Kommunalpolitik:So nah und doch so fern

Nur mehr 42 Prozent der Berechtigten geben bei der Kommunalwahl 2014 ihre Stimme ab, viele Bürger beklagen in einer Studie eine wachsende Kluft zwischen ihnen und den Lokalpolitikern. Nun will der Stadtrat sein Image verbessern - mit einer Aufklärungskampagne

Von Anna Hoben

Eigentlich ist es merkwürdig. Was sich in der eigenen Stadt tut, das betrifft die Menschen unmittelbarer als die Dinge, die auf höheren politischen Ebenen beschlossen werden. Nicht immer, aber oft. Die politischen Themen liegen sozusagen direkt vor der eigenen Haustür. Und trotzdem sinkt die Wahlbeteiligung gerade bei Kommunalwahlen kontinuierlich. 2014 gaben in München nur 42 Prozent der Berechtigten ihre Stimmen ab. 1990 waren es noch 65 Prozent gewesen. Die geringe Beteiligung habe "fatale Folgen", so Oberbürgermeister Dieter Reiter, denn sie schwäche die Legitimation demokratischer Entscheidungen im Stadtrat.

Bürgerversammlung in München, 2017

Bei Bürgerversammlungen können Münchner mitreden. Aber reicht das, oder braucht es andere Formate?

(Foto: Florian Peljak)

In anderthalb Jahren steht die nächste München-Wahl an. Damit die Teilnahme nicht noch verheerender ausfällt, will die Stadt nun gegensteuern. Gegen den Trend zur Politikverdrossenheit. Und gegen den Eindruck, Kommunalpolitiker seien unzugänglich und Entscheidungsprozesse sowieso undurchschaubar. Dass viele Bürger das so empfinden, hat der Soziologe Werner Fröhlich von der Ludwig-Maximilians-Universität in einer von der Stadt beauftragten Studie ermittelt, die im April im Stadtrat vorgestellt wurde. Etwa 4000 Bürger wurden nach dem Zufallsprinzip angeschrieben, knapp jeder vierte schickte eine Antwort. Die Ergebnisse: Münchens Kommunalpolitiker lassen sich bei den Menschen in den Stadtvierteln viel zu selten blicken. Und wenn sie kommen, dann nur zu besonderen Anlässen. So empfinden das sechs von zehn Münchnern. Jeder dritte ist zudem davon überzeugt, dass das Hauptmotiv für einen Besuch bei den Bürgern der kurzfristige Stimmenfang ist.

Josef Schmid und Horst Seehofer im Wahlkampf zur Münchner OB-Stichwahl, 2014

Viele glauben, dass Politiker sich nur zum Stimmenfang blicken lassen. So wie die Bürgermeisterkandidaten vor der Kommunalwahl 2014: Josef Schmid und seine Frau Natalie luden den damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer ins Pep.

(Foto: Catherina Hess)

"Demokratie stärken", so heißt die Beschlussvorlage, über die der Stadtrat am Mittwoch abgestimmt hat. Sie geht auf Anträge der Fraktionen von Grünen und SPD zurück. Eine Informationskampagne mit dem Titel "Wählen gehen" soll die Bürgerinnen und Bürger darüber aufklären, wie Kommunalpolitik in der Landeshauptstadt funktioniert. Beteiligt sein werden neben den städtischen Referaten und der Fachstelle für Demokratie auch die Stadtwerke, die Münchner Verkehrsgesellschaft und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Erstwähler und Münchner mit Migrationshintergrund sollen dabei besonders angesprochen werden. Denn bei Kommunalwahlen dürfen auch Münchner ohne deutsche Staatsbürgerschaft abstimmen, solange sie EU-Bürger sind und mindestens zwei Monate in der Stadt leben - viele wissen das aber nicht.

Dieter Reiter im Wahlkampf zur Münchner OB-Stichwahl, 2014

Dieter Reiter (SPD) verteilte Luftballons.

(Foto: Catherina Hess)

Allerdings nützt oft die beste Kampagne nichts, wenn es nur bei schönen Worten bleibt. Die Stadt will deshalb die demokratische Bildung fördern und baut dazu ihre bereits bestehenden Angebote und Projekte aus. Dazu gehören etwa die Demokratietrainer Pastinaken, bei ihnen wird die finanzielle Ausstattung erhöht. Das beim Kreisjugendring angesiedelte Demokratiemobil wird erstmalig gefördert. Unterstützt werden auch Projekte an Schulen und in Nachbarschaftstreffs, im NS-Dokumentationszentrum und an der städtischen Volkshochschule.

Sabine Nallinger übt Anzapfen auf dem Münchner Oktoberfest, 2011

Sabine Nallinger (Grüne) zapfte auf der Wiesn ein Fass an.

(Foto: Robert Haas)

Die Mitglieder des Verwaltungs- und Personalausschusses im Stadtrat beschlossen den Antrag ohne Gegenstimmen. Eine einigermaßen lebhafte Diskussion hatte sich zuvor noch an zwei erfolglosen Änderungsanträgen der Grünen entsponnen, denen nur die Linke zustimmte. Die Grünen wollten das aus ihrer Sicht eigentliche Problem viel stärker aufgreifen, das sich in der Studie des Soziologen Fröhlich herauskristallisiert hatte: nämlich dass die Kommunalpolitiker zu wenig ansprechbar seien. Sie hatten deshalb vorgeschlagen, eine mobile Bürgersprechstunde der Bezirksausschüsse und ein Format namens "Stadtrat vor Ort" einzurichten. Bürgerversammlungen seien kein Ersatz dafür, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Habenschaden. Es sei enttäuschend, dass all das, "wo wir selbst hätten aktiv werden können, in der Vorlage nicht stattfindet".

SPD-Stadtrat Christian Vorländer fand, dass Habenschaden die Problematik überzeichne; es gebe bereits genügend Formate, die einen Dialog ermöglichten. Die CSU-Stadträtin Sabine Bär stellte gleich die zugrundeliegende Studie in Frage, "ich muss mich wirklich fragen, stimmt diese Analyse überhaupt". Oft sei ja auch "eine gewisse Zufriedenheit" dafür verantwortlich, dass sich die Bürger nicht einbrächten. Diese Analyse wiederum empfand Habenschaden als "brandgefährlich". Mehrere Stadträte berichteten, dass sie in ihren Vierteln auf der Straße häufig erkannt und angesprochen würden, dass ein Dialog also durchaus und ständig stattfinde. Sie stellten auch die Frage, wie viel Stadträte als ehrenamtliche Politiker überhaupt in der Lage seien zu stemmen. Über die Frage, warum viele Bürger eine solche Kluft zwischen sich und den Kommunalpolitikern verspürten, wie es die Befragung gezeigt hatte, wurde am Mittwoch nicht diskutiert.

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