wilherlm attackiert Seehofer

Überhaupt scheint der Kabinettsbeschluss vom Dienstagvormittag alle BR-Verantwortlichen erst richtig zum Kämpfen angespornt zu haben. Intendant Ulrich Wilhelm zum Beispiel, der den Ministerpräsidenten voll attackiert, ohne seinen Namen auszusprechen. Dieser hatte ihm vorgeworfen, sich zu wenig um das Projekt gekümmert zu haben. "Wer die Verhältnisse auch nur ein bisschen kennt, sieht, dass der Vorwurf unberechtigt ist", sagt Wilhelm. Er habe permanent und in allen Gremien für einen weiteren Konzertsaal geworben. Er sei nach wie vor davon überzeugt: Das wäre kein Elitenprojekt für einige wenige, sondern ein Projekt für die ganze Bevölkerung, für alle Rundfunkbeitragszahler.

Kämpferisch ist auch Nikolaus Pont. Er ist Manager des BR-Symphonieorchesters, "das nie einen Alleingang in Sachen Konzertsaal unternommen hat, sondern immer versucht hat, alle einzubinden". Aber offenbar wollten eben nicht alle. Und damit geht der Vorwurf an den zweiten Hauptgegner aus Sicht des BR: die Münchner Philharmoniker. Die haben sich bis heute nicht zur Causa Konzertsaal geäußert; ihr Intendant Paul Müller saß aber bei den Verhandlungen zwischen Seehofer und Oberbürgermeister Dieter Reiter über die Gasteig-Sanierung immer am Tisch. "Warum durften wir nicht mitreden? Warum kamen nicht alle an einen Tisch?", fragt Jansons. Er spüre, dass von Seiten der Philharmoniker immer jeder Enthusiasmus für bessere Spielstätten gefehlt habe, dass bei ihnen aber auch ein Konkurrenzdenken da sei, das allen schade. "Wir sind keine Sportler, es geht nicht ums Siegen", sagt Jansons.

Seehofer giftet gegen den BR

Als klarer Verlierer sieht sich aber Andreas Schessl, der größte der freien Konzertveranstalter. Für anderes als Klassik der beiden großen Orchester werde in München nach dem geplanten Philharmonie-Umbau kein Platz mehr sein. "Wir verlieren alle", sagt er. Auch er appelliert geradezu flehentlich an die Staatsregierung, die Gespräche nicht abreißen zu lassen.

Doch die Frage, ob die Staatsregierung dafür noch zu haben ist, lässt kaum noch eine positive Antwort erwarten. Seehofer hatte am Dienstagmittag kaum den Kabinettssaal verlassen, da stand er im Großen Arbeitszimmer der Staatskanzlei. Die bayerischen Gärtner sind gekommen und überbringen Blumensträuße zum Valentinstag. Seehofer mag eigentlich solche Termine, sie geben ihm Gelegenheit, seinen raubeinigen Charme walten zu lassen. Doch an diesem Dienstag ist wieder einmal nur Raubein angesagt, von Charme keine Rede. Seehofer hat Mühe, die Form zu wahren. Es geht im Spaß darum, ob Seehofer den überreichten Strauß an seine Frau weitergebe oder ob sich das nicht gehöre. "Machen Sie mir bloß kein schlechtes Gewissen", sagt Seehofer. "Ich erlebe jeden Tag so viele Verstöße gegen die Regeln von Anstand und Fairness", knurrt er. Und meint: den Bayerischen Rundfunk, der nicht nur Berichterstatter, sondern mit seinem Symphonieorchester auch Mitspieler ist in der Debatte. "Die unterdrücken ja schon die Wahrheiten seit Tagen", giftet Seehofer. Wilhelm wird später kontern: Der BR dürfe sich gerade jetzt nicht den Mund verbieten lassen, sondern müsse "Sachwalter einer breiten Mehrheit" sein.

Friede scheint hier vorläufig ausgeschlossen. Bliebe der Münchner Stadtrat als einziges politisches Korrektiv. Er muss einer Gasteig-Sanierung zustimmen, sich zunächst aber in drei Wochen mit dem Antrag der beiden AfD-Stadträte befassen. Sie fordern einen Bürgerentscheid zum Thema Gasteig-Sanierung. Chancen: gleich Null. SPD und CSU haben das Ansinnen noch am Dienstag abgelehnt.

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