Konzert in der Haftanstalt:Hinter jedem Gitter sitzt ein Mensch

Stadelheim September 2019

Im Publikum sitzen Menschen aus allen Herren Ländern, die das Leben in einer bestuhlten Blechhalle zusammengeführt hat.

(Foto: Korbinian Eisenberger)

Schon die Aura des Gefängnisses Stadelheim ist bedrückend. Wie hält man es hinter diesen Mauern aus? Ein Auftritt der Band "Roxaiten" zeigt: Auch dort geht das Leben weiter.

Von Korbinian Eisenberger

Der Knast macht auf Kneipe. Die Tore sind geschlossen, die Ausgänge versperrt, und drinnen steht ein Mann mit E-Gitarre und singt Hotel California. Das bekannte Lied der Eagles, den "Adlern" aus den Staaten, kaum ein anderer Bandname, der das Gefühl von Freiheit besser ausdrücken könnte. Wer aber diesen Auftritt sehen will, muss hinter Gittern sitzen. Genauer: In der Gefängnismensa von München Stadelheim, wo gerade eine Band aus Grafing vor einhundert Männern spielt. Die Häftlinge dürfen nicht von ihren Stühlen aufstehen. Also tanzen sie einfach so gut es geht im Sitzen zu Hotel California. What a nice surprise, bring your alibis, heißt es in einer Songzeile.

Stadelheim ist eines der größten Gefängnisse Deutschlands, steht in Giesing und beginnt hinter einer sechs Meter hohen Schiebewand in Grün. Hoffnung kommt dabei nur in eine Richtung auf: Man will das grüne Tor möglichst schnell wieder von außen sehen. Bedrückend wirkt die Aura dieser gigantischen Gefangenenburg. Allein die Mauern, die Türme, und ihre bewaffnete Besatzung, die im äußersten Notfall auch abdrücken kann. Wie lässt es sich hinter diesen Mauern aushalten?

Stadelheim September 2019

Die Band spielt unter anderem Songs von den Eagles und Deep Purple.

(Foto: Korbinian Eisenberger)

Ausgerechnet diesen Ort haben sie sich ausgesucht: Fünf Männer und eine junge Frau, zusammen nennen sie sich die Roxaiten, Geige, E-Bass, Gitarren und Gesang. Klaus Beslmüller ist der Kopf der Grafinger Band, ein 56 Jahre alter Mann mit Mantel und Hut, Künstlertyp, Architekt und Kirchenmusiker. Vor zwei Jahren ist er schon mal hier aufgetreten. Ähnlich wie Johnny Cash, Pionier der Gefängniskonzerte, der nach seinem legendären Gastspiel im kalifornischen Folsom-Gefängnis einst von Wärtern in "Todesangst" sprach, weil die Gefangenen außer sich waren. Beslmüller sagt: "Ich gehe davon aus, dass nur kommen darf, wer sich gut geführt hat."

Mittagsstunde in Stadelheim, noch 30 Minuten bis Konzertbeginn. Die Roxaiten sind beim Soundcheck, solange führt der Justizvollzugsbeamte Michael Zaunick über das Gelände. Der 54-Jährige ist so etwas wie der Eventmanager hier, der einzige Beamte, der an diesem Tag keine Uniform trägt, sondern ein Seenotrettungs-Shirt. Ein Mann, mit zehn Jahren Stadelheim-Erfahrung, der einerseits sagt: "Wenn du diese Mauern betrittst, gibst du dein Handy, deinen Ausweis und deine Identität ab." Er sagt aber auch: "Hier gibt es Hunderte Zellen, und hinter jedem Gitter sitzt ein Mensch."

Stadelheim September 2019

Die Grafinger Band spielt zwei Stunden lang in der Gefängnismensa in Stadelheim.

(Foto: Korbinian Eisenberger)

Darum geht es ihm. Seine Aufgabe ist der Mensch, nicht der Häftling. Deswegen steht er jetzt vor sechs Musikern auf der Bühne und winkt die Männer aus dem Nordbau herein. Von zwei Beamten begleitet, stürmen sie regelrecht nach vorne und besetzen die ersten Reihen. Auch ohne Johnny Cash braucht es in der Gefängnismensa zusätzliche Stühle. Zaunick begrüßt Gefangene und Personal, ein Handschlag hier, ein "Servus" da. Wie er mit all dem umgeht? "Ganz normal", sagt Zaunick, "so wie mit den Leuten draußen auch".

"So wie hier im Gefängnis geht unser Publikum sonst nie ab"

Klaus Beslmüller und seine Truppe spielen "Time for bedlam" von Deep Purple. Saying farewell to daylight lautet eine Zeile, und auch in der Halle mit den Neonröhren ist es ein Abschied vom Tageslicht. Mit gebrochenen Fingern kratze ich mich durch die Wände des Kerkers, so die übersetze Zeile aus dem Deep-Purple-Song. Vorne links wippt das erste Knie im Takt mit. Es dauert eine Viertelstunde, da bewegen sich auch die hinteren Reihen zur Musik. Weiße und Schwarze, Männer aus anderen Ländern und Einheimische - hundert Menschen mit hundert Geschichten, die das Leben in dieser Halle zusammen geführt hat.

In Stadelheim sind Häftlinge aus 70 Nationen untergebracht, die meisten davon aus Deutschland, viele in U-Haft, also in laufenden Verfahren - deshalb sollen sie nicht mit Reportern sprechen. 1500 Menschen haben in Stadelheim Platz, 1430 sind es an diesem Tag Mitte September. "Vom Eierdieb bis zum Mörder", sagt Zaunick. Der Großteil sitzt wegen Diebstahls, Körperverletzung oder Drogendelikten, das geht aus der Gefängnisstatistik hervor. Weil die Fluktuation recht hoch ist, halten sich in den Zellen pro Jahr aber insgesamt 5000 Männer auf. Gerade in diesen Tagen ist wieder viel Bewegung in den Trakten und am grünen Tor. "Vor dem Oktoberfest müssen wir jedes Jahr Platz schaffen", sagt Zaunick. "Nach einer Massenschlägerei im Bierzelt kann es sein, dass wir hier viele unterbringen müssen." So werden immer im September Straftäter aus Stadelheim in andere Gefängnisse verlegt. Weil sich die Besucher der Festwiese verlässlich daneben benehmen.

Stadelheim September 2019

Die Roxaiten (von links): Sophia Jeanty, Lukasz Kolny, Martin Deubel, Tonmann Philippe Jeanty, Max Leutmayr und Klaus Beslmüller. Vorne: Michael Zaunick.

(Foto: Korbinian Eisenberger)

Im grellen Licht der Mensahalle gilt: Wer Benimmregeln bricht, ist für Konzerte oder Lesungen raus. Zaghaft, fast schüchtern schleicht eine Gruppe Männer in den Raum. In der vorletzten Reihe dreht sich einer zum Hintermann um: "Kannst du gut sehen?" Je nach Gebäude tragen sie verschiedene Blautöne, manche haben Basketballshirts oder bunte Pullover an, das ist regelkonform. In den Reihen sitzen Männer, die gut und gerne in der US-Knastserie Prison Break mitspielen könnten, doch das sind die wenigsten. Ein Mann mit welligem grauen Haar sitzt in Häftlingsmontur auf seinem Stuhl, aufrecht, mit erhobenem Kinn, der stolze Blick ist ihm nicht abhanden gekommen. Er wippt im Takt und singt leise mit, es scheint, als könne er jedes Lied auswendig.

Es sind Momente, die kurz vergessen lassen, dass man in einem Gefängnis unter Häftlingen sitzt. Klar, für die Insassen gibt es Tischtennisplatten, das Fußballfeld, eine Bibliothek oder den Schulungsraum, in dem ein Aquarium steht. Mit einem Bartagamen-Reptil namens Spezi, das solidarisch mit den Häftlingen in Gefangenschaft lebt. "Den meisten hier sieht man trotzdem an, wie sehr sie sich nach Abwechslung sehnen", sagt Sophia Jeanty, Chemikerin und als Musikerin sonst in Kneipen und Theatersälen unterwegs. Sie sagt: "So wie hier im Gefängnis geht unser Publikum sonst nie ab."

Das Konzert neigt sich dem Ende, und auf den Sitzen wird geklatscht und gejohlt, fast wie bei einem Open Air, nur dass die Leute weniger bunt gekleidet sind. Der blecherne Hall ist vergessen. Zum Instrumetal-Stück "Carry on Jon" - Mach weiter Jon - bewegen sich die vorderen Reihen wie in Trance. Ein Mann in Gefangenenkluft sitzt ganz außen. Er trägt eine Brille, hat eingefallene Wangen, dünnes grauschwarzes Haar. In der einen Hand hält er eine bunte Kette fest, die andere hat er auf seine Brust gelegt. Wie jemand, der gerade an eine schöne Zeit denkt, die lange zurück liegt.

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