Stadtrats- und OB-Wahl 2020:Kommunalpolitik geht jeden an

Stadtratsplenum in München, 2018

Der Münchner Stadtrat tagt im großen Sitzungssaal des Rathauses.

(Foto: Florian Peljak)

Im Rathaus werden Dinge beschlossen, die viele Münchner unmittelbar betreffen - vom neuen Wohngebiet bis zum U-Bahnbau. Das Interesse an den Wahlen ist dennoch gering.

Von Dominik Hutter

Es ist normalerweise nicht erforderlich, frühzeitig Plätze zu besetzen. Die Zuschauergalerien in den beiden Stadtrats-Sitzungssälen fallen an den allermeisten Tagen nicht durch Überfüllung auf - nur bei ausgewählten Themen geht es manchmal etwas enger zu. Dabei ließe sich einiges erfahren über die Dinge, die sich vor der eigenen Haustür abspielen oder demnächst abspielen werden. Aber Kommunalpolitik ist offenkundig kein Hipster-Thema. Seit der ersten Kommunalwahl 1946 ist die Wahlbeteiligung von einst stolzen 85 Prozent auf nur noch 42 Prozent im Jahr 2014 abgesackt - 58 Prozent der wahlberechtigten Münchner verzichteten also auf ihre wichtigste kommunale Einflussmöglichkeit.

Zum Vergleich: An der Landtagswahl 2018 beteiligten sich fast 73 Prozent der Münchner, bei der Bundestagswahl ein Jahr zuvor waren es sogar 78,5 Prozent. Selbst die oft wegen ihres geringen Zuspruchs belächelte Europawahl kam 2019 auf 65,4 Prozent. Ein bisschen erstaunlich ist das schon. Denn natürlich ist es wichtig, ob es zu einem No-Deal-Brexit kommt und wie die nächste Rentenreform gestaltet wird. Nur: Was in dem palastartigen Bau am Marienplatz entschieden wird, betrifft ganz unmittelbar den Alltag der allermeisten Münchner.

Und das bayerische Kommunalwahlrecht hält zudem eine ganz besonders charmante Art der Einflussnahme parat, die es bei Wahlen auf anderen Ebenen nicht gibt: Jeder Wähler hat 80 Stimmen, die er auf einzelne Bewerber verteilen kann - man kann sich also quasi seinen eigenen Stadtrat zusammenstellen, samt gewünschter Opposition. Unkompliziert ist das nicht, aber wer die allzu ausgiebige Beschäftigung mit dem quadratmetergroßen Stimmzettel scheut, kann eine Abkürzung nehmen und einfach eine Liste kreuzen.

Eine Besonderheit ist auch die Direktwahl des Oberbürgermeisters, der damit im kommunalen Umfeld eine Machtposition erhält, wie sie auf der Bundesebene nicht einmal die vom Parlament abhängige Kanzlerin innehat. Dazu kommt, dass der Rathaus-Chef nicht nur im Stadtrat wirkt, dort die Tagesordnungen absegnet, Sitzungen leitet sowie München nach außen repräsentiert. Er ist auch der oberste Chef der Stadtverwaltung, die viele kleinere Entscheidungen des Alltagsgeschäfts in Eigenregie treffen darf. Darauf kann dann der Stadtrat keinen Einfluss nehmen, der Oberbürgermeister aber sehr wohl.

Die Bedeutung der Stadtratsbeschlüsse kann man gar nicht zu hoch einschätzen

Die beiden Bürgermeister hingegen, die feste Themengebiete beackern, ebenfalls Sitzungen leiten und ansonsten den OB vertreten, werden aus dem Stadtrat heraus gewählt. Und dann gibt es auch noch die "Stadtminister", die Referenten, die ebenfalls nicht von den Münchnern gewählt werden, sondern vom Stadtrat. Sie sind die Chefs der Fachbehörden wie Kreisverwaltungs-, Kommunal-, Sozial- oder Umweltreferat, haben im Stadtrat jedoch kein Stimmrecht.

Am 15. März 2020, dem Termin der nächsten Kommunalwahl, geht es aber nicht nur darum, wer sich für sechs Jahre in den Fraktions- und Sitzungsräumen des Rathauses breit machen darf. Ebenfalls zur Wahl stehen die Mitglieder der 25 Bezirksausschüsse, die allerdings nur über bescheidene Entscheidungskompetenzen verfügen. Sie stellen sozusagen die unterste kommunale Ebene dar, in der es um die Belange der unmittelbaren Nachbarschaft im Stadtviertel geht. Die Verknüpfung zwischen Stadtrat und Bezirksausschüssen ist eng - allein schon deswegen, weil Rathauspolitiker bei den örtlichen Treffen ihrer Partei stets mit den Bezirksausschussmitgliedern zusammensitzen.

Zum Reichwerden eignet sich die Arbeit im Rathaus nicht

Die Bedeutung der Stadtratsbeschlüsse für das Alltagsleben der Münchner kann man eigentlich gar nicht zu hoch einschätzen. Am Marienplatz wird diskutiert, wo neue U-Bahn-Tunnel gebaut werden, wo noch Kindertagesstätten und Schulen fehlen und an welchen Stellen neue Wohngebiete entstehen könnten. Wenn ein Radweg verbreitert, ein Platz verschönert, ein Sportplatz oder ein neuer Park angelegt wird, hat sich zuvor der Stadtrat damit befasst - erst in den Fachausschüssen, dann in der Vollversammlung, an der alle teilnehmen.

Die Stadt betreibt mehrere Theater, Orchester, fördert private Bühnen, verfügt mit den Stadtwerken über einen eigenen Energieversorger, leistet sich gerade einen Theater-Neubau auf dem Viehhof-Gelände, saniert demnächst Europas größtes Kulturzentrum am Gasteig und ist Betreiber der Stadtbibliothek und der Volkshochschule. Ob in der Nähe der eigenen Wohnung ein Alten- und Service-Zentrum entsteht, ein Spielplatz oder ein neuer Wertstoffhof, hängt von den Entscheidungen des Stadtrats ab.

Dazu geht es in den Debatten um Mieterschutz, um Grundstücksstrategien, den Kohleausstieg und Wartezeiten in der Passstelle des Kreisverwaltungsreferats. Oder um die Müllabfuhr. München verfügt über eigene Schulen, besitzt Anteile an der Messegesellschaft sowie am Flughafen im Erdinger Moos und ist Alleingesellschafter des Nahverkehrsunternehmens MVG. Auch der Tierpark Hellabrunn ist eine kommunale Angelegenheit, und dass die Isar im südlichen Abschnitt so naturnah aussieht, haben die Griller und Biertrinker der Arbeit von Stadträten und Verwaltung zu verdanken. Zum Reichwerden eignet sich die Arbeit im Rathaus übrigens nicht. Stadträte sind ehrenamtlich tätig, erhalten eine überschaubare Aufwandsentschädigung und Sitzungsgelder. Viele arbeiten "nebenbei" in ganz normalen Berufen.

Erstmals haben auch die Grünen Chancen auf die Position eins im Rathaus

Über die Jahrzehnte betrachtet, sind die Münchner im Rathaus eher Kontinuität gewohnt. Das liegt nicht zuletzt an der 21-jährigen Regentschaft des SPD-Oberbürgermeisters Christian Ude, der eine 24 Jahre währende rot-grüne Koalition anführte. Als er bei der Kommunalwahl 2014 aus Altersgründen nicht mehr antreten durfte, entschieden sich die Münchner für seinen Wunschnachfolger Dieter Reiter. Mit Rot-Grün war es anschließend vorbei, das Dauer-Bündnis verfügte über keine eigene Mehrheit mehr. Weshalb erstmals seit 1990 wieder die CSU in die Regierungsverantwortung kam - in Form einer rot-schwarzen "Kooperation", quasi einer großen Koalition light.

Ob im März 2020 eine vergleichbare politische Zäsur ansteht, ist noch unklar. Es gilt aber als sehr wahrscheinlich, dass mit den Grünen erstmals eine dritte Kraft neben SPD und CSU Chancen auf Position eins im Rathaus hat. Was auch das Duell um die Position des Oberbürgermeisters zu einem Dreikampf werden lässt.

Wenn aktuell der Münchner Stadtrat zusammentritt, hat das mit dem Ergebnis der Kommunalwahl von 2014 nur noch bedingt zu tun. Damals wurde die CSU mit 26 Sitzen knapp stärkste Fraktion, gefolgt von der SPD mit 25, den Grünen mit 13 und der FDP mit drei Mandaten. Dazu kamen Linke, Rosa Liste, ÖDP, Freie Wähler, AfD, Wählergruppe Hut, Piraten, Bayernpartei und die rechtsradikale BIA. Seitdem wechselten gleich mehrere Stadträte das Hemd - unter anderem haben CSU und SPD jeweils drei Mitglieder verloren und eines hinzugewonnen. Die Bayernpartei ist von einem Sitz auf sechs angeschwollen. AfD, Hut und Piraten gibt es gar nicht mehr.

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