SZ-Serie: Pixelhelden:Jump-and-Run aus München

Lesezeit: 3 min

Muss durch ein verfluchtes Königreich hopsen und allerlei Gefahren ausweichen: die kleine, blauhaarige Spielfigur Monster Boy. (Foto: FDG Entertainment)

Die kreativsten Köpfe und erfolgreichsten Macher in Bayerns Welt der Computerspiele. Heute: Die Münchner Firma FDG Entertainment hat mit "Monster Boy and the Cursed Kingdom" ein äußerst erfolgreiches Jump-and-Run-Spiel für Konsolen entwickelt

Von Josef Grübl

Auf dem Menü stehen Schlange, Schwein, Löwe oder Frosch. Wer jetzt glaubt, man befinde sich auf einem Wildtiermarkt in Wuhan, liegt aber falsch: Das Menü ist ein Spielmenü, die genannten Tiere sind nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Pixeln. "Monster Boy and the Cursed Kingdom" heißt das Computerspiel, in dem ein Junge durch das titelgebende verfluchte Königreich hopsen und allerlei Gefahren ausweichen muss. Dabei kann er auf tierische Hilfe vertrauen: Wenn es brenzlig wird, verwandelt er sich in einen Frosch mit Lasso-Zunge, eine durch sämtliche Schlupflöcher kriechende Schlange oder ein Schwein mit Supernase. Dazu dudelt Musik, die wahlweise abhängig oder aggressiv macht, die Figuren rennen und springen aber immer weiter. Kein Wunder, handelt es sich doch um ein sogenanntes Jump-and-Run-Spiel.

Dieses hier erschien im Dezember 2018, es erinnert an japanische Games aus den Neunzigerjahren. Entwickelt und vertrieben wurde es von der Münchner Firma FDG Entertainment, die damit einen Hit landete: Allein im ersten Monat nach der Veröffentlichung auf Spielekonsolen wie Playstation, Xbox One oder Nintendo Switch wurden 50 000 Exemplare verkauft. Die Firma sitzt in einem schönen Altbaubüro in Neuhausen-Nymphenburg, im selben Haus residieren Rechtsanwälte, Ärzte und Steuerberater. Wer bei den Spielemachern klingelt, wird an der Eingangstür gebeten, die Schuhe auszuziehen. Im Flur hängen "Monster Boy"-Banner, auf Socken geht es daran vorbei in die Küche.

Philipp Döschl freut sich über den Besuch, der vor dem Corona-Lockdown stattfindet, es gibt Wasser und Kaffee, dann fängt er an zu erzählen. Der gebürtige Münchner trägt eine Baseball Cap mit darauf abgelegter Sonnenbrille, die Firma hat er im Jahr 2001 mit seinen Freunden Thomas Kern und Markus Görl gegründet. Sie wollten Spiele für unterwegs anbieten, die man auf dem Weg zur Arbeit, vor der Schule oder in der Warteschlange spielen konnte. Heute ist das alltäglich - um die Jahrtausendwende, als es noch keine Smartphones gab, war der Markt noch kleiner. Die drei Gründer erkannten das Potenzial, ihr Firmenname steht für "Future Design Group". Den kreativen Blick nach vorne brauchten sie auch, denn es sollten bald turbulente Zeiten auf sie zukommen.

In den Anfangsjahren waren vor allem Java-Games gefragt, kleine Spiele auf dem Handy also. "Damals bin ich von wildfremden Menschen beschimpft worden", erinnert sich Döschl. Er hatte zwar nichts mit Jamba-Klingeltönen, verrückten Handyfröschen oder anderen Abo-Fallen zu tun, wurde aber trotzdem ständig diesem von Goldgräbern unterwanderten Geschäftszweig zugerechnet. Zur selben Zeit kamen immer mehr Handys auf den Markt, was die Entwicklungsarbeit deutlich erschwerte: Jedes Spiel musste individuell angepasst werden, an Displaygrößen oder Auflösungsraten etwa. Die Kosten stiegen, gleichzeitig gingen die Erlöse zurück, die Spielemacher standen am Abgrund.

Philipp Döschl gründete die Firma im Jahr 2001. (Foto: FDG Entertainment)

Irgendwann lagen 120 Handys im Büro herum, von Motorola, Nokia oder Sony Ericsson - auf jedem einzelnen testeten sie jedes einzelne Spiel. Als Apple im Jahr 2007 das erste iPhone herausbrachte, kam die Wende: Dieses Telefon war nicht nur eine Revolution auf dem Handy-, sondern auch auf dem Spielemarkt. "Bobby Carrot Forever" hieß das Game, das FDG über den App Store verkaufte, darin durften die Spieler mit einem Hasen nach goldenen Karotten suchen. "Plötzlich konnte man mit ein paar Mausklicks ein Spiel weltweit auf den Markt bringen", sagt Döschl, "das wäre davor undenkbar gewesen." In den Jahren darauf folgten weitere Games, viele von ihnen waren Jump-and-Run-Spiele in Retrooptik - wie sie die drei Firmenchefs selbst gerne spielen. Vertrieben werden sie überall auf der Welt, sie laufen auf mobilen Betriebssystemen wie Android und iOS, aber auch auf Computern und Konsolen. Aktuell arbeiten zwölf Menschen für FDG, die Firma konzentriert sich auf die Vermarktung und Herausbringung von Produktionen aus Partnerstudios.

"Monster Boy" etwa wurde von einer französischen Spielefirma entwickelt. In Zukunft soll es auch Eigenproduktionen geben, vom Aufwand her sind sie vergleichbar mit Spielfilmproduktionen. "Es gibt viele Parallelen", sagt Döschl, "das visuelle Erzählen etwa oder die projektbasierte Arbeitsweise." Für ihr neues, noch titelloses Game brauche man auch neue Mitarbeiter, so der Firmengründer. Das sei in einer Stadt wie München aber nicht einfach, wo Dax-Unternehmen um dieselben Techniktalente buhlen - und mehr bezahlen können als kleine Spielefirmen. Grundsätzlich steht die Branche aber gut da, was sich auch an den Zahlen ablesen lässt: 43 Prozent der Bundesbürger spielen laut einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom zufolge gelegentlich Computer- oder Videospiele, zuhause oder unterwegs auf dem Smartphone. Es sind längst nicht mehr nur Kinder oder junge Männer, die viel beschworene Mitte der Gesellschaft ist erreicht, es spielen Männer und Frauen, Junge und Alte, Akademiker und Arbeiter.

2018 lagen die Erlöse des deutschen Games-Marktes bei 4,74 Milliarden Euro, im Vergleich zum Vorjahr war das ein Zuwachs um fünf Prozent. Daran dürfte sich auch in Corona-Zeiten nicht viel ändern: In den ersten Wochen der Ausgangsbeschränkungen seien die Umsätze durch Downloads deutlich angestiegen, sagt Döschl im April in einem Telefonat, mittlerweile hätten sich die Zahlen aber wieder normalisiert. Einen Grund für Klagen sieht er trotzdem nicht: "Die Leute sind ja zuhause und haben Zeit für Spiele."

© SZ vom 05.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie: Pixelhelden
:Erfolg verleiht Flügel

Die kreativsten Köpfe und erfolgreichsten Macher in Bayerns Welt der Computerspiele. Heute: Die Mediendesigner Christian Kluckner und Alexander Kehr gründeten einst "Chimera Entertainment". Mittlerweile haben sie 60 Mitarbeiter und entwickeln Handyspiele wie "Angry Birds Epic".

Von Jürgen Moises

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: