Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Untergiesing-Harlaching:Großbürger und Handwerker

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Der Stadtbezirk vereint Gegensätze, die aber immer mehr eingeebnet werden

Von Julian Raff, Untergiesing/Harlaching

Nur wenige Stadtbezirke vereinen derart unterschiedliche Viertel: Im Süden, hoch über dem Isartal, liegt das großbürgerlich-gediegene Villenviertel Harlaching, wo sich das Leben hinter hohen Hecken eher erahnen, als auf der Straße besichtigen lässt. Weiter nördlich, unten im Tal, hat das belebte alte Arbeiter- und Handwerkerquartier Untergiesing erstaunlich lange der Gentrifizierung getrotzt, mit immer noch rauem Charme, zu dem auch die Bewohner der hiesigen Wohnungslosenheime beitragen. Dazwischen, um Säbener Straße und Wettersteinplatz herum, liegt der schlicht "Giesing" genannte Abschnitt, auf dem Mietmarkt lange Zeit eine mittelständische Wohngegend.

So ganz stimmen die alten Charakteristika allerdings nicht mehr. Der Immobilien-Dauerboom ebnet die alten Gegensätze auf hohem Niveau ein und die Menschen lassen sich, unter mitunter großen finanziellen Kraftakten, eben dort nieder, wo einen die Launen des Marktes hin verschlagen. Luxussanierte Altbauten werden inzwischen auch rund um den Hans-Mielich-Platz angeboten, während der Stadtteil Harlaching natürlich nicht erschwinglicher geworden ist, aber, durch Zuzug in die neuen Mehrfamilienhäuser, familiärer und weniger anonym.

Die Suche nach einem bezahlbaren Betreuungsplatz für den Nachwuchs steht folglich auch in der Gegend um die Geiselgasteigstraße weit oben auf der Agenda. Besonders deutlich und zugleich problematisch zeigt sich die allmähliche Verjüngung des nach wie vor gemäß statistischer Daten eher von älteren Menschen bevölkerten Stadtteils an der Rotbuchenstraße. Dort hat Bayerns größte Grundschule ihre Kapazitätsgrenzen mit mehr als 700 Kindern längst hinter sich gelassen. Die Raumnot drängt, zugleich stiftet die Rotbuchenschule aber auch Gemeinschaft im Stadtbezirk und bringt die Bewohner der unterschiedlichen Stadtteile zusammen.

Zugegeben, ein Großteil der Begegnungen findet zumeist in Form einer allmorgendlichen Auto-Sternfahrt auf das Schulgebäude statt; Schulleitungen und Stadtverwaltung bemühen sich aber um Entzerrung durch Umleitung des "Anlieferverkehrs" und durch Appelle zum Autoverzicht.

Ohnehin sind die Zeiten vorbei, als man sich im Bezirk reibungslos per Pkw fortbewegen und parken konnte. Parklizenzzonen für den Bereich zwischen Candidplatz und Tierpark sind beschlossen, wenn auch noch nicht umgesetzt. Das Gebiet bei der U-1-Endstation Mangfallplatz, Ziel vieler Einpendler, wird gerade geprüft. Der Verkehrsbrennpunkt im Viertel bleibt natürlich die Gegend um den Tierpark. Der Werktagsstau quält sich aber auch dann allabendlich den Harlachinger Berg hinab, wenn im Zoo wenig los ist.

Mit einem Ärgernis arrangiert haben sich offenbar auch die direkten Anwohner der Isarauen: Beschwerden über die sommerliche Massen-Grillparty am Flussufer haben nachgelassen - und das bereits seit dem Dauersommer 2018, als die Stadtverwaltung erstmals einen Ordnungsdienst entsandte.

Natürlich löst das Leben in einem Bezirk voller Freizeitattraktionen nicht nur Glücksgefühle aus: Der Betrieb im bald 18 600 Plätze fassenden Stadion an der Grünwalder Straße, der meistbespielten Freiluftarena Deutschlands, strapaziert oft die Nerven der Anwohner. Massenproteste löst er aber nicht aus. Die große Mehrheit der Giesinger - ob rot, blau oder keines von beiden - identifiziert sich mit dem Stadion, will aber nicht unbedingt mit dessen unmittelbaren Nachbarn tauschen.

Konflikte um die teuer erkaufte Ruhe, Stichwort "Biergarten Menterschwaige" oder "Burschenfest", beherrschten lange Zeit die Harlachinger Lokal-Schlagzeilen. Sie haben aber inzwischen nachgelassen. Vielleicht, weil mit der Baudichte irgendwann auch die Toleranz zunimmt. Klar überstrapaziert wurde diese aber zwei Sommer lang am Kuntersweg, wo sich Jugendliche zum Feiern trafen. Künftiger Ärger könnte durch die Versetzung von Sitzbänken abgewendet werden. Mit dem Fehlen von Treffpunkten für junge Leute brachte der Streit aber ein anhaltendes Manko des Viertels ans Licht.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2020
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