Süddeutsche Zeitung

Münchner Rathaus:Ein Saal voller Wehmut und Missstimmung

Der Stadtrat trifft sich zur letzten Vollversammlung vor der Kommunalwahl, für manche ist es ein Abschied nach 40 Jahren in der Politik. Bisher galt: Politisch streiten und trotzdem normal miteinander reden. Wenn die AfD ins Rathaus einzieht, könnte es damit vorbei sein.

Von Dominik Hutter

Gut möglich, dass bei dem einen oder anderen allmählich Wehmut aufkommt. Beim CSU-Mann Hans Podiuk etwa, der seit 1978 im Rathaus Politik macht und nun nicht mehr kandidiert, oder beim SPD-Kollegen Helmut Schmid, Stadtrat seit 1984. Wenn sich der Große Sitzungssaal allmählich mit immer mehr Stadträten, Referenten, Verwaltungsmitarbeitern und Zuhörern füllt - die Sitzplätze reichen eigentlich nie aus. Wenn der Oberbürgermeister die Tagesordnung durchgeht und die ersten Themen aufruft. Und einigen bewusst wird, dass sie bald nicht mehr teilnehmen dürfen an diesem Ritual. An diesem Mittwoch steht etwa die Alte Akademie in der Neuhauser Straße auf dem Programm. Der Nahverkehrsplan, eine Schnellbustrasse im Münchner Norden und fünf Dringlichkeitsanträge. Der Ablauf der Plenumssitzungen ist im Großen und Ganzen immer gleich, seit sehr langer Zeit. Aber die Stimmung wird eine andere sein an diesem Tag.

Es ist die letzte Vollversammlung vor der Kommunalwahl. Nicht die allerletzte in dieser Amtsperiode: Der 2014 gewählte Stadtrat arbeitet noch fast zweieinhalb Monate lang. Erst Anfang Mai wird in einer feierlichen Zeremonie im Saal des Alten Rathauses das frisch gewählte Nachfolgegremium vereidigt. Aber natürlich ist der politische Alltag kurz vor der Wahl ein anderer als kurz danach, wenn alles schon entschieden ist. Der Ton ist aktuell ein wenig schärfer geworden, die Debatten lebhafter - das merkt man schon seit einigen Wochen. Wahlkampf eben, das bleibt nicht ohne Folgen.

Missstimmung herrscht selbst unter bisherigen Bündnispartnern: Die SPD nimmt der CSU übel, dass sie auf Flugblättern behauptet, in den Gartenstädten sei eine massive Nachverdichtung geplant ("Lüge!", kontert die SPD). Und dass das Prinzip Radweg statt Parkplätze in weiteren 30 Straßen so gut wie sicher sei ("falsche Behauptungen, unterirdisches Niveau!", schimpft Oberbürgermeister Dieter Reiter).

Die CSU wiederum fordert die sofortige Veröffentlichung jener angeblich geheim gehaltenen Straßen-Liste ("Es geht um Redlichkeit."). Die Grünen attestieren der SPD derweil "verkehrspolitische Torschlusspanik" und kritisieren die Anti-Rad-Kampagne der CSU ("Auto-Lobby"). Und zwischendurch macht sich jeder über die Wahlplakate der anderen lustig. Da am Mittwoch viele Verkehrsthemen auf der Tagesordnung stehen, könnte es also munter zugehen im Saal. Ein paar Punkte gilt es noch zu sammeln, bevor am 15. März die Münchner ihre Kreuzchen machen.

Die Wehmut im Saal dürfte sich aber nicht nur auf die Stadträte beschränken, die demnächst nicht mehr dabei sind. Es gilt als ziemlich wahrscheinlich, dass die neue Amtsperiode ungemütlicher wird als die bisherige. Das heißt nicht, dass es bislang am Marienplatz zuging wie in der Kuschelecke. Aber bei allen politischen Differenzen pflegten die Politiker doch ein weitgehend kollegiales Verhältnis zueinander. Von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen - dem rechtsradikalen Einzelkämpfer Karl Richter vor allem, mit dem kein demokratischer Stadtrat etwas zu tun haben will.

Ansonsten aber galt: politisch streiten und trotzdem normal miteinander reden. Ein größerer Trupp destruktiv-feindselig eingestellter Kollegen könnte da einiges ins Rutschen bringen. So mancher im Rathaus erschauert angesichts der Berichte von Kollegen aus anderen Städten, bei denen seit dem Einzug der AfD die Juristen stets Gewehr bei Fuß stehen. Weil ja jede Äußerung justitiabel sein könnte.

Die Zersplitterung des Stadtrats könnte sich fortsetzen

Was sich aber auch abzeichnet: Leichter dürfte das Regieren schon aus arithmetischen Gründen nicht werden, denn zum Regieren benötigt man nun einmal eine Mehrheit. Schon 2014 tat sich OB Reiter schwer, eine Koalition zusammenzuzimmern. Letztlich erwies sich die nach langen Verhandlungen entstandene "Kooperation" aus SPD und CSU als ausreichend belastbar, um sechs Jahre durchzustehen. Für die SPD ist die Situation aktuell besonders komfortabel, da sie bei Dissensfragen (etwa beim Verkehr) einfach auf eine bunt zusammengewürfelte linke Stadtratsmehrheit zählen kann. Und fürs Wesentliche, den Haushalt etwa, verfügt die Kooperation über eine komfortable Mehrheit.

So dürfte es aller Voraussicht nach nicht bleiben. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen stärker und die heutigen Koalitionäre SPD und CSU etwas schwächer werden. Dazu kommt: Die ohnehin schon weit fortgeschrittene Zersplitterung des Stadtrats könnte sich fortsetzen. 2014 traten 14 Listen bei der Stadtratswahl an, 13 davon schafften tatsächlich den Einzug ins Rathaus. Das war schon damals Rekord, der 2008 gewählte Vorgänger-Stadtrat hatte nur zehn Gruppierungen und Parteien umfasst. Diesmal aber treten gleich 17 Listen an, 14 davon schicken einen OB-Kandidaten ins Rennen.

Das macht die Mehrheitsfindung nicht eben einfacher. Dass auch künftig ein Bündnis zweier Partner ausreicht, um auf die für eine Mehrheit notwendigen 41 von 81 Stimmen zu kommen (80 Stadträte plus der Oberbürgermeister), glaubt am Marienplatz keiner mehr. Für ein Dreier- oder gar Vierer-Bündnis aber sind ungleich mehr Absprachen, Kompromisse und "Deals" notwendig. Gerade sehr kleine Partner, die ihre Rolle als Zünglein an der Waage kennen, gilt es zu hätscheln und bei Laune zu halten. Die Alternative wäre: kein Bündnis, die Mehrheiten wechseln je nach Thema. So wie es in der Kommunalpolitik eigentlich vorgesehen ist.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2020/wean
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