Kommunalwahl:"Es fehlt das Verständnis für die Jugendlichen"

Jugend in München

Foto: Nathalie Noemi Isser, Illustration: Laura Merlich

Schule, Freizeitmöglichkeiten, Chancengleichheit - diese Themen beschäftigen junge Münchner vor der Wahl. Von der Politik fühlen sich viele nicht ausreichend wahrgenommen.

Von Kathrin Aldenhoff

Jung sein in München, das bedeutet für Alicia, sich einzusetzen für die Belange von Schülern. Es bedeutet für Niko, zu versuchen sich von Schlägereien fernzuhalten. Was meistens, aber nicht immer gelingt. Für Mustafa bedeutet es, stolz zu sein, dass er den Wechsel von der Mittelschule auf die Realschule geschafft hat. Und für Isabella, fünf Mal die Woche zu koreanischer Popmusik zu trainieren.

75 500 junge Menschen zwischen 14 und 20 Jahren leben in München. Sie sind so verschieden, wie die Erwachsenen, die in der Stadt leben. Und doch gibt es Themen, die sie alle bewegen. Die Schule zum Beispiel, das viele Lernen. Dass das U-Bahnfahren so teuer ist. Dass es in München, besonders im Winter, nur wenige Möglichkeiten gibt, wie sie ihre Freizeit verbringen können. Dass es außer den Freizeittreffs kaum Orte gibt, wo sie hingehen können, ohne Geld bezahlen zu müssen. Dass sie das Gefühl haben, dass ihre Anliegen von den Politikern kaum gehört werden. Dass sie die Erfahrung gemacht haben, dass am Ende nicht die Meinung der Jugendlichen zählt, sondern die der Erwachsenen.

Ihren Freitagabend verbringt Isabella im Kinder- und Jugendtreff "Come In", einem flachen grünen Holzgebäude in Neuperlach. Rote Fensterrahmen, Klettergerüste im Garten, hinter dem Haus türmt sich ein Siemens-Gebäude auf, Wohnblocks säumen die Straßen, die Fenster sind hell erleuchtet. Isabella kommt drei Mal die Woche hierher. Hier kann sie kostenlos einen Raum nutzen, eine Musikanlage leihen, ihr Handy anstöpseln. Ein breiter Spiegel lehnt an der Wand, den stellt sie auf einen Tisch, macht ein paar Schritte in die Mitte des Raumes. Ihr Handy spielt ein Youtube-Video nach dem anderen ab, koreanische Popmusik, und Isabella tanzt.

Die Musik dröhnt, sie weiß ungefähr worum es in dem Song geht, aber wichtig, wichtig ist vor allem der Rhythmus. Isabella wirft ihre Füße in die Luft, lässt die Hüfte kreisen, winkelt die Arme an, wackelt mit dem Kopf. Schnelle, exakte Bewegungen, eine komplexe Choreografie. "Die koreanischen Tänzer haben so viel Disziplin. Die arbeiten hart an sich, machen alles so perfekt. Das beeindruckt mich", sagt die 15-Jährige. Mit dem Tanzen hat sie angefangen, als sie vom Gymnasium auf die Realschule wechselte, sie war nicht gut in Latein. An der neuen Schule lernte sie neue Freunde kennen, die hörten alle K-Pop.

Ein paar Türen weiter tanzen vier andere junge Menschen, proben immer wieder die gleiche Bewegung, kichern. Noch ein paar Türen weiter, im großen Saal, spielt eine Gruppe Jungs Tischtennis, sitzen Selcuk und André, beide 17, am großen Tisch und essen Chili con carne. Das gibt es hier für 50 Cent, und es schmeckt. Reden können sie außerdem. Mit den Mitarbeitern, mit Freunden. Es ist warm hier, trocken, sie kennen die Leute, seit Jahren kommen sie her, fühlen sich wohl hier. "Wir Jugendlichen haben nicht so viel Geld", sagt André. "Die meisten sitzen im Pep oder zu Hause." Das Pep, ein Einkaufszentrum in Neuperlach. Im Moment haben die beiden dafür wenig Zeit - die Abschlussprüfungen zur Mittleren Reife stehen an, sie müssen lernen.

Andrea Venitz leitet den Jugendtreff. Seit Jahrzehnten arbeitet sie in Neuperlach, sie kennt hier ganze Familien, von der Großmutter bis zur Enkelin. "Die Jugendlichen finden bei uns Räume, wo sie nicht die ganze Zeit unter Beobachtung sind. Aber sie wissen, wo wir sind, wenn sie uns brauchen." Ein großer Erfolg: Nachdem sich junge Erwachsene, Mitarbeiter des "Come In" und anderer Einrichtungen jahrelang für die Beleuchtung der Skateanlage um die Ecke eingesetzt haben, wurde die Flutlichtanlage im Herbst 2018 offiziell von Oberbürgermeister Reiter eingeweiht.

Alicia und Alex waren noch nie in einem Jugendtreff. Sie kennen auch niemanden, der mal in einem war, sagen sie. Die beiden sind 17, gehen zur Schule, sind auch Münchner. Und leben doch in einer anderen Welt. In diesem Schuljahr haben sie bei der Münchner StadtschülerInnenvertretung die Pressearbeit übernommen. Beide waren sie mal Schülersprecher an ihren Gymnasien, beide setzen sich dafür ein, dass die Interessen der Schüler gehört werden. "Ich habe gesehen, dass ich was verändern kann. Und das ist echt motivierend", sagt Alicia. Zum Beispiel müssen Schulleiter es seit letztem Jahr schriftlich begründen, wenn sie einen Antrag des Schülerausschusses ablehnen, erzählt Alex stolz.

Die beiden wünschen sich für ihre Stadt, dass die U-Bahn öfter fährt, auch nachts. Dass Radwege vom Stadtrand in die Innenstadt gebaut werden. "Oft wird mehr auf die Bedürfnisse der Erwachsenen gehört als auf unsere", sagt sie. "Es fehlt das Verständnis für die Jugendlichen." Wenn es darum geht, dass die zu laut feiern, zum Beispiel. Beide sind für das Wahlrecht ab 16 bei Kommunalwahlen. Weil es auch ihre Stadt ist, über die entschieden wird.

Alicia glaubt, dass die Politiker anfangen, den Jugendlichen zuzuhören. Sie findet es zum Beispiel gut, dass Bayern wieder zum G9 zurückkehrt. "Ich mache mein Abi mit 17 und kann mich dann nicht mal alleine an einer Uni anmelden." Sie findet: Jugendliche sollten nicht zu Arbeitskräften herangezogen werden. "Jugendliche sollten sich entwickeln dürfen."

Wer auf welche Schule geht, sei unter den Jugendlichen wichtig

Niko, 16, und Mustafa, 14, sind an einem Dienstag um kurz nach vier die ersten Jugendlichen, die den Freizeittreff Obergiesing betreten. Gegenüber die Mittelschule, drumherum viel Sozialbau, viele Gewofag-Wohnungen, Giesing ist hier noch Arbeiterviertel. Alexander Ostermeier leitet den Freizeittreff. "Die Gegend hier ist nicht unbedingt ein kulturelles Epizentrum", sagt er. Es gebe kein Kino, kein Schwimmbad um die Ecke. Dafür einen Park, in dem sich die Jugendlichen treffen. Im Freizeittreff können sie kostenlos Billard spielen, kickern, E-Piano spielen, können für 50 Cent ein Sandwich essen und für einen Euro ein Getränk kaufen. Nur die Disco ist gerade geschlossen, wegen Umbau.

Niko und Mustafa fläzen auf dem Sofa im Eingangsbereich, daddeln auf ihren Handys herum. Mustafa erzählt, dass er einen Notenschnitt von 2,0 geschafft hat, dass er von der Mittelschule auf die Realschule wechseln durfte. Die Schule, ein Riesenthema. Mustafa erzählt von einem Lehrer, der an ihn geglaubt hat, der ihn motiviert, ihm geholfen hat. Niko erzählt von Lehrern, die sie nicht darin unterstützt haben, ein Fußballturnier zu organisieren. Ob die Politiker etwas für sie tun? "Die sorgen sich nur um sich. Sie sagen, sie machen was, aber wir sehen nichts davon", sagt Mustafa. Die beiden wünschen sich schönere Sitzplätze im Park, mehr Fußballplätze, einen Parkourplatz. "Hier gibt es viele sportliche Leute. Man würde dann mehr aus dem Haus gehen", sagt Niko. Als letztes Jahr die Freibäder umsonst waren, da waren sie viel draußen.

Wer auf welche Schule geht, das ist wichtig, sagen Niko und Mustafa. Und dass ständig verglichen werde. Unter den Kindern und Jugendlichen, von den Eltern, den Lehrern. Dass sie das Gefühl haben, dass die anderen, vor allem die Gymnasiasten, auf die Mittelschüler herabschauen. "Das Schulsystem sollte geändert werden", sagt Mustafa. "Gesamtschulen wären gut."

Alexander Ostermeier sagt, seine Kollegen und er versuchten, gegen das Mantra "Ich gehe auf die Mittelschule, ich bin dumm" anzukommen. Viele Jugendliche hier bräuchten jemanden, der sie an die Hand nimmt. Ihnen zeigt, wo es langgeht. Die Eltern reagierten oft erst, wenn es zu spät, der Quali nicht geschafft ist. "Armut ist nicht nur das Fehlen von Geld", sagt Ostermeier. "Manchmal fehlt auch Zeit. Manchmal mangelt es daran, den Kindern ihre Möglichkeiten aufzuzeigen."

Niko und Mustafa erzählen von Schlägereien, von Streit zwischen den Jugendlichen aus den verschiedenen Stadtteilen. Aber auch von ihren Zukunftsplänen. Niko will erst eine Ausbildung zum Koch machen, seine Mutter ist auch Köchin. Dann will er Polizist werden. Mustafa will Geld verdienen, um für seine Mutter sorgen zu können. Auf die Frage, was ihm Sorgen bereitet, sagt er ohne zu zögern: "Das mit dem Klimawandel." Wenn sie älter sind, wollen sie zusammen in eine WG ziehen. Dass das in München teuer wird, wissen sie. Sorgen macht ihnen das noch nicht. Es scheint noch weit weg. Jetzt sind da erst mal andere Dinge, um die sie sich kümmern müssen.

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