Konzert in München:"Eine Helene-Fischer-Show ist wie eine Wagner-Oper"

Helene Fischer bei Konzert in München, 2018

Helene Fischer tritt vor 11 000 Zuschauern in der Münchner Olympiahalle auf.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ihr erster von fünf Auftritten in der Münchner Olympiahalle ist ein absolutes Spektakel für die Fans. Und ein Musikpsychologe sieht die Sängerin in einer Liga mit den ganz großen Stars.

Von Christiane Lutz

Helene Fischer bittet um Popcorn. "Den ganzen Abend riech' ich das schon und hab noch nix abbekommen!" Sie schwebt in der Mitte der Olympiahalle auf einem runden Podest. In ihrem roten Kleid sieht sie aus wie eine dieser Disney-Prinzessinen und schaut hinab zu ihren Untertanen: zu Männern, Frauen und Kindern. Die schauen verliebt zu ihr hinauf, ein paar strecken ihr Popcorntüten entgegen, aber natürlich ist die Prinzessin viel zu weit weg.

Helene Fischer, daran besteht kein Zweifel, hat sich an diesem Abend mindestens eine Tüte Popcorn verdient. Denn diese Frau ist ungeheuer fleißig. Sie ist sich für nichts, aber für gar nichts zu fein. Es ist der erste Abend ihrer Münchner Konzerte, Konzertserie kann man sagen, denn sie tritt fünfmal vor je 11 000 Zuschauern in der Olympiahalle auf. Schon bei den ersten Nummern hängt sie an Seilen von der Decke, schwebt im Spagat, trommelt mit ihren Musikern und stürzt sich aus dem Bindestrichlein eines überdimensionalen "H", in dem sie zuvor getanzt hatte.

Ach ja, das Tambourin, das an ein paar unbedeutenden Stellen des Konzerts zum Einsatz kommt, das schlägt sie mit der Hacke ihres Schuhs. Warum anderen überlassen, was man selbst auch kann? "Ich habe auf dieser Tour schon 60 Shows gespielt - und es fühlt sich keinen Tag wie Arbeit an", sagt sie. Das ist natürlich schamlos kokettiert, aber das Publikum rastet trotzdem aus.

"Das ist ja mein Satz", sagt Janina Homann, die die Show bis zu diesen Worten eher still verfolgt hat. Ihr Satz, also, dass sich die ganze irre Performerei nicht nach Arbeit anfühle, den hat Homann oft gesagt, dieses Jahr beim Fasching. Sie ist die noch amtierende Prinzessin der Münchner Narrhalla und hat sehr, sehr viele Nächte zwischen Menschen verbracht, die zu Helene Fischers Musik feierten. Sie wolle nicht eitel klingen, sagt Homann, aber ihr Job sei dem von Fischer gar nicht so unähnlich. Beide wollen den Menschen Freude machen.

Der Fasching ist wie ein sehr langes Helene-Fischer-Konzert (nur mit schlechteren Kostümen), die Zuschauer lassen sich nur zu gern mitreißen und suchen hier wie da wohl ein paar Momente der Ausgelassenheit, vielleicht suchen sie sogar etwas Glück. Sie schaue den Menschen wahnsinnig gern beim Glücklichsein zu, sagt Homann, und das erklärt, warum sie beim Konzert auch lieber andere Fans beobachtet, statt selbst mitzusingen. Auf den Leinwänden schimmert Fischers symmetrisches Gesicht fast golden, und Janina Homanns Augen mit den superlangen Wimpern glitzern auch. Ihre Schnörkelfrisur hat sie sich zum Konzert extra vom Frisör machen lassen. Eine Prinzessin arbeitet für die andere.

"Bei Helene Fischer stimmt einfach alles"

Helene Fischer indes ackert und singt sich durch ihr gewaltiges Programm, die dreistündige Show ist ein absolutes Spektakel. Sie hat für die Tour Artisten des Cirque du Soleil angeschleppt, entschuldigt sich für jeden Kiekser in der Stimme und plaudert mit ihren "Lieben", also dem Publikum. Sogar zu einer halbwegs politischen Botschaft lässt sie sich hinreißen: Alle sollten respektvoll miteinander umgehen, egal, woher jemand komme und wen er liebe. Natürlich wechselt sie diverse Male ihre Outfits: auf Seeigel-Anzug folgt goldenes Warrior-Kleidchen, auf ein türkisfarbenes Wickeldings ein Fontänen-Rock, aus dem Wasser schießt. Warum, fragen Zyniker. Warum nicht, fragen ihre Fans.

"Bei Helene Fischer stimmt einfach alles: Singen, Tanzen, Aussehen, der Ton mit dem Publikum. Sie hat hart dafür gearbeitet, und was sie tut, ist hochprofessionell. Sie erinnert mich an Michael Jackson." Das sagt nicht etwa ein weiterer Fan, das sagt Eckart Altenmüller, Professor für Musikpsychologie. Einer, der untersucht, was Musik mit Körper und Geist anstellt. So ein Wissenschaftler, der muss es ja wissen, auch wenn er an dem Abend nicht beim Konzert dabei ist.

Er lobt Fischers Stilmix aus Schlager, Rock, Disco und Techno, das mache ihre Musik "transgenerational", also: für Omas, Eltern und Kinder. Und ihre Texte, ach, die seien von großer kultureller Metaphorik. Stärke, Grenzüberschreitung, der Traum der Freiheit in der Nacht: "Die Sehnsucht nach Dazugehörigkeit und Liebe, das Brüchige dieser Welt, das hat schon bei ,Yesterday' von den Beatles funktioniert." Altenmüller weiß außerdem, dass der optische Eindruck eines Musikers beim Hören der Musik etwa 40 Prozent ausmacht. Künstler wie Helene Fischer und David Garrett hätten das einfach kapiert.

Die Verbündete in der Glücklichmach-Mission

Garrett, indem er sich in der fliegetragenden Klassik als Cowboy inszeniert, Fischer, indem sie golden in ihren Megashows schimmert. "Dass das nicht den Geschmack der sogenannten Intellektuellen trifft, ist klar. Aber auf Fischer einzudreschen, halte ich für hochnäsig." Für ihn ist die Sache klar: "Eine Helene-Fischer-Show ist wie eine Wagner-Oper." Vielleicht stimmt der Vergleich: Pomp, Pathos, lange Abende und von allem ein bisschen zu viel. Und Wagner, den lieben ja auch Millionen. Und andere halt überhaupt nicht.

Janina Homann hat sich derlei Gedanken noch nie gemacht, für sie ist Helene eben die Verbündete in der Glücklichmach-Mission. Fischers Makellosigkeit störe sie nicht, sie habe ja nicht vor, sich mit dieser Frau zu identifizieren, sie schaue ihr einfach gern beim Perfektsein zu.

Und Fischer reißt sich wirklich den, Entschuldigung, perfekten Hintern auf, um ihren Fans den schönen Abend zu bescheren, den sie immer wieder beschwört. Sie weiß genau, was ihre Lieben von ihr sehen wollen und ist wild entschlossen, es ihnen auch zu geben. Als es einem Mädchen endlich gelingt, ein einzelnes Popcörnchen auf das Podest zu werfen, zögert Helene Fischer eine Millisekunde, dann steckt sie es in den Mund und isst es auf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: