Konzert: Nena in München:99 rote Luftballons fliegen noch einmal auf

Es war ein Abend geplant mit einer 50-jährigen zweifachen Oma, doch es wurde ein Abend mit Nena: aufregend, aber auch verstörend.

Thomas Hummel

Als es dann doch ein wenig lange dauerte, wurden die ersten Besucher unruhig. Einige begannen zu klatschen, manche rhythmisch, irgendwas musste man ja tun, um den ersehnten Abend mit dem Jugendidol endlich beginnen zu lassen. Die meisten Zuschauer in der gut halb gefüllten Münchner Olympiahalle aber saßen oder standen selbst um 21:10 Uhr noch traut beisammen, unterhielten sich, eine Frau auf der Tribüne las ein Buch. Was man eben so macht nach einem langen Tag im Büro.

Die Ruhe nach dem Arbeitstag sollte abrupt enden. Dieser Abend sollte aufregend werden, wunderbar, fröhlich und voller Erinnerungen. Aber auch verstörend, anstrengend. Es war ein Abend geplant mit einer 50-jährigen zweifachen Oma - doch es wurde ein Abend mit Nena.

Als Nena um 21:12 Uhr endlich die Bühne betrat, holte sie ihr zumeist gleichaltriges Publikum derart rockig aus dem Alltag, dass viele gar nicht wussten, was nun zu tun sei.

Nena in Glitzerhemd, Glitzerjacke, Glitzergürtel, Glitzerhose und Chucks interpretierte ihren Tour-Titelsong Made in Germany mit jugendlicher Energie, tanzte und sang wie ein junges Mädchen. Und das Publikum? Sollte es nun urplötzlich wieder jung sein? Wieder rocken wie damals? Und: Machen das die Bandscheiben noch mit?

Die Musik-Heldin der achtziger Jahre, die 1983 mit den 99 Luftballons zum Idol einer Generation wurde, ist nach fünfjähriger Pause zurück auf der Bühne. Naja, hätte man denken können, wieder so eine Veteranin, die mit den Fans von damals noch einmal Geld auf das Konto lockt, die ihren Alterskollegen die Jugend für einen Abend zurückholen will.

So dachten wohl auch viele der Münchner Zuschauer. Neunzig Prozent waren jung, als Nena jung war und hatten sich diesmal schwarze, enge Lederjacken angezogen. Einige brachten ihre Kinder mit.

Doch es wurde kein gemütlicher Ausflug ins Jahr 1983. Es wurde "eine Reise durch 25 Jahre", so wie die Sängerin es versprochen hatte. Eine ziemlich spannende Reise, denn Nena hat sich musikalisch viel vorgenommen für diese Tournee. Manchmal vielleicht etwas zu viel.

Die alten Lieder zum Beispiel "gehören dazu, aber man muss ihnen wieder neues Leben einhauchen", viel Liebe und Zeit investieren, sagt Nena. Bald schon durften die Menschen zu Nur geträumt johlen, doch war das nicht das Nur geträumt der Achtziger. Die Band legte einen Disco-Beat dahinter, man musste schon headbangen, um mitzuhalten. Das Lied Fragezeichen gab es als gelungene Unplugged-Version mit Akustikgitarre.

Jemand, der den Kontakt zum Publikum sucht

Nena nahm ihre Zuschauer mit auf eine Magical Mystery Tour durch ein Vierteljahrhundert Musikgeschichte. Es war beeindruckend und verblüffend, wie viele Genres die Band an einem Abend zu bieten hatte. Elektro-Rock-Beats à la Kraftwerk (Ich bin hyperaktiv), ein einfühlsames Duett mit Sohn Saskias (Ganz viel Zeit) bis zur fast hypnotisch wundervollen Ballade In meinem Leben, mit der sie gerade auf Nummer vier in die deutschen Charts eingestiegen ist.

Dabei wurde auch klar, dass Nena nie weg war, dass auch ihre neuen Lieder Beachtung verdienen. Auch das ein Unterschied zu vielen Rentner-Bands, die immer noch über die Bühnen tingeln.

Nie langweilig

Jedes Lied hatte seinen Reiz, es wurde nie langweilig, nie gleichgültig. Doch die Dramaturgie des Abends war voller Wechsel, sodass es bald schwer wurde, die Aufmerksamkeit zu halten. Umso erstaunlicher, dass es Nena doch immer wieder schaffte, ihr Publikum neu zu begeistern. Erst am Ende wurde es einigen offensichtlich zu viel. Noch bevor das letzte Lied nach mehr als zwei Stunden gespielt war, verließen sie die Ränge.

Dabei verpassten sie eine Replik auf ihre Jugend, auf die achtziger Jahre, als die Superstars der Musik in Sendungen wie Disco, Musikladen oder Hitparade auftraten.

Nena holte während der Zugabe 50 Fans aus der Arena zu sich auf die Bühne und sang mit ihnen Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Eine Gleichaltrige mit ähnlich kurzen Haaren wie die Sängerin durfte ins Mikrofon grölen, ein Junge aufs Schlagzeug hämmern. Kein Vergleich zum hyperindividuellen Starkult der Deutschland-sucht-den-Superstar-Generation. Hier suchte jemand den Kontakt zum Publikum, es geriet zum herzlichen Abschied Nenas, die so viel von Träumen, Gefühlen und dem Leben gesungen hatte.

Zurück in die USA

Dieses Leben wird sie nach eigener Aussage zu ersten Mal als Sängerin in die USA führen. Dort, wo sie 1983 mit den 99 red balloons als erste deutsche Interpretin die Charts eroberte, wird die 50-Jährige auf dieser Tour zum ersten Mal auftreten. Auch die Amerikaner werden eine Nena erleben, die sie so noch nicht kennen.

Schon alleine deshalb, weil dort immer noch viele Menschen glauben, Nena rasiere sich nicht ihre Achselhaare.

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