Kritik:Glanzvolles Ideengebirge

Kritik: Kevin John Edusei, Chefdirigent der Münchner Symphoniker, dessen Vertrag mit Ende der Spielzeit ausläuft.

Kevin John Edusei, Chefdirigent der Münchner Symphoniker, dessen Vertrag mit Ende der Spielzeit ausläuft.

(Foto: Eduardus Lee)

Die Münchner Symphoniker und Dirigent Kevin John Edusei machen Beethovens "Neunte" als ein Ringen mit der Lebenswirklichkeit erlebbar.

Von Klaus Kalchschmid, München

Alle Jahre wieder wird Beethovens 9. Symphonie zum Jahresausklang gespielt, denn sie ist mehr als nur eine Symphonie, "sie ist ein Politikum, ein Manifest, ein Ideengebirge, ein Vermächtnis, eine Projektionsfläche, sie kann Droge sein, oder Psychowaffe", so Eleonore Büning in ihrem Beethoven-Buch. Ob Hitler oder Stalin, die DDR oder Leonard Bernstein nach dem Mauerfall: Die "Neunte" lässt sich für jeden feierlichen Anlass ge-, aber eben auch missbrauchen. Meist geht es dabei freilich vor allem um den Schlusssatz mit Chor, Solisten und die berühmte Melodie von "Freude schöner Götterfunken".

Wie komplex aber schon die ersten beiden Sätze gebaut sind, wie Beethoven mit der Lebenswirklichkeit seiner Zeit ringt, wie er den Hörer immer wieder in die Irre und das Geschehen ins Extrem führt, das konnte man jetzt auch beim Konzert der Münchner Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Kevin John Edusei hören. Leider lässt er seinen Vertrag mit Ende der Spielzeit auslaufen. Publikum wie Musiker hatten anfangs bei aller Präzision immer mal Mühe die vielen widerstrebenden Ereignisse zu bündeln, zu gewichten und zu akzentuieren, aber auch die Verwerfungen als solche zu erkennen, zumal sich die Akustik der Isarphilharmonie deutlich unterscheidet von der des Gasteig mit ihrer Trennschärfe.

Auch später blieben kaum Wünsche offen

Aber mit dem gewaltigen langsamen Satz war das Orchester endlich ganz bei sich. Da verströmte es feinen Streicherglanz, in den sich die Bläser mal harmonisch als Klangfarbe, mal als Kontrast integrierten. Und auch später blieben kaum Wünsche offen, verstörend schön etwa das erste rein instrumentale Aufscheinen der Freuden-Melodie. Danach wurde dieses Finale als jene von Michael Gielen beschworene Quadratur des Kreises erlebbar, bei der Sonatenform, Fuge, Kantate und Variationsform als Summe der Musik aufeinandertreffen und die einzelnen, von Beethoven ausgewählten Strophen Schillers eine höchst unterschiedliche Ausformung erfahren, kulminierend im Ringen um den Schöpfer der Welt! Der 40-köpfige "Beethovenchor München" machte seine Sache ausgezeichnet, wie auch die Solisten Katharina Persicke, Kristina Stanek, Jörg Dürmüller und Tobias Berndt.

Ganz am Ende, wenn plötzlich erneut eine seltsam säbelrasselnde Marschmusik ertönt, wurde endgültig klar, dass Beethoven nicht den Ist-Zustand komponierte, sondern die verzweifelte Hoffnung, dass Schillers "Alle Mensch werden Brüder" irgendwann Wirklichkeit werden könnte. Und das ist heute vielleicht noch dringlicher zu wünschen als vor fast 200 Jahren.

Einige Konzerte der Münchner Symphoniker mussten zwar abgesagt oder verschoben werden, aber stattfinden wird in der Isarphilharmonie Orffs "Carmina Burana" mit dem Münchener Bach-Chor und Lauren Urquhart, die gerade einen schönen Liederabend in München gab (23. Januar). Am 22. März gibt es unter Mark Rohde das Beethoven-Violinkonzert (Solistin: Liya Petrova) und Tschaikowskys "Pathétique". Am 28. April steht erneut Beethoven, die 5. Symphonie, das erste Tschaikowsky-Klavierkonzert mit Mariam Batsashvili und Mendelssohns "Sommernachttraum"-Ouvertüre unter Leitung von Jonathan Bloxham auf dem Programm.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: