Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in München:Auf in die rot-schwarze Stichwahl!

Lesezeit: 3 min

Von Heiner Effern, Anna Hoben, Dominik Hutter, Andreas Schubert und Melanie Staudinger

Es ist kurz nach acht Uhr an diesem Sonntagabend, als Oberbürgermeister Dieter Reiter vor die Journalisten tritt. Er steht am Harras unter freiem Himmel. Es ist dunkel, nur die vielen Kameras erleuchten den SPD-Politiker - es wird das Bild sein, das von dieser Kommunalwahl bleibt. Um die Ausbreitung des Coronavirus nicht noch weiter anzuheizen, haben die Sozialdemokraten wie viele andere Parteien auf eine Wahlparty verzichtet, und auch auf eine Pressekonferenz drinnen. "Ich freue mich über ein gutes Wahlergebnis", sagt der Mann, der München seit 2014 regiert und bei dieser Wahl wieder mit deutlichem Abstand die meisten Stimmen gesammelt hat. Die SPD steht weniger gut da als ihr Spitzenkandidat. Nach Auszählung von 1150 der 1274 Wahlgebiete liegen die Sozialdemokraten mit 22,3 Prozent nur auf Rang drei hinter den Grünen (28,8 Prozent), die 12,2 Prozentpunkte im Vergleich zu 2014 zugelegt haben, und der CSU (26,4 Prozent).

Aber das weiß Oberbürgermeister Reiter zum Zeitpunkt der Pressekonferenz noch nicht. So richtig zum Feiern ist ihm ohnehin nicht zumute: Denn er muss in die Stichwahl, obwohl er alleine mehr Stimmen hat, als seine beiden härtesten Konkurrentinnen Kristina Frank (CSU) und Katrin Habenschaden (Grüne) zusammen. 47,9 Prozent holt Reiter nach der Auszählung von 1272 von 1274 Wahlgebieten. 259 334 Münchner gaben ihm seine Stimme, Frank bekam 115 563 (21,3 Prozent) und Habenschaden landete knapp dahinter mit 111 861 Stimmen (20,7 Prozent). Nach 2014 muss Reiter damit zum zweiten Mal in eine Stichwahl. In der Geschichte der Münchner Oberbürgermeister passierte das nur noch ein weiteres Mal: 1984 zwang Herausforderer Georg Kronawitter (SPD) den Amtsinhaber Erich Kiesl (CSU) in die Verlängerung.

Bliebe es beim bisherigen Resultat, hätte Reiter sein Ergebnis von 2014 deutlich gesteigert, und zwar um 7,5 Prozentpunkte. Habenschaden hätte 6,0 Prozentpunkte mehr als Sabine Nallinger, die vor sechs Jahren für die Grünen antrat. Großer Verlierer wäre - rein prozentual gesehen - die CSU: Kandidatin Frank hätte 15,4 Prozentpunkte weniger als Vorgänger Josef Schmid, der mittlerweile für die CSU im Landtag sitzt.

Er hätte es natürlich lieber gleich im ersten Wahlgang geschafft, gibt Reiter zu. Zumal anstrengende Wochen vor ihm liegen: Der Wahlkampf muss irgendwie weitergehen, als OB muss er sich um das Corona-Krisenmanagement kümmern. Dass er voraussichtlich gegen Frank in der Stichwahl antritt, sieht er neutral: Die Unterschiede zwischen ihm und Kristina Frank seien aber wohl die deutlicheren, vor allem in der Verkehrs- und Wohnungspolitik.

Münchens SPD-Chefin Claudia Tausend hätte auf eine Stichwahl lieber verzichtet, wie sie erklärt. "Wir müssen uns überlegen, wie ein Wahlkampf unter solchen Umständen geführt werden kann. Einen rein digitalen Wahlkampf werde es nicht geben. "Nicht jeder ist auf Twitter und Facebook", sagt sie. SPD-Fraktionschef Christian Müller kann dem Ganzen etwas Gutes abgewinnen: "Die OB-Wahl wird das einzige Unterhaltsame in den nächsten Wochen sein."

CSU-Politikerin Frank wartet derweil im engsten Kreis ihres Wahlkampfteams im Bürgermeisterbüro ihres Kollegen Manuel Pretzl im Rathaus. Lange hat es so ausgesehen, als würde sie hinter Habenschaden landen, doch am Ende hat sich die Sache noch gedreht. Sichtlich erleichtert sagt sie: "Ein Spiel hat zwei Halbzeiten, das weiß man als Fan des FC Bayern." Es sei ein spannender Wahlabend in turbulenten Zeiten gewesen: "Für den Fall, dass ich in die Stichwahl einziehe, werde ich in meiner Person den Münchnerinnen und Münchnern in schwierigen Zeiten ein verantwortungsvolles Angebot für eine solide Politik der Mitte machen", sagt sie.

Katrin Habenschaden hat sich mit ihrer Niederlage abgefunden. "Glückwunsch an Dieter Reiter und Kristina Frank", sagt sie. Erstmals habe es in München ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit grüner Beteiligung gegeben. "Natürlich ist es schade, die Stichwahl knapp verpasst zu haben, verglichen zur letzten Wahl haben wir aber deutlich hinzugewonnen", erklärt Habenschaden.

Die Ausbreitung des Coronavirus hat sich stark auf die Kommunalwahl ausgewirkt, nicht nur, weil die Parteien ihre Wahlpartys abgesagt oder Politiker Pressekonferenzen unter freiem Himmel gegeben haben. Die Stadt musste den Ausfall von vielen Wahlhelfern kompensieren und zog am Samstag zwangsweise die Lehrkräfte ihrer eigenen Schulen zum Auszählen ein. Einige Wahllokale, die ursprünglich in Altenheimen untergebracht waren, wurden verlegt. Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle versprach mehr Abstand und Desinfektionsmittel. Doch geklappt hat das nicht überall, wie Wahlhelfer und Wähler berichten.

Während die OB-Kandidaten ihr Ergebnis bald kennen werden, müssen die künftigen Stadträte noch länger bangen. Am Sonntag werden nur die unveränderten Stimmzettel geprüft, das sind nach Angaben des Kreisverwaltungsreferats etwa 65 Prozent der tatsächlich abgegebenen Stimmen. Demnach würden die Grünen erstmals stärkste Fraktion und erhielten 23 Sitze. Die CSU bekäme 21 Sitze, die SPD dürfte 18 Räte und Rätinnen stellen. Insgesamt würden zwölf Listen einziehen: Neben den großen drei wären es AfD (4), FDP (3), ÖDP (3), Linke (2), Freie Wähler (2) und die Rosa Liste (1) sowie neu mit dabei München-Liste, Volt und Die Partei (1). Nicht mehr mit dabei wären die Bayernpartei und die rechtsextreme Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA). Mit einem Endergebnis rechnet die Stadt bis zum Montagabend. Ein Negativtrend wurde indes gestoppt.

Die seit den Neunzigerjahren kontinuierlich sinkende Wahlbeteiligung ist erstmals wieder gestiegen: Vor sechs Jahren gaben gerade einmal 42,0 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Dieses Mal sind knapp mehr als die Hälfte der Münchner Wahlberechtigten an den Urnen gewesen (50,9 Prozent). Deutlich mehr Menschen haben im Vergleich zu 2014 per Briefwahl abgestimmt, das lag vermutlich an der Corona-Krise.

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