Konzertkritik: The XX:Die Kunst des Weglassens

Sind die wirklich so gut? The XX sehen aus wie eine Schülerband, aber im 59:1 brachten sie die Zuhörer zum Staunen. Auch Scarlett Johansson.

Gökalp Babayigit

Der Sänger trägt vergoldete Ketten, eine kurze Hose und eine Frisur, die ein wenig an Vanilla Ice erinnert - und es macht nichts. Die Gitarristin trägt ein Band-T-Shirt von ihrer eigenen Band - und es macht nichts. Das Publikum hört nicht auf zu murmeln - doch selbst das macht nichts. Auch wenn so einiges rein äußerlich dafür spricht, es mit einem Auftritt einer Schülerband zu tun zu haben im Club 59:1 an diesem Abend: Wenn The XX ihre Musik machen, ist alles revidiert, und das Gemurmel kann nur noch gedeutet werden als ungläubiges Staunen im Publikum: Was passiert hier gerade? Sind die wirklich so gut?

Die Musik der vier blutjungen Südwestlondoner zu verorten, fällt nicht sehr leicht. Auch wenn The XX vom für England typischen Hype-Mechanismus erfasst worden sind, haben sie nichts gemein mit all den Retro- und Retortenbands der vergangenen Jahre. Sie klotzen nicht in ihrer Musik, sie kleckern nicht mal. Sie reduzieren die Anzahl der Töne, sie entschleunigen ihre Melodien, sie zupfen ihre Gitarren, sie streuen elektronische Klänge ein. Sie setzen auf die Wirkung ihrer beiden Sänger, Oliver Sim und Romy Modley Croft.

Mit zerbrechlichem Timbre und traurigem Blick hypnotisieren die beiden das Publikum, wenn sie vom ersten Date, von der Liebe und vom Trennungsschmerz singen. Mal treten Sim und Croft in einen gesanglichen Dialog, mal singen sie aneinander vorbei, um im nächsten Lied gleichzeitig zu singen - allerdings verschiedene Texte. Wie bei der Instrumentalisierung kultivieren sie auch im Gesang die Kunst des Weglassens. Keine Effekthascherei, im Gegenteil, fast monoton und unterkühlt singt Oliver Sim, kraftlos und transparent klingt Romy Modley Craft. Wie anders und neu sich das anhört! Und wie sehr man sich diese traurige Musik zu Herzen nimmt!

Eigentümliche Atmosphäre

So entsteht im 59:1 eine eigentümliche Atmosphäre. Vorne vier traurig dreinblickende, in schwarz gekleidete und gerade volljährig gewordene Teenager, dicht nebeneinander in einer Reihe auf der Bühne, denen man nicht zutrauen würde, solch eine tiefgründige Musik zu machen. Im Publikum hippe Münchner, allesamt älter als die Band, denen man nicht zutrauen würde, solch eine tiefgründige Musik zu mögen.

Aber eigentlich muss sie mögen, wer ein Herz hat. The XX gehen mit einer Ernsthaftigkeit vor, wenn sie ihr elf Lieder umfassendes Gesamtwerk abliefern, ohne Umschweife, ohne irgend etwas zu zerreden zwischen den Songs. Sie erfreuen die Kenner ihres Debütalbums noch mit einer Coverversion von Womack & Womacks "Teardrops", das leider keinen Platz auf dem Tonträger gefunden hat. Und sie sind bescheiden genug, um sich nicht zu Zugaben hinreißen zu lassen. Was sollten sie auch tun? Ein Lied nochmal spielen?

Die Tournee dauert noch lange

Nein, die Tournee dauert noch lang, und The XX werden demnächst in New York spielen und in Kalifornien. Bis März werden sie auf die Bühnen trotten und erstmal verwundert beäugt werden, ehe sie ihre Musik für sich sprechen lassen. Und sie werden weiter in der Kunst des Weglassens demonstrieren. Apropos Kunst des Weglassens: Bei jeder anderen Band hätte Scarlett Johansson wohl mehr Platz in der Konzertkritik eingeräumt bekommen. Sie war nämlich auch im 59:1. Ganz Ohr.

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