Komödie im Bayerischen Hof:Schlauer Er sucht reiche Sie

Komödie im Bayerischen Hof: Jutta Speidel genießt als junge Ottilie in den 1920er-Jahren vergnügt den Aufenthalt im mondänen Wiesbaden, "das belebend ist wie ein Glas moussierender Sekt". Stefan Noelle funktioniert hier als Mundschenk seine Klarinette zur Flasche um.

Jutta Speidel genießt als junge Ottilie in den 1920er-Jahren vergnügt den Aufenthalt im mondänen Wiesbaden, "das belebend ist wie ein Glas moussierender Sekt". Stefan Noelle funktioniert hier als Mundschenk seine Klarinette zur Flasche um.

(Foto: Alvise Predieri)

Bei der Uraufführung von Andrea Maria Schenkels Solo "Lippenrot" in der Komödie im Bayerischen Hof schlüpft Jutta Speidel in die Rollen zweier Frauen, die 100 Jahre trennen.

Von Barbara Hordych

Rot und tot- diese Assoziationen stellen sich rasch ein bei der Uraufführung des Ein-Frau-Stücks "Lippenrot" in der Komödie im Bayerischen Hof. Die vor allem eins ist: ein grandioses Vehikel für die Schauspielerin Jutta Speidel. Einerlei, ob sie die naive Ottilie aus den 1920er Jahren gibt, oder ihre Nachfahrin Angelika, eine reifere Dame der Zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts. In beiden Rollen wird sie dabei kongenial unterstützt von dem Musiker Stefan Noelle, der ihre Worte mit Gitarre, Saxofon, Klarinette und Schlagwerk untermalt oder konterkariert. Darüber hinaus wirkt er in der Inszenierung von Christina Piegger als Stichwortgeber, der seine Klarinette multifunktional einzusetzen weiß: Mal gibt er mit ihr den galanten Mundschenk, mal den die Brust abhorchenden Arzt.

In der Rolle der Angelika schiebt und wuchtet Jutta Speidel einen riesigen und sehr wandlungsfähigen Überseekoffer auf die Bühne, der im Laufe der nächsten Stunde als Schreibtisch, als Sofa oder als Podest fungiert. Und natürlich als Schrank, dem Angelika die Briefe und Tagebuchnotizen einer gewissen Ottilie sowie Requisiten entnimmt. Zum Auftakt wird eine Kontaktanzeige verlesen, in der ein "international anerkannter Philanthrop" eine Damenbekanntschaft zwecks Heirat zu machen wünscht. Besagter Gustav erhält die Zuschrift von einer gewissen Elsa, die ihrer Schwester Ottilie zu einem ähnlichen Eheglück verhelfen möchte wie dem eigenen. Ist doch Ottilie nach jahrelanger Pflege des kranken Vaters auf dem besten Wege, ein spätes Mädchen zu werden.

Gustav wird von Elsa zu einem Treffen im "mondänen Wiesbaden" gebeten, mit der Bitte, sich als "Freund der Familie" auszugeben, damit ihre Schwester nichts vom prosaischen Weg der Anbahnung errät. Ottilie ist zunächst zurückhaltend, scheint ihr doch Gustav etwas zu alt. Doch dann gibt sie seinem galanten Werben nach und willigt in die Ehe ein. Praktisch gleichzeitig zur Hochzeit legt er ihr sein Testament vor, in dem er sie zur Alleinerbin bestimmt - worauf die gerührte Ottilie ihrerseits eines für den umgekehrten Fall aufsetzt.

Eine Hochzeitsreise nach New York verläuft abwechslungsreich, doch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland wird es rasch einsam um Ottilie. Ihr Mann schottet sie, das "Lämmchen" oder "Täubchen", von der Außenwelt ab, sogar die Einkäufe erledigt er für sie. Ottilies Briefe an die Schwester Elsa deuten immer mehr die ambivalente Seelenlage der Frischverheirateten an, die ihr Heim und ihr Leben als eintönig empfindet, aber sich geschlagen gibt ob der Fürsorglichkeit ihres Mannes.

Zu diesem Zeitpunkt ahnen die Zuschauer längst Schlimmes, stammt das Stück doch aus der Feder der in Regensburg geborenen Andrea Maria Schenkel, die bereits in ihrem erfolgreichen Kriminalroman "Tannöd" das Unheimliche in die Heimatliteratur hinein holte und einen Oberpfälzer Einödhof als Schreckensort entlarvte. Ähnlich verhält es sich in ihrem Theaterstück "Lippenrot", das auf ihrer Kurzgeschichte "Ottilie" basiert. Der Schrecken zieht in das vermeintlich gutbürgerliche Heim ein, Parallelen zu Hitchcocks "Verdacht" drängen sich auf, in dem eine junge Ehefrau einen ähnlichen Verdacht gegen ihren galanten Gatten hegt. Bei Hitchcock beschließt die liebende Ehefrau gar, sich ihrem Schicksal zu ergeben. Ganz anders indes Jutta Speidels Ottilie, die zum Schluss den Spieß entschlossen umdreht.

Freilich kann man Schenkel vorhalten, dass die drohende Gefahr vom Zuschauer zu früh erkannt und von der über lange Strecken nur ohnmächtig klagenden Gattin zu übergangslos und plötzlich gebannt wird. Auch hat man bei dieser Entwicklung eher das Gefühl, einer szenischen Lesung denn einem Theaterabend beizuwohnen. Dennoch gelingt es Jutta Speidel dank ihrer überzeugenden Bühnenpräsenz im Zusammenspiel mit Stefan Noelle, die Aufführung in eine sehr vergnügliche Zeitreise zu verwandeln.

Lippenrot, Samstag, 17. und 24. Oktober, 21.30 Uhr, Komödie im Bayerischen Hof

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