Kommunalwahl 2014:München vor der Zäsur

München von oben

Blick auf ein trübes München. Etwas trübe ist auch die Stimmungslage vieler Bürger.

(Foto: dpa)

Bei der Kommunalwahl im März 2014 entscheiden die Münchner nicht nur über den neuen Oberbürgermeister, es geht um viel mehr. Soziale Gegensätze gibt es schon lange, doch immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Erstickt München am eigenen Erfolg?

Von Kassian Stroh

Es ist Wahlkampf, das Rennen offen, der Amtsinhaber geht. Vor allem die steigenden Mieten und die großen Verkehrsprobleme bestimmen als Themen die Auseinandersetzung. München im Jahr 2014?

Nein, so war das 1993 in der Stadt. Doch diesmal steht München vor einer Zäsur. Und nur vordergründig, weil die Stadt nach mehr als 20 Jahren einen neuen Oberbürgermeister bekommt. Denn hinter dieser Wahl (und der ebenso offenen wie zentralen Entscheidung über die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat) steht die Frage, wie es mit der Stadt und mit der ganzen Region weitergeht. Natürlich, soziale Gegensätze gab es hier immer schon, wie in jeder Großstadt. Doch die Münchner treibt zunehmend das Gefühl um, dass die Sache aus dem Ruder läuft.

Dieses, oft diffuse, Unbehagen drückt sich zum Beispiel aus in den Protesten gegen die zwei Dutzend Luxuswohnungen namens Glockenbachsuiten. Dort soll der billigste Quadratmeter für 7700 Euro zu kaufen sein. Oder in der Frage, ob es richtig sein kann, dass die Wohnungen im neuen Pschorr-Haus in der Fußgängerzone 30 Euro oder mehr an Miete kosten - im Monat, pro Quadratmeter.

Das Unbehagen wird jeden Morgen auf den verstopften Straßen greifbar. Oder bei den Wartenden auf den S-Bahnsteigen, wenn wieder eine Stellwerksstörung ihren Tag durcheinanderbringt - vermutlich werden bald die Verspätungsstatistiken das Bauchgefühl belegen, dass die Lage bei der S-Bahn nie so schlecht war wie in diesem Herbst.

Erstickt München am eigenen Erfolg? Dies war ja auch das Meta-Thema der Bürgerentscheide zu Startbahn und Olympia-Bewerbung. Beide fielen durch, was sich als Ausdruck einer Nein-Sager-Mentalität saturierter Bürger werten ließe. Vielleicht ist daraus aber auch abzulesen, dass eine Mehrheit der Meinung ist: München steht an einer Wegscheide, doch die übliche, von der politischen Mehrheit vorgeschlagene Richtung halten wir für falsch.

Auf den ersten Blick ziemlich platt

Augenfällig wird das auch daran, dass der OB-Kandidat der SPD, Dieter Reiter, seine Kampagne unter das auf den ersten Blick ziemlich platte Motto "Damit München München bleibt" gestellt hat. Er will damit jene abfangen, die fürchten, dass das Liebenswerte ihrer (Wahl-)Heimat unter die Räder gerät. Doch bei den Antworten, wie er das bewerkstelligen will, ist Reiter bislang vage geblieben.

Das gilt auch für seine beiden aussichtsreichsten Mitbewerber von CSU und Grünen, Josef Schmid und Sabine Nallinger. Denn die Frage ist ja auch, wie viel an unangenehmen Wahrheiten sie ihren möglichen Wählern zumuten wollen. Die Stadt wird ihr Antlitz wandeln müssen, um im Kern sie selbst zu bleiben: Herz eines wirtschaftlich starken Großraums, der auch den nicht so Starken ein gutes Leben ermöglicht. Der, ein großes Wort, sozialen Frieden schafft.

Für mehr Wohnungen müssen Freiflächen und alte Bombenlücken mit charmanter Notbebauung dran glauben, werden die Einfamilienhaus-samt-großem-Garten-Viertel, die sogenannten Gartenstädte, Appartementblocks akzeptieren müssen. Für eine zweite S-Bahn-Stammstrecke wird Haidhausen zu einer Jahre währenden Großbaustelle. Das auszusprechen, verlangt Mut von Kommunalpolitikern. Und wenn vor den Wahlen im März eine solche Grundsatzdiskussion geführt würde, täte es München nur gut.

Phase der Selbstvergewisserung

Das Interessante ist: Als das bislang letzte Mal der Oberbürgermeister wechselte, im Jahr 1993 eben, befand sich München ebenfalls in einer Phase der Selbstvergewisserung. Wenn auch ganz anderer Natur. Auch damals ging es der Stadt gut, und doch wurden Verlustängste laut. Bayern musste seinen neuen Platz in der erweiterten Bundesrepublik finden, seine Landeshauptstadt fürchtete, gegenüber Berlin ins Hintertreffen zu geraten. Sie wurde notgedrungen gewahr, nicht einmal mehr "heimliche Hauptstadt" zu sein.

Die Kreativen und Innovativen wanderten ab, die Süddeutsche Zeitung schickte dem von Haidhausen an den Prenzlauer Berg übersiedelten "Zeitgeist" einen Brief hinterher, er möge doch bitte wieder heimkehren. Die Max-Planck-Gesellschaft erwog, ihre Zentrale aus München weg zu verlagern; ähnliches wurde immer wieder auch von Siemens gemunkelt, das seinen historischen Stammsitz in Berlin hatte. Das DASA-Werk in Neuaubing mit 1200 Beschäftigten stand vor dem Aus, und die CSU rechnete den rot-grünen Regierenden vor, ebenso viele Betriebe aus München geekelt zu haben. Um nur ein paar Beispiele zu nennen - von der miesen Lage der Stadtfinanzen mal ganz abgesehen.

Die Befürchtungen von damals haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Und die Kehrseiten der Attraktivität sieht nun ein jeder Münchner morgens im Stau oder in der Schlange bei einer Wohnungsbesichtigung - wenn er denn überhaupt so weit gekommen ist.

Immerhin scheint in den vergangenen zwei, drei Jahren in die Köpfe der Münchner Entscheidungsträger eines eingesickert zu sein: Dass sie die Probleme hier nur gemeinsam mit den Kommunen des Umlands lösen oder zumindest mindern können. Lange, viel zu lange, endete Münchens politisches Denken faktisch an den Stadtgrenzen. Sollte dies Ausfluss der momentanen Selbstvergewisserung sein, es wäre es nicht das schlechteste.

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