Kommentar:Umbau mit Augenmaß

Die anstehende Nachverdichtung könnte für die Siedlung Ludwigsfeld durchaus eine Chance bedeuten. Nun kommt es darauf an, ob die Stadtplaner das Gespür für die richtigen Proportionen haben

Von Jerzy Sobotta

Lange haben die Ludwigsfelder über die Zukunft ihrer Siedlung gerätselt. Spekulationen und Ängste wurden vor zwei Jahren durch den Verkauf der gut 660 Wohnungen weiter befeuert. Dass es sich bei den Käufern um drei Herren handelt, die der Führungsriege der Patrizia Immobilien AG nahestehen, hat die Lage nicht gerade beruhigt. Denn der Name Patrizia ist hier mit schlechten Erinnerungen verbunden: 2007 protestierten die Anwohner erbittert, als bekannt wurde, dass der Bund die Anlage an das Immobilienunternehmen veräußern will. Sie fühlten sich verkauft und von Politik und Staat im Stich gelassen. Verhindern konnten sie den Verkauf damals nicht, und die befürchteten Sanierungen und Mieterhöhungen ließen nicht lange auf sich warten. Dass die aktuellen städtischen Pläne für eine mögliche Nachverdichtung nun Unmut nach sich ziehen, kann vor diesem Hintergrund niemanden verwundern.

Dabei könnte es der Stadt aber durchaus gelingen, das Vertrauen der Anwohner zurückzugewinnen. Eine Nachverdichtung würde in der Siedlung einiges entstehen lassen, was die Ludwigsfelder selbst seit langer Zeit fordern: Nachbarschaftstreff, Grundschule, Geschäfte, Cafés und neue Spielplätze. Auch der Autoverkehr, bisher eines der größten Ärgernisse, könnte neu geordnet werden. Dass es in der Siedlung gerade hieran am meisten mangelt, bestätigte jüngst auch eine Studie der Caritas, die vor zwei Monaten veröffentlicht wurde. In über 100 Interviews mit Anwohnern und zahlreichen Experten kommt sie zu dem gleichen Ergebnis wie die Stadtplaner: In der Siedlung fehlt es an sozialer Infrastruktur und der Anbindung an die Stadt.

Doch die Ludwigsfelder haben bereits etwas, was selbst gute Stadtplaner nicht leisten könnten: ein Gefühl von Gemeinschaft und starke soziale Bindung. Das hat sich in der Siedlung über Jahrzehnte entwickelt: aus der Randlage, der Isolation, aber vor allem aus ihrer Geschichte. Ludwigsfeld wurde auf den Überresten des ehemaligen KZ-Außenlagers Allach erbaut - für Menschen aus fast 30 Nationen, die nach KZ-Haft, Exil oder Vertreibung ihre Heimat verloren hatten. Viele ihrer Nachfahren leben noch heute in Ludwigsfeld und pflegen dieses Erbe.

Die neue Grundschule soll dort gebaut werden, wo sich einst das "Judenlager" befand. Wie ernst es Stadt und Eigentümern mit den Bewohnern ist, wird sich aber auch nicht zuletzt daran zeigen, ob sie eine würdige Form des Gedenkens finden. Und ob sie das Gespür für die richtigen Proportionen haben, damit dieses filigrane soziale Gefüge der Siedlung Ludwigsfeld erhalten bleibt.

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