Ist Konstantin Wecker des Lebens müde? Darauf könnte kommen, wer sein Lieder- und Gedichtealbum "Utopia" hört. 74 (seit 1. Juni) ist noch kein Alter für einen Münchner Lebemann. Doch hört man ein Rieseln, Knacksen, Ächzen aus einigen Versen. Da fleht Wecker in "An die Musen" dieselben an, ihm auf die Beine, die "nicht mehr ganz so standhaft sind", zu helfen: "Einmal nur noch aufersteh'n, aus den Trümmern meines Lebens ..."
Freilich kann das auch ein Trick sein, hemmungslose Küsse von den guten Geisterinnen abzustauben, quasi die Mitleidsmasche. Aber interessant ist eben schon, dass Wecker auf diese Weise - "atemlos der Kunst geweiht" - dem "Alter trotzen" will, "das sich ungefragt in meinem Körper breit macht. Und ich will vergessen, dass dieser Zahn nun auch an meiner Zeit nagt."
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Wedelt Wecker hier das Vergreisen noch kokett und mit melodischem Schwips aus, hat es ihn in einem anderen Stück eingeholt: "Die Tage grau und du versuchst zu leben, und du weißt genau, du wirst nie wieder schweben." In Moll gehüllt, sinniert er über das Ende, ein Ende mit dem Schrecken des Kontrollverlustes, dem Verlust der Persönlichkeit, ein Restsein mit "Gedankenfetzen", die einen zerreißen und die Sprache, die einst so sprudelnde, "zerstückeln". Soweit ist Wecker noch lang nicht. Umso stärker ist diese Projektion.
"Die Tage grau" ist verdichtete Angst vor dem Sterben. Wecker habe Freunde beobachtet, die ihre dementen Eltern pflegten, "das ist grausig, wenn du nicht mehr erkannt wirst", sagt er und erzählt, dass es auch bei seiner Mutter ansatzweise so war. Bisher war das kaum Thema in seiner Kunst, sagt er. "Jetzt bei ,Utopia' fiel mir auf, dass ich mich viel mit dem Alter beschäftigt habe. Das ist gut so, denn es hilft mir auch."
"Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich ein spiritueller Mensch bin"
Die Leiden des alten Wecker? Längst nicht nur. Es ist nicht wie beim liebesmüden Werther, es ist eher wie beim anderen Goethe-Star, dem Faust, in den Wecker im Prolog schlüpft: "Wer bin ich nur?" Der arme Tor müht sich in 17 Titeln durch die Schleier aus Gewohnheit, (Ver-)Bildung und Ego-Täuschung, seinen wahren Kern zu erspähen. Das sei die wahre Stärke und Aufgabe des Alters, weiß Wecker: "Man erkennt, dass man von einem falschen zu einem wahren Selbst gelangen kann, das man durch die Ratio nicht ansatzweise erfassen kann. Ich bin kein Gegner der Vernunft, die ist wichtig. Aber mein Leben lang habe ich gespürt, dass mich die Poesie dorthin führen kann." Klingt esoterisch, ist es auch. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich ein spiritueller Mensch bin", sagt Wecker, er meditiere, nun aber meistens an den Klaviertasten.
Bei seiner Suche nach dem Innersten (der Welt) ist Wecker aber keinen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Er hat ihn ausgetrieben. Er habe sich von seinem Aufklärungsportal "Hinter den Schlagzeilen", gegründet im Irakkrieg, trennen müssen, weil sich dort dubiose Artikel eingeschlichen hätten, auch für "Rubikon", das "Online-Magazin für die kritische Masse", schreibe er nichts mehr, seit dort Verschwörungsmurks auftauchte.
Ein Wecker, egal wie alt, verstummt aber nicht. Er postet Kritisches auf Facebook, baut das Youtube-Magazin "Weckerswelten TV" auf, gibt dafür auf dem Mäzenen-Portal Patreon dem zahlenden Gefolge exklusive Einblicke in alles mögliche. Und er hat wieder ein Buch verfasst: "Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten" (Kösel) ist sein "Plädoyer für Kunst und Kultur" in der Pandemie. Er hat die Gedanken aus einem absurden Jahr gesammelt, über sein Antikriegs-Stream-Konzert zu Ostern '20. Über seinen abermals wiederholten Weckruf "Willy", den er 2020 einem Vili widmete, einem der neun Opfer des rechten Terrors von Hanau.
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Er schreibt über Fans, die ihre Wecker-Platten zu verbrennen drohten, wenn er ihnen nicht ins Querdenkerlager folge ("Das ist mir scheißegal. Ich würde nie bei einer sogenannten rechtsoffenen Demo mitlaufen."). Über die Alten in den Heimen, die die Regierung zu besuchen verbot. Und Essayistisches über Anarchie und Utopie. Das Buch ist die Sekundärlektüre zum poetischen Album "Utopia".
Dieses ist seit "Ohne warum" vor sechs Jahren Weckers erste Langspielplatte mit neuen Stücken. Einige Verse hat er mit kleiner, feiner Besetzung (Fany Kammerlander am Cello, Joe Barnikel am Flügel, Thomas Simmerl an den Drums, Severin Trogbacher an der Gitarre) veredelt. Allein "Das wird eine schöne Zeit" stammt aus den Achtzigern. Er hat die alte filmreife Partitur mit Musikern der Bayerischen Staatsoper ins Heute geholt, vor allem wegen des ewiggültigen Refrains: "Das wird eine schöne Zeit, wenn Krieger vor Liedern fliehen und Waffen Gedichten erliegen." Utopisch!
Wecker ist in Hochform. Er hat so lange mit dem Album gewartet, weil ihm davor einfach nichts zugeflogen sei, erklärt er. Früher hätten ihn die Liederzyklen zwei Mal im Jahr überfallen, wenn man alt sei, habe man halt schon über so viel geschrieben, und erzwingen kann er nichts, seine Lieder "passieren" ihm. In der Corona-Leere habe er zwar "die geistigen Umarmungen mit dem Publikum" vermisst, aber immerhin habe sie ihn mit neuen Liedern gefüllt.
Irgendwie ist "Utopia" ein Hippie-Album geworden
Genau zur richtigen Zeit, denn politisches Liedermachen ist gerade in. Und in der sozialen Verhärtung nötigst. Wecker selbst führt das Label Sturm & Klang, auf dem dem Erfahrenen, Geschichtsbewussten 30 Jünger(e) nacheifern; und er freut sich über das neue Solo-Album des Antilopen Gang-Rabauken Danger Dan, der statt zu rüpeln hier in Bezug "Wader/Wecker/Mey" singt. Die Themen sind die selben: Ungehorsam gegen alle Machtlüsternen (und sei es das eigene Ego).
Aber nicht, dass Wecker jetzt andererseits auf die Idee käme zu rappen. In "Warum Sonette" erklärt er, warum er nun, wo "modernere Rhythmen angesagt" wären, statt der von Hip-Hoppern strapazierten Assonanzen doch wieder wie sein persönlicher "Abgott" Rilke auf die altmodischen Endreime vertraue: Denn sie ließen ihn, der sein Leben "schamlos ungereimt geführt" habe, "das Andere" in sich spüren.
Politik, Weltenseele, Wut und Liebe - irgendwie ist "Utopia" ein Hippie-Album geworden. Kein Wunder, dass der Titelsong nah John Lennons "Imagine" in eine Welt ohne Bosse, Ehrgeiz, Neid, Himmel und Hölle folgt: "Nennt mich gerne einen Spinner, der nicht passt in unsere Zeit, doch ihr lebt in einem Alptraum, mein Traum ist die Wirklichkeit." Allein die Liebe sei der Grund allen Seins, dichtet Konstantin Wecker zum Schluss, und dafür lebt er auf.