Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Straßen sind für alle da

Es kann nicht sein, dass sich täglich Hunderttausende Pendler in ihren Autos durch die Stadt stauen, und für Radler und Fußgänger kein Platz ist: Münchens Straßen sind für alle da

Von Thomas Anlauf

München soll Radlhauptstadt sein? Von wegen, tiefste Provinz. Zwar steigt die Zahl der Fahrradfahrer rasant an, schließlich gilt es als schick, auf diese Weise umweltfreundlich durch die Stadt zu gleiten. Radeln ist zudem auf nahezu allen Strecken schneller, als mit anderen Verkehrsmitteln zu fahren. Aber auf der Straße merkt man fast nichts davon, dass die Stadt auf Radler statt auf Blechlawinen setzt. Die Rosenheimer Straße: eine lebensgefährliche Falle, weil die Radwege abrupt enden. Die Schwanthalerstraße: eine Asphaltschneise, in der kein Platz für Radler ist. Die Lindwurmstraße: für Fußgänger und Fahrradfahrer eine gemeingefährliche Begegnungsstätte.

Die Brennpunkte sind seit Jahren bekannt - im Stadtrat, in der Verwaltung, bei der Polizei. Doch statt die Probleme anzupacken, werden höchstens kaum befahrene Sträßlein in Wohngebieten zu Fahrradstraßen umgewidmet, deren Regeln kaum einer kennt. Genau so wenig wie den Paragrafen 27 der Straßenverkehrsordnung. Dank dieser Bestimmung dürfen 16 Radler und mehr ganz legal und nebeneinander auf der Straße fahren. Dass Münchner Umweltaktivisten diesen weitgehend vergessenen Paragrafen nun zu Demozwecken auf der Lindwurmstraße nutzen, um Radlern mehr Raum auf Münchens Straßen zu verschaffen, mag einige Autofahrer ärgern, ist aber ihr gutes Recht.

Denn es kann nicht sein, dass sich täglich Hunderttausende Pendler in ihren Autos durch die Stadt stauen, und für Radler und Fußgänger kein Platz ist. Münchens Straßen sind für alle da, und für alle muss Raum geschaffen werden: Breite Gehwege oder Fußgängerzonen für Flaneure. Und für Radler markierte Spuren auf den Straßen mit viel Verkehr. Dafür braucht es keine jahrelangen Untersuchungen von Experten, sondern nur etwas guten Willen und ein bisschen Farbe auf der Fahrbahn.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2015
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