Kongress der Zeugen Jehovas:Wachsam im Olympiastadion

"Wacht beständig!" Im Münchner Olympiastadion treffen sich Zehntausende Anhänger der Zeugen Jehovas zu einem Kongress. Ein Besuch.

Sarina Pfauth

Es ist ein würdiger Anlass, sagt Peter Glowotz. Deshalb hat er sich einen Anzug angezogen und eine Krawatte umgebunden. Peter Glowotz ist ein älterer Herr aus Mering, ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Kongress "Wacht beständig" und von Kindesbeinen an bei den Zeugen Jehovas.

Kongress der Zeugen Jehovas: Lauschen im Kimono: Eine japanische Delegation beim Kongress der Zeugen Jehovas im Münchner Olympiastadion.

Lauschen im Kimono: Eine japanische Delegation beim Kongress der Zeugen Jehovas im Münchner Olympiastadion.

(Foto: Foto: Pfauth)

40.000 Anhänger der Religionsgemeinschaft sind wie er nach München gekommen, die meisten aus Deutschland, aber auch Delegationen aus Italien, Frankreich, den USA und Japan. Zeitgleich finden in fünf deutschen Städten solche Kongresse statt - alle haben das gleiche Programm, die gleiche Botschaft.

"Der Kongress wird helfen, deutlich zu machen, in welcher Zeit wir leben", sagt der Redner unten auf dem Rasen des großen Olympiastadions, der von den Rängen nur stecknadelkopfgroß zu sehen ist. Es geht in seinem Vortrag um das Ende der Welt und um die Verführungen, die den Zeugen Jehova bis dahin lauern: Vergnügungen, zu viel essen und trinken zum Beispiel. Der Sprecher warnt mit eindringlicher Stimme: "Wacht beständig!"

Seine Zuhörer sind Männer, Frauen und Kinder. Sie haben Notizbücher auf den Knien und schreiben eifrig mit. Eine gebrechliche Großmutter läuft am Arm ihrer Enkelin, die hohe Pumps trägt, Richtung Toilette. Eine hochschwangere Mutter schiebt ihre zwei kleinen Töchter vor sich her. Alle hier tragen Feststagskleidung, die Männer dunkle Anzügen, die Frauen Röcke, Kleider - oder Kimonos.

Beim Programmpunkt mit dem Titel "Kongresse helfen uns, wachsam zu bleiben" erzählen mehrere Mitglieder von ihren bisherigen Glaubenserfahrungen. Unter anderem ein neunjähriges Kind, das vom Predigtdienst schwärmt, von den Brüdern und Schwestern und von den Kongressen, von denen es noch nie einen verpasst habe. Es ist keine Kunst zu hören, dass die Sätze auswendig gelernt sind. Der Moderator sagt ab und zu: "Genau!".

Es ist ein großes Event im Olympiastadion, alles ist genau durchgeplant. Vier Tage lang hören hier die Zeugen Jehovas "Ermunterungen", wie Glowotz es nennt, "den Blick auf bestimmte Dinge gerichtet zu halten".

Die Botschaft, die hier verkündigt wird, ist es, die die Zeugen Jehovas zusammenhält. Diese Botschaft macht Rudi Forstmeier, den Beauftragten zur Beratung über neue religiöse Bewegungen der Evangelischen Kirche in München, allerdings besorgt: Die Zeugen Jehovas haben den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Deshalb wollen sie nicht Sekte genannt werden, erzählt er.

Forstmeier hält "Sekte" jedoch nach wie vor für eine sehr treffende Bezeichnung. "Die Zeugen Jehovas halten sich für die einzig Auserwählten, das ist ein klassisches Sektenmerkmal."

Alle christlichen Kirchen haben die Botschafft, dass es ein Jüngstes Gericht geben wird und die Menschen bereit sein sollen. Die Zeugen Jehovas aber glauben, als einzige die Wahrheit erkannt zu haben. Wer nicht zu dieser Religionsgemeinschaft gehört, so denken sie, wird in Bälde durch ein göttliches Gericht vernichtet.

"Ich habe schon den Eindruck, dass dort Leute unter Druck gesetzt werden - nicht physisch, aber moralisch und psychisch", sagt Forstmeier. Ein Vertreter der Zeugen Jehovas habe ihm einmal erzählt, dass jeder Gläubige frei entscheiden könne, ob er Blutkonserven annimmt.

Er habe dann die Wahl, entweder sein Leben auf der Erde noch einige Jahre zu verlängern oder ewiges Leben zu bekommen. Mit Blutkonserve Vernichtung, ohne Blutkonserve Paradies: "Das ist eine sehr relative Freiheit", findet Forstmeier.

Diese "relative Freiheit" mache auch das Austreten so schwierig, sagt der Sekten-Experte: "Es ist nicht einfach, wenn man jahrelang geglaubt hat, dass nur die Mitglieder dieser Gemeinde die kommende Katastrophe überleben. Man muss diesen Glauben wirklich ablegen."

Zwischen Einengung und Geborgenheit

Rund 165.000 Menschen zählen sich in Deutschland zu den Zeugen Jehovas. Von der Lehre lassen sich vor allem konservative Mittelstandsfamilien ansprechen. "Die Gruppe wächst nicht massiv, es kommen aber immer wieder Neue dazu", sagt Forstmeier. Zumindest schrumpft die Gruppierung nicht. Die Zeugen Jehovas zeigen Präsenz in der Gesellschaft - durch Hausbesuche und Zeitschriften-Verteilen auf der Straße. "Die Mitglieder sind verpflichtet, den Zeugendienst zu leisten", erklärt Forstmeier das missionarische Engagement der Zeugen Jehovas. Über die Einsätze werde auch Protokoll geführt.

Was aber zieht die Leute an? "Man kümmert sich umeinander, es ist ein verbindliches Leben", sagt Forstmeier. Es werde nachgefragt, wenn einer nicht zur Versammlung erscheint. Manchen Leute nimmt das die Luft zum Atmen - andere fühlen sich dadurch aufgehoben.

Silvia Sobotta steht im Mutter-Kind-Bereich des Konferenz-Geländes, aus den Lautsprechern tönt die Botschaft, vor ihr im Kinderwagen schläft ihr acht Monate altes Baby. Sobotta ist eine freundliche Frau mit kastanienbraunen Locken und einem lustigen Lachen. "Jehova hat uns hierher eingeladen", erklärt die 33-Jährige ihr Kommen, "und wir werden hier gelehrt. Das ist schön!" Außerdem will sie beim Kongress neue Brüder und Schwestern kennenlernen und das internationale Flair genießen.

Silvia Sobotta trägt ein Dirndl und kommt aus Ellwangen. Schon ihre Eltern waren bei den Zeugen Jehovas, aber bei ihrem Mann ist das anders, erzählt sie, der war früher katholisch. Warum sie keiner christlichen Kirche angehört? "Wir versuchen uns möglichst genau an Gottes Wort auszurichten, in allen Lebensbereichen", antwortet sie - und zwar alle Zeugen Jehovas in gleicher Weise. Keiner von ihnen geht in den Krieg, keiner lässt sich eine Blutkonserve geben, keiner feiert Geburtstag. "Das findet man sonst in keiner Religionsgemeinschaft."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: