Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in München:Diese Kleinstparteien kämpfen um den Einzug in den Stadtrat

Neben den bekannten Parteien gibt es eine viele Gruppierungen, die bei der Kommunalwahl kandidieren - ihre Themen sind mitunter erfrischend. Ein Überblick.

Von Thomas Anlauf, Heiner Effern, Dominik Hutter und Ricarda Richter

Wer bisher weder im Bundes- noch Landtag oder Stadtrat vertreten war oder fünf Prozent bei der Europawahl erreicht hatte, musste 1000 Unterschriften sammeln, um an der Kommunalwahl teilzunehmen. Sechs sehr unterschiedliche Gruppierungen haben diese Hürde genommen und mischen jetzt im Wahlkampf mit.

Mut:

Fast hätte die Kommunalwahl ohne die neue Partei Mut stattgefunden. Erst in den letzten Tagen der Eintragefrist kamen die nötigen 1000 Unterstützer-Unterschriften zusammen. Nun tritt Mut zum ersten Mal im Kampf um das Oberbürgermeisteramt und die Mandate im Stadtrat an. Das sorgt vor allem dafür, dass die Plätze auf der linken Seite des politischen Spektrums noch härter umkämpft sein werden als bisher. Aus dem Frust über das Angebot dort ist Mut entstanden. Für die Queer-Community soll mehr passieren, als zum Beispiel die Rosa Liste zustande gebracht hat. Im Sozialen sollen Linke und SPD Feuer bekommen. Und in der Ökologie will Mut die besseren Ziele verfolgen als die Grünen. Die wirkliche Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft erklärt die Partei zu einem ihrer Hauptziele. Mut will dafür nun mit Schwung in den Wahlkampf ziehen und vor allem wieder mit dem wichtigsten Gesicht der Partei in München. Claudia Stamm, die bis zu ihrem Austritt fast zehn Jahre für die Grünen im Landtag saß, will nach einer privat schwierigen Zeit wieder zurück in die Politik.

"Nach dem plötzlichen Tod meines Mannes habe ich wieder die Kraft und Energie, mich als Politikerin für Menschen und Werte einzusetzen", sagt sie. Stamm war zuvor wesentlich beteiligt an der Neugründung von Mut im Jahr 2017. Gelingt es ihr, die alten politischen Netzwerke wieder zu aktivieren, werden die Chancen der Partei schlagartig steigen. Stamm tritt auf Platz zwei der Liste an, vor ihr steht nur OB-Kandidatin Stephanie Dilba. Im Programm setzt Mut unter anderem auf einen autofreien Sonntag, Tempo 30 flächendeckend und die Trambahn als öffentliches Transportmittel. Vor allem aber die Fußgänger sollen mehr Beachtung bekommen. Die Energieversorgung soll dezentral durch Photovoltaik und kleine Windräder auf Hausdächern erfolgen. Die Subkultur und freie Kulturszene soll künftig ebenso gefördert werden wie Prestige-Projekte der Hochkultur.

Zuba:

Für Menschen, die sich für die Münchner Lokalpolitik interessieren, ist der Spitzenmann der neuen Wählergruppe Zuba - Zusammen Bayern ein bekanntes Gesicht. Četin Oraner saß in den vergangenen sechs Jahren für die Linke im Stadtrat und hat sich dort einen guten Ruf als sachorientierter und dennoch streitbarer Politiker erarbeitet. Doch bei der Aufstellung zur Kommunalwahl am 15. März ging er bei der Linken leer aus. Oraner gründete daraufhin kurzerhand Zuba. Die Liste trägt natürlich seine Handschrift und programmatisch ist die Gruppierung eher links aufgestellt. Dennoch sind bei Zuba Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten vertreten.

Da ist beispielsweise der Radiologe und Oberarzt Thanasis Bagatzounis, der sich für eine Kommunalisierung des Gesundheitswesens einsetzt. Julia Mimbang wiederum arbeitet in einem Projekt für Frauen in Kunst und Politik. Gemein ist den Kandidaten, dass viele von ihnen Wurzeln in verschiedensten Ländern haben, so wie Oraner, der als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland kam. Oraner betont, dass Zuba dafür stehe, dass in München auch Menschen aus anderen Kulturen viel stärker im Stadtrat vertreten sein müssten. "Es ist Zeit, dass wir uns emanzipieren", sagt er. Denn lediglich sieben Prozent der Stadträte hätten einen Migrationshintergrund, doch in München hat fast jeder Zweite ausländische Wurzeln.

Trotzdem geht es Zuba nicht nur um mehr politische Mitsprache für Migranten. Die Gruppierung sieht sich als Kämpferin für ein soziales, ökologisches, feministisches und interkulturelles München - und positioniert sich natürlich auch gegen Rechtsextremismus. Am Montag verteilten Oraner und seine Mitstreiter Flugblätter: "Thüringen darf sich nicht wiederholen", steht darauf. "Keine Faschisten ins Münchner Rathaus!"

Die Partei:

Die Partei will ihrem Ruf alle Ehre machen. Den "schmierigsten, dreckigsten und skandalösesten Wahlkampf" will sie liefern, verspricht Spitzenkandidatin Marie Burneleit. Ihre Partei ist "Die Partei", also diejenige des Satirikers Martin Sonneborn, und entsprechend geht sie die kommenden Wochen an. Erklärtes Ziel ist nicht eine eigene Fraktion, sondern eine WG im Rathaus. Dorthin will die Partei alle Bürger einladen, analog auf ein bequemes Sofa oder per Live-Stream in den sozialen Medien. Aus bester Perspektive könnten die Münchnerinnen und Münchner dort erleben, wie die Stadträte der Partei "den Watschnbaum" im Rathaus umfallen lassen, kündigt Burneleit an.

Obwohl vor dem letzten Wochenende noch einige hundert Unterstützerunterschriften fehlten, hat die Partei die Zulassung zur Kommunalwahl letztlich sicher geschafft. Mit Moritz Weixler ist auch ein OB-Kandidat im Rennen, der sich vorab als potenzieller 24-Stunden-Bürgermeister oder als Nachtbürgermeister positionierte. Die Liste für den Stadtrat umfasst 32 Personen, die mit einem vielfältigen Programm für sich werben. Die Probleme der S-Bahn will die Partei nicht mit einem, und auch nicht mit zwei Tunnels lösen. Sie schlägt eine Ringbahn in Brezenform vor, die Passagiere im gesamten Stadtgebiet bedienen könnte. Das Wohnungsproblem für Studenten will die Partei auch münchnerisch-pragmatisch angehen, indem sie "SUVs mit Toilette und Wlan" ausstattet. Die Mietpreise wären hingegen generell an die Masspreise zu koppeln. Klimatechnisch setzt sich die Partei für eine Abschaltung des Heizkraftwerks Nord ein. Dieses sei "durch ein klimaneutrales Dampfplauder-Heißluft-Kraftwerk auf der CSU-Zentrale" zu ersetzen. Insbesondere die Volksparteien CSU und SPD müssten bei einem Einzug mit einer harten Opposition durch die Partei rechnen. Das zeigt offenbar schon Wirkung. Die CSU nehme der Partei mit ihren Plakaten die Satire-Arbeit bereits ab, sagt Spitzenkandidatin Burneleit.

Fair:

Einfach ist es nicht, ein Bild von "Fair" und seinen politischen Zielen zu bekommen, die neue Migranten-Gruppierung präsentiert sich im Internet bislang ein wenig nichtssagend. Klar ist aber: Es geht den Kandidaten um eine politische Vertretung der Münchner Migranten, die - wie OB-Kandidatin Ender Beyhan-Bilgin beklagt - auf den Listen der "klassischen" Münchner Parteien eher schwach und schlecht platziert vertreten seien. "Fair" bedeutet ausgeschrieben Freie Allianz für Innovation und Rechtsstaatlichkeit und nennt als oberstes Ziel seiner Bemühungen ein kommunales Wahlrecht für alle. München sei bunt, "wir wollen, dass mit uns gesprochen wird und nicht über uns." Streng genommen findet Beyhan-Bilgin selbst die eigene (eher muslimisch-türkisch-arabisch geprägte) Liste nicht bunt genug, aber das sei in der Kürze der Zeit nicht anders möglich gewesen. "Fair" will sich etwa für eine bessere Förderung von Projekten gegen politischen Extremismus und religiösen Fanatismus engagieren,den MVV für Rentner kostenlos machen und die Autos aus der Altstadt (aber nicht aus den Innenstadtrandgebieten) verbannen.

Beyhan-Bilgin saß früher für die SPD im Bezirksausschuss Obergiesing, musste aber wegen ihrer Kandidatur für "Fair" die Partei verlassen. Vermutlich hätte es aber auch ohne diesen Schritt viel Ärger gegeben, denn die Sozialdemokraten werfen ihr mangelnde Distanz zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie dessen Einmarsch in Syrien vor. Zudem pflegt sie über den Münchner Verband türkischer Vereine Kontakt zu rechtsextremistischen türkischen Kräften wie den "Grauen Wölfen". Sie selbst sagt, dass man diese Gruppen bewusst nicht ausschließen wolle. Und dass Erdoğan gute, aber auch schlechte Sachen gemacht habe.

Volt:

Die Frage, wie städtisches Leben in Zukunft funktionieren soll, ist in allen europäischen Großstädten die gleiche. Davon sind die Kandidierenden der Partei Volt überzeugt. Deshalb sei es sinnvoll, gemeinsame Ansätze nicht nur für überstaatliche Herausforderungen zu suchen, sondern auch auf lokaler Ebene voneinander zu lernen. "In Europa leben über 100 Millionen Menschen in Großstädten und manche haben die Probleme schon gelöst, vor denen wir noch stehen", sagt Volt-Sprecher Jakob Klingenberger. Wien gilt als Vorbild für bezahlbares Wohnen, Tallinn für Digitalisierung, Kopenhagen für Mobilität. In München will Volt sich für einen langfristig kostenlosen Nahverkehr einsetzen und die Innenstadt Schritt für Schritt autofrei werden lassen. Die Forderungen des Radentscheids München sollen schnellstmöglich umgesetzt und neue Fußgängerzonen eingeführt werden.

Die übergeordnete Vision für ein starkes und demokratisches Europa ist das Alleinstellungsmerkmal der Partei. Volt versteht sich als junge Bewegung, die Menschen mit verschiedenen politischen Hintergründen zusammenbringt. "Wir möchten in gewisser Weise ideologiefrei arbeiten und Sachverhalte einzeln und wissenschaftlich bewerten", sagt Klingenberger. München soll dabei nicht nur von anderen Städten lernen, sondern selbst zum Vorbild werden. Volt will die Suche nach Kita-Plätzen vereinfachen, den Zugang zu Bildung sozial gerecht gestalten, die Stadt langfristig von Müll befreien, sie entsiegeln und renaturieren. Das Volksbegehren "Mietenstopp" unterstützt die Partei, den Bau von einfachen Wohnhäusern und Werkswohnungen will sie fördern. Und natürlich geht es auch um mehr Europa an der Isar: unter anderem durch die Schaffung eines eigenständigen Europa-Referats und der stärkeren Unterstützung der über 200 000 EU-Ausländer.

München-Liste:

Will man das Programm der München-Liste in zwei Worten zusammenfassen, kommt wohl heraus: Deckel drauf. Die Gruppierung, die sich als politische Vertretung diverser Bürgerinitiativen versteht, ist das wohl augenfälligste Ergebnis der bei vielen Münchnern verbreiteten Wachstumsskepsis - einer Art Unwohlsein über steigende Mieten, überfüllte U-Bahnen und überlastete Behörden. Das Rezept dagegen lautet: weniger Wohnungsbau und vor allem keine neuen Gewerbeflächen und somit weniger neue Arbeitsplätze. Die München-Liste sagt ganz offen, dass sie sich das Forschungszentrum von BMW mit seiner fünfstelligen Zahl von Jobs auch ebenso gut in Nordrhein-Westfalen vorstellen könne. Neue Arbeitsplätze, so die München-Liste, zögen immer noch mehr Menschen nach München, die wiederum Wohnungen bräuchten und so die Mieten nach oben trieben. These: Wachstum sorgt für weiteres Wachstum. Der Bau immer neuer Wohngebiete sei keine Lösung, sondern ein Problem, da die hohe Fluktuation immer wieder zu neuen Mietverträgen und damit weiteren Preissteigerungen führe.

Diese Thesen werden im Rathaus nur von wenigen der derzeit amtierenden Politikern geteilt. Dort gilt als gesetzt, dass eine Einschränkung des Wohnungsbaus erst recht Mietsteigerungen in einem bislang ungekannten Ausmaß zur Folge hat - und dass man in einer freien Gesellschaft keine Mauer um die Stadt ziehen kann. Die München-Liste fordert denn auch keinen kategorischen Stopp des Wachstums, sondern dessen Begrenzung. Die Lösung soll andernorts liegen: in abgehängten ländlichen Regionen, die um jeden Arbeitsplatz froh seien. Dies sei durchaus möglich, so die etwas saloppe Aussage des Spitzenkandidaten Dirk Höpner - wenn es sich erst einmal herumspreche, dass in München keine Zuzügler mehr willkommen seien, kämen auch weniger.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2020/lfr
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