Kommunalwahl in Feldmoching-Hasenbergl:Früchte des Zorns

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Die München-Liste ist ein Sammelbecken von Bürgerinitiativen, die sich gegen Siedlungsprojekte im Norden und Nordosten stemmen - und von jenen, die die Rathauspolitik enttäuscht hat. Von der Genese einer Gruppierung, die das Wachstum der Stadt begrenzen will

Von Jerzy Sobotta

An den Tag seiner Verwandlung kann sich Dirk Höpner noch gut erinnern. Ein frischer Frühlingstag, im April 2017. Beim Spaziergang durch Feldmoching kam er an einem Plakat vorbei: "Heimatboden" stand darauf und "SEM Wahnsinn stoppen". Gleich verstanden hat er es nicht, denn Höpner hatte sich nie besonders für Kommunalpolitik interessiert. Doch der Slogan blieb hängen. "Meine Frau war sauer, denn ich habe den ganzen Abend über die SEM gelesen", sagt der 58-Jährige. Auch er war sauer. Allerdings auf die Stadt, die eine gewaltige Neubausiedlung auf den Feldmochinger Feldern plante und plant - für Tausende Menschen, drei Straßen von ihm entfernt.

Die drei Buchstaben SEM haben damals nicht nur Höpner verärgert, sondern auch viele Feldmochinger Landwirte und Grundstückseigentümer. Die Abkürzung steht für "Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme", mit der die Stadt zwei große neue Viertel im Norden und Nordosten Münchens planen und entwickeln wollte. Damit die Bodenpreise nicht ins Unbezahlbare steigen und die Großprojekte nicht von widerspenstigen Eigentümern torpediert werden, sieht eine SEM als allerletztes Mittel auch Enteignungen vor. Dagegen wehren sich seither Eigentümer und Landwirte, sie schlossen sich zu einer Initiative zusammen: Heimatboden.

Das Gebiet nordöstlich des Stadtteils Bogenhausen ist als Ort für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Gespräch - gegen das Wohnungsbauprojekt regt sich jedoch Widerstand. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Höpner ist weder Landwirt noch Grundbesitzer, sondern Leiter eines großen Münchner Sozialunternehmens. Auch zur Initiative Heimatboden gehört er nicht. Doch das Plakat und die Wut über die SEM haben ihn verwandelt: Es hat den Unpolitischen zu einem angehenden Stadtrat gemacht. Jedenfalls hat er kommenden März gute Chancen, gewählt zu werden. Denn inzwischen führt Höpner im Kommunalwahlkampf die München-Liste an: Einen Zusammenschluss von mehr als einem Dutzend Bürgerinitiativen mit rund 100 aktiven Mitgliedern aus der ganzen Stadt, die sich gegen große Bauvorhaben und Nachverdichtungen einsetzen.

Wie es dazu gekommen ist, erzählt Höpner zusammen mit einigen Mitstreitern im Restaurant Croatia. Um aus der Stadtmitte hierher zu kommen, muss man mit der U 2 ganz in den Norden zur Endstation, weiter mit dem Bus und noch zehn Minuten zu Fuß, am Kirchturm vorbei durch Feldmoching. "Ich fand die Pläne der Stadt ungeheuerlich und habe mich gefragt: Wie sollen die Menschen hier in 15 Jahren leben?", sagt Höpner, weißes Hemd, blonde Haare, schmale Lippen. Ein Champignonschnitzel in Rahmsoße liegt auf seinem Teller. "Also habe ich mich umgehört." Bei den Landwirten vom Heimatboden, seinem eigenen Siedlerverein "Fasanerie aktiv" und bei Bürgervereinen in den benachbarten Vierteln. "Wir hatten alle das gleiche Gefühl: Die Politik hört uns nicht zu." Also wollten sie sich Gehör verschaffen und luden im Januar 2018 Stadträte und Landtagsabgeordnete der großen Parteien zu einer öffentlichen Diskussion über die SEM in eine Feldmochinger Turnhalle ein. Erwartet hatten sie einige hundert Menschen, doch es kamen mehr als tausend. Rückblickend wurde der Abend zur Geburtsstunde der München-Liste.

Spitzenkandidat der München-Liste: Dirk Höpner. (Foto: Robert Haas)

Für Höpner und seine neuen Freunde war es ein voller Erfolg: Aufgebrachte Bürger löcherten die Politiker auf dem Podium mit ihren Fragen. Schon damals waren Argumente zu hören, die heute zum Kernwahlprogramm der München-Liste gehören: Wachstum begrenzen, keine Großbauprojekte, keine neuen Gewerbeflächen, die noch mehr Arbeitnehmer nach München locken. Unter dem Druck des Publikums erklärte die christsoziale Landtagsabgeordnete Mechthilde Wittmann plötzlich, dass die CSU eine Kehrtwende mache und sich aus der SEM in Feldmoching zurückziehe. Kurze Zeit später zog auch die SPD mit, und die SEM in Feldmoching war begraben. Bis heute ist unklar, was mit den 900 Hektar Feldern passieren soll. Das städtische Planungsreferat will in jedem Fall erst den Wahlkampf abwarten.

Zur Podiumsdiskussion kamen damals auch rund 15 andere Bürgerinitiativen aus der ganzen Stadt. Sie hatten im hinteren Teil des Raums ihre Stände aufgebaut und Flyer für ihre Anliegen verteilt: Hier wollen sie Grünflächen erhalten, dort einen Tunnel über den Mittleren Ring, woanders eine Tempo-30-Zone vor der eigenen Haustüre. "Wir haben bei der Veranstaltung plötzlich alle gemerkt, dass wir nicht alleine sind mit unseren Problemen. Egal ob im Norden, Süden, Westen oder Osten: Es brodelt überall in der Stadt", sagt Höpner.

(Foto: SZ)

Mit "wir" meint er die Eigenheimvereine, lokale Initiativen, Menschen, die sich bei Bezirksausschüssen und Bürgerversammlungen beschweren, vielleicht auch mal zu einer Sitzung ins Rathaus gehen. Die SPD-Stadträtin Heide Rieke, die den Groll der Wachstumskritiker regelmäßig auf sich zieht, hat sie einmal als die Zufriedenen bezeichnet, die nur ihr Eigenheim im Blick hätten. Ein Satz, der auch gegen Höpner gerichtet sein könnte. Zwar spricht er auch von Menschen mit "schmalem Geldbeutel, die sich München leisten sollen", doch er selbst lebt in der Fasanerie-Nord - "einem Luxusviertel mit Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften", wie er selbst sagt. Gediegener Mittelstand, den die Probleme des Alltags umtreiben: neue Hochhäuser in der Nachbarschaft, Fluglärm oder Stau auf dem Heimweg. "Uns alle eint der Kampf gegen Nachverdichtung", sagt Höpner. Also tauschten die Leute von den Bürgerinitiativen Telefonnummern aus - und blieben in Kontakt.

Bei der Podiumsdiskussion in der Feldmochinger Turnhalle saß auch Maximilian Bauer im Publikum. Allerdings saß er nicht neben den Bürgerinitiativen, sondern bei Kollegen aus dem örtlichen Bezirksausschuss. 17 Jahre lang war er für die CSU im Stadtviertelgremium, zuletzt als ihr Fraktionssprecher. Die Leute hier kennen den stämmigen Vereinsfürsten, der in der Kommunalpolitik in Feldmoching schon zum Inventar gehört. "Bei der Veranstaltung kamen mir ernsthafte Zweifel an der Politik meiner Partei", sagt Bauer. Er sprach mit den CSU-Stadträten, die sich auf einen Zickzackkurs eingelassen hatten: Erst waren sie für die SEM im Norden, zogen sich dann zurück, beschwichtigten. Einer zweiten SEM im Nordosten stimmten sie erst zu, erteilten ihr jüngst aber wieder eine Absage. Auch die Beschlüsse zur Bebauung des Eggartens und zur Nachverdichtung der Siedlung Ludwigsfeld kamen im Stadtrat mit CSU-Stimmen zustande. "Ich habe gemerkt, dass die im Rathaus unsere Probleme am Stadtrand nicht mehr verstehen. Für die hört die Stadt schon in Moosach auf", sagt Bauer. "Die Leute sind unzufrieden. Sollen sie alle zur AfD gehen?" Nach einem Gottesdienst habe ihm einmal ein älterer Mann auf der Straße gesagt: "Ich wähle keine Menschen, die meine Zukunft zerstören." Der Satz blieb hängen.

Mit einer kleinen Gruppe fing es an: Die Initiative "Heimatboden" beim Auftakt einer Plakat-Kampagne gegen die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Jahr 2017. (Foto: Marc Müller)

Seit Oktober 2019, kurz nach ihrer Gründung, ist Bauer bei der München-Liste, kandidiert nun für den Stadtrat und den Bezirksausschuss. Der konservative Bauer an der Seite von Höpner, der sich als "schwarz-grün" bezeichnet. "Wir sprechen das bürgerliche Lager an, bis weit in die Mitte hinein", glaubt er.

Wie es letztlich zur eigenen Wahlliste gekommen ist? "Ich bin da so reingerutscht", sagt Höpner und lacht. Ein Jahr lang trafen sich die Bürgerinitiativen, diskutierten, überlegten. Im Februar 2019 veranstalteten sie eine weitere Podiumsdiskussion über die zweite SEM im Münchner Nordosten. Noch mehr Menschen kamen. Wieder wurde es laut, wieder ruderte die CSU auf offener Bühne zurück. Diesmal war es der CSU-Fraktionschef im Stadtrat, Manuel Pretzl, der die SEM plötzlich als "verbrannt" bezeichnete, gegen den Koalitionspartner SPD und gegen die Grünen. Die stünden weiterhin zur SEM, als einziges Mittel, mit dem die Stadt massiv günstigen Wohnraum schaffen könne.

Die Bürgerinitiativen feierten ihren Erfolg. Erste Gerüchte kamen auf: Die Wachstumsgegner könnten mit einer eigenen Liste für den Stadtrat kandidieren. Im Frühjahr rief bei einer Bürgerversammlung in Feldmoching ein wütender Bürger: "Ich appelliere an Sie! Schauen Sie bei der Kommunalwahl gut hin. Bei den Parteien ist nicht mehr drin, was drauf steht. Prüfen Sie, wer sich wirklich für Sie einsetzt." Seine Worte klangen wie eine Drohung, gerichtet gegen die "drei großen Parteien".

Im Frühsommer 2019 klingelte plötzlich Höpners Telefon. Eine Namensliste mit möglichen Stadtratskandidaten war an die Presse gelangt. Wird es bei der Kommunalwahl eine neue Gruppierung geben? "Den ganzen Tag bekam ich Anrufe. Von zehn verschiedenen Journalisten", sagt er. Dementiert hat er nicht, was die Gerüchte befeuerte. Die plötzliche Aufmerksamkeit der Medien motivierte ihn. "Ich dachte mir: Jetzt greifen wir an." Den ganzen Sommer über kamen Leute zu ihm und ermunterten ihn, er solle die Bürgerinitiativen im Stadtrat vertreten.

Dirk Höpner als Kommunalpolitiker? Er überlegte, flog mit seiner Frau auf die griechische Insel Kreta. "Unser ganzer Sommerurlaub ist draufgegangen für das Thema", sagt er. Auch die Mitstreiter drängten ihn, schrieben Textnachrichten und E-Mails. Am Ende des Urlaubs gibt seine Frau ihre Zustimmung. "Sie hat schon von Anfang an gewusst, dass ich es machen werde", sagt er. Als er zurückkommt, ist seine Verwandlung vollzogen: Die München-Liste will in den Stadtrat, mit Höpner an ihrer Spitze. Auf wie viel Prozent der Stimmen er hofft? Höpner schaut auf sein Schnitzel und streckt fünf Finger in die Luft - fünf an beiden Händen.

© SZ vom 15.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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