Konzert in München:Übertalentiert, größenwahnsinnig, Marsimoto

Marsimoto

Marsimoto umgeben von grünen Nebelschwaden (Pressefoto).

(Foto: Maggie Herker)

Kürzer als eine Wagner-Oper, aber deutlich mehr Nebel und ähnlich viel Größenwahn: Marsimoto aka Marten Laciny ist ein ausgesprochen talentierter Marsmensch - und nur zum Musikmachen auf München-Mission.

Konzertkritik von Saskia Aleythe

Das Konzert dauert nicht 16 Stunden wie der Opernzyklus von Richard Wagner, ist dafür aber ganz schön grün: Marsimoto taucht in der ausverkauften Tonhalle in München auf und bläst zu seinem Album "Ring der Nebelungen" reichlich Nebel in die Luft. Eine Konzertkritik in fünf Punkten.

Warum tun wir uns das an?

Um mal kurz ein Marsmensch zu sein. Oder zumindest um einem zuzuhören, diesem Marsianer auf Erdenbesuch, der Marsimoto sein soll. Tief im Innersten aber: Um ein bisschen an den Talentfestspielen von Marten Laciny teilzuhaben. Jener Laciny war eigentlich dazu bestimmt, Profifußballer zu werden und schon in der deutschen U-Irgendwas. War dann kurz Model in den USA für Hugo Boss und Co. Entschied sich aber doch fürs Rappen. Und kann sich nun auch noch aussuchen, ob er gerade mal als Marteria die Rock am Rings der Nation behelligt oder als sein Alter Ego Marsimoto durchs Land tourt. Karriere kann er.

Erst Ende August hatte er als Marteria in Dresden sein vorerst letztes Konzert gegeben, 12 000 Zuschauer waren da, als er mit belegter Stimme seine unbestimmte Tourpause verkündete. Aber ein Laciny muss sich nur ein Millisekündchen grämen, denn schon im November ging's als Marsimoto weiter. Die Zutaten für seinen zweiten Rapcharakter (der eigentlich der erste war): Mehr Wut im Marsianer-Bauch, weniger kalkulierte Massenhysterie, mehr Elektrobeats, eine Maske und - vor allem - eine in die Höhe verzerrte Stimme. Das würde bei den meisten Menschen ins Schlumpfartige ausarten, klingt bei Marsimoto aber immer noch angenehmer als mancher Kollege a capella.

Was haben wir uns von dem Konzert erwartet?

Eine kleine Entführung in galaktische Gedankengänge. Das muss gar nicht weh tun, das Nachdenken, das ist so eine Marsimoto-Lehre. Vordergründig rappt er am liebsten übers Kiffen, aber mit einer Gesetzlosigkeit, ohne die so manche Sprachschönheit nicht entstanden wäre. "Jeder Gang macht schlang, jede Gang macht Slang", zum Beispiel. Oder: "Ich sitz' mit `ner Packung Salzstangen unterm Zuckerhut, gut Portugiesisch sprech' ich schlecht, schlecht Gitarre spiel ich gut." Jaja, klingt alles banal. Ist aber trotzdem schön. Und tiefer geht's ja auch:

Tatsächlich ist die ganze Kifferei-Attitüde nur ein Deckmantel für so manches, was sich das außerirdische Kerlchen im Vergleich zu einigen Erdenbewohnern bewahrt hat. Marsimoto ist mal fasziniert (vom Kiffen sowieso, von Pinguinen im Speziellen), trotzig wütend (nicht nur gegenüber Nazis) und auch sentimental (wenn's um die Jugend in den 90ern geht). Und alles mit Begeisterung.

... und wie war's dann?

Ziemlich neblig. Der Albumtitel "Ring der Nebelungen" wird hier sehr wörtlich genommen. Wann immer die Sicht auf die Bühne allzu klar wird, presst sich die nächste Wolke unters Dach der Tonhalle. Zwischendrin ein Mann mit Maske im reflektierenden Anzug, die marsmenschgewordene Rettungsdecke mit Kapuze. Und die ist ganz bei sich.

Marsimoto wiegt, Marsimoto bounct, die Lichter zucken im Beat, meistens grün, manchmal rot oder blau. Mal Vollkaracho, mal mehr Tempo 50, aber immer eine Nummer schneller als die meisten Lieder im Original aufgenommen sind. Zusammengesetzt aus mittlerweile vier Alben, die immer noch eine Einheit bilden, dazwischen Pausen, die gerade lang genug zum Luftholen sind.

Die erste Welle neuer Songs ebbt mit "Usain Bolt" ab, Marsimoto schafft's nämlich "in genau neun Sekunden von hier bis zum Mond", dann wird's mit dem Track "Anarchie" wilder, Marsimoto hüpft alles andere als benebelt. Doch so langsam kommen doch Sorgen um den Künstler auf: Schwitzt der sich in seinem Anzug nicht zu Tode?

Der beste Moment des Abends?

Größenwahn, allerdings berechtigter, gehört zu Marsimoto wie zu Marteria. Er ist natürlich ein ausgesprochen übertalentierter Marsmensch ("Bin aus Atom, `ne gespaltene Person. Mein kleiner Zeh versorgt Las Vegas jetzt mit Strom"), deswegen streift er sich nun mitten im Konzert über die Marsmensch-Maske und Kapuze auch noch eine gigantische Indianer-Perücke passend zur Apachen-Hommage. Kopfnickend. Ohne Unfall. Aber garantiert mit Muskelkater.

Das Konzert wäre nichts für Sie gewesen, wenn...

... Sie ohne ausgetüftelte Bühnenbilder, Feuerwerke und Zwischenanekdoten des Künstlers etwas vermissen. Auf der Bühne war wenig Pomp, Marsimoto feierte mit den 2400 Zuschauern ehrgeizig und ausgiebig, pur ohne Choreo oder Tänzer. Gequatsche zwischen den Liedern gab es nicht, da Marsimoto auch keine Interviews gibt, war das nicht anders zu erwarten. Er ist nur zum Musikmachen auf Erdmission. Menschlich wird's nur einmal: Als er bei der zweiten Zugabe eine Reihe seiner allerersten Songs wieder spielt und kaum glauben kann, dass die nach zehn Jahren immer noch funktionieren. Dass es Leute gibt, die schon damals dabei waren. "Das ist mehr als nur Musik", sagt Marsimoto. Oder Marten Laciny.

Um kurz vor 23 Uhr geht jedoch auch diese Mission zu Ende. "Das wars, ich muss zurück zum Mars", ruft Marsimoto. Und verschwindet wieder im Nebel.

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