Süddeutsche Zeitung

Konzertsaal-Debatte:Der Paketdom

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Vor 50 Jahren begannen die Bauarbeiten für die gigantische, freitragende Posthalle an der Friedenheimer Brücke. Nun will eine Investorengruppe sie umbauen - und bringt damit Bewegung in die Konzertsaal-Debatte.

Von Marco Völklein

Die Relikte, die an die Zeit der ehemaligen Bahnpost erinnern, sind nur noch auf den zweiten Blick zu erkennen. Der Schotter zum Beispiel, der den Boden rund um die Halle bedeckt. Das ehemalige Stellwerk am östlichen Rand des Areals, in dem die Bahn mittlerweile einen Betriebskindergarten eingerichtet hat. Und die schwarzen Gleisnummern, die an der Ostseite der Halle hängen und den Mitarbeitern Orientierung geben sollten. Damals. In der Zeit, in der ein Großteil der Post noch per Bahn befördert wurde.

Vor fast genau 50 Jahren, im Herbst 1965, wurde der Grundstein gelegt für die große Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke, vier Jahre später war der weithin sichtbare "Paketdom" fertig. Errichtet wurde er, um die Paketzüge der Post abzufertigen, mittlerweile werden Briefe darin sortiert. Und in ein paar Jahren, wer weiß, könnte eine ganze Musikstadt inklusive großem Konzertsaal in der Halle Platz finden. Das zumindest sehen die Pläne einer Investorengruppe vor.

Eine spektakuläre Halle für die Post

Um die Geschichte der Halle zu erzählen, muss man eintauchen in die Welt der Bahnpost im vorigen Jahrhundert. Komplette Postzüge gingen damals nachts auf die Reise, um Briefe und Pakete von A nach B zu bringen. Beamte arbeiteten in Spezialwaggons an Sortierregalen und nutzten die Fahrt, um die Briefe den Zielgebieten zuzuordnen. Im Verkehrszentrum des Deutschen Museums kann man so einen Waggon heute noch sehen.

Herbert Festl hat in einem solchen noch gearbeitet, als Praktikant bei der Bundespost in den Fünfzigerjahren. Er hat alles miterlebt. Die Zeit der Bahnpost. Den Bau der Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke. Die Arbeit an den Sortieranlagen. Auch den Wegzug der Paketverteilung aus Neuhausen nach Aschheim. Und die Abkehr der Post vom Postzug, hin zum Transport per Lkw. Festl kann anschaulich erzählen. Noch heute, als Mittsiebziger, unterrichtet er den Postnachwuchs. In den Sechzigerjahren war der Maschinenbauingenieur zuständig für den technischen Betrieb am Paketstandort an der Wredestraße.

In dem charakteristischen Rundbau war zu dieser Zeit nicht mehr genügend Platz für all die Pakete. München wuchs schon damals. Vor allem aber musste das Postgut mit unternehmenseigenen Trambahnen vom Hauptbahnhof zur Wredestraße gebracht werden. Das alles war aufwendig und teuer. Deshalb entschied die Post, eine neue Halle zu errichten. Etwas weiter draußen, aber mit eigenem Gleisanschluss. Gut ein Dutzend Schienenstränge führten in die Halle, in der die Postzüge be- und entladen wurden. Die Ingenieure des Münchner Büros Bomhard, Dyckerhoff & Widmann entschieden sich für einen spektakulären Bau: Sie errichteten die damals "weitgespannteste Halle der Welt aus Fertigteilen", wie es in der Fachpresse hieß.

30 Meter hoch, 124 Meter lang und 146 Meter Spannweite - ein Bauwerk von immenser Größe. Und dennoch eine Schalenkonstruktion mit 1582 relativ dünn konstruierten Fertigteilen aus Beton, die kunstvoll ineinandergesteckt wurden, um so die nötige Festigkeit zu erreichen. Zu Spitzenzeiten wurden dort 170 000 Pakete und 60 000 Päckchen pro Tag umgeladen. Es gibt alte Fotos, auf denen reiht sich ein Postzug neben den anderen. Auf den Bahnsteigen stehen unzählige Postwägelchen, beladen mit Paketen und Päckchen.

Die Halle wurde freitragend, also ohne Stützen konzipiert, damit die Post sie flexibel nutzen konnte, sagt Festl. Als in den Siebzigerjahren der Versandhandel so richtig in Schwung kam, stapelten sich plötzlich die Versandkataloge. Festl und seine Leute entschieden kurzerhand, mindestens ein Gleis stillzulegen, einen provisorischen Lagerplatz zu errichten und so Platz zu schaffen für die vielen Kataloge. "Ohne Stützen, die irgendwie im Weg stehen konnten, ging das relativ problemlos", erinnert er sich. Vieles war Handarbeit damals. Jedes Paket musste von Mitarbeitern einzeln aus den Waggons und auf lange Förderbänder gehoben werden. Auch die Sortierung zu den einzelnen Zielorten erfolgte von Mitarbeitern per Hand.

Mittlerweile hat sich viel geändert. Nicht nur dass die Post weder Briefe noch Pakete mit der Bahn transportiert; auch die Handarbeit ist in weiten Teilen verschwunden. Am 31. Mai 1997 verließ der letzte Postzug die Halle. Pakete und Päckchen werden an der Friedenheimer Brücke nicht mehr sortiert und verladen, das geschieht nun in Aschheim. Dort hat der Konzern, direkt neben der Autobahn, ein Verteilzentrum errichtet. Mittendrin: Postler Festl. Er hatte, in führender Position bei der Post, an der Umstrukturierung mitgewirkt. "Der Kunde", sagt Festl, habe das Unternehmen quasi dazu gezwungen. In den Fünfzigerjahren habe das Gros der Kundschaft aus Privatkunden bestanden. "Versandhändler machten dabei vielleicht ein Viertel aus", sagt Festl. Nach und nach veränderte sich die Struktur. Heute, mit dem boomenden Internethandel, liegt der Anteil bei 80 Prozent und mehr. Und diese Kundschaft sei anspruchsvoll. Der Internethändler möchte das Paket möglichst schnell beim Kunden haben, am besten am nächsten Tag. "Mit der Bahn ist das schlicht nicht zu schaffen", sagt Festl.

Eine Konzerthalle war bereits im Gespräch

So endete die Zeit der Postzüge. Und die Frage war: Was passiert mit der Betonhalle in Neuhausen? Ein Freizeitpark war im Gespräch, auch die Idee eines Konzertsaals wurde schon einmal thematisiert. 1998 ließ der Konzern dann ein Briefzentrum in die Pakethalle hineinbauen. Die Gleise und Bahnsteige wurden entfernt und vom Architekturbüro Speer eine Art "Schuhschachtel" in die bestehende Halle hineinkonstruiert. Wer sich von Jürgen Roth, dem Immobilienbeauftragten der Post in München, durch das Areal führen lässt, der kann auf diese Schuhschachtel hinaufsteigen - und hat dennoch das beeindruckende Gewölbe der Halle weit über sich. Noch heute wundern sich Fachleute wie Roth, dass die Betonhalle in einem vergleichsweise guten Zustand ist. Hier und da sind zwar Betonbrocken abgeplatzt, an einigen Stellen liegt auch die Stahlbewehrung frei. "Wenn man das aber vergleicht mit Brücken oder anderen Bauten aus der Zeit", sagt Roth, "dann ist das gar nichts."

Die alte Halle - sie steht noch gut da. Und sie weckt Interesse: Ein Fußallklub habe mal wegen Modeaufnahmen angefragt. Und ein Knabenchor habe vor einigen Jahren ein Konzert veranstaltet in der Halle, sagt Roth. Eine "tolle Akustik" sei das gewesen, in einer "grandiosen Umgebung", mit einem Sonnenuntergang, der durch die großen Scheiben im Westen das Ganze besonders in Szene gesetzt habe. Wer weiß, vielleicht wird bald wieder Musik erklingen in der Halle. Wenn es etwas werden sollte mit der Idee vom Konzertsaal.

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Quelle:
SZ vom 06.07.2015
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