Kommentar:Stimmung schlecht, Bilanz gut

Die Rathaus-Koalition arbeitet besser als ihr Ruf ist. Vor allem hat sie es geschafft, den Projektstau der späten Ude-Jahre aufzulösen

Von Dominik Hutter

So unterschiedlich die Situation deutscher Großstädte sein mag, in einem sind sich Kommunalpolitiker aus allen Ländern einig: Die Münchner Probleme hätte man gerne. Die Stadt an der Isar gilt als reich, selbstzufrieden und vergleichsweise pflegeleicht. Wo viel Geld ist, kann man viel gestalten, das mögen Politiker. Viele Kollegen dürften den SPD-Politiker Dieter Reiter daher beneidet haben, als er vor drei Jahren sein Amt als Oberbürgermeister antrat - in einer Stadt, deren Etat eineinhalb Mal höher ist als der Landeshaushalt des Saarlands.

Mit Reiter ging ein Traditionsbruch einher. Erstmals seit den Achtzigerjahren durfte die als ewige Opposition gehandelte CSU in die rote Rathaus-Bastion eindringen. Zur Halbzeit des schwarz-roten Bündnisses stellen nun selbst Skeptiker fest: Der vor allem in linken Kreisen erwartete Klimawandel von der sozialen und toleranten Stadt hin zur christlich-konservativen Trutzburg ist ausgeblieben. Stattdessen wurden viele Probleme angepackt, die zuvor jahrelang verschleppt wurden.

Denn auch München hat so seine Wehwehchen. Viele davon sind Wachstumsschmerzen, die hohen Mieten etwa oder die überfüllten U-Bahnen. In den letzten Amtsjahren des Dauer-Oberbürgermeisters Christian Ude drehte sich sehr viel um seine Landtagsambitionen und den Wunsch, noch einmal Olympische Spiele an die Isar zu holen. Dass die Schulen auch hier überfüllt und marode sind, dass der U-Bahn-Bau zum Erliegen gekommen ist und dass mehr für den Wohnungsbau getan werden muss, war aber irgendwann nicht mehr zu übersehen. Es galt, einen Stau aufzulösen. Inzwischen gibt es ein milliardenschweres Schulbauprogramm und ein ehrgeiziges Wohnungsbaupaket. Das von der Pleite bedrohte Klinikum schreibt schwarze Zahlen, Schulden werden getilgt, neue U-Bahn-Röhren sollen gebaut werden. Das ist keine allzu schlechte Bilanz für ein Bündnis, das alles andere als eine Liebesheirat war.

Die Frage ist nur, wie es bis zur nächsten Wahl 2020 weitergeht: Die große Koalition wirkt zerstritten, der Vorrat an Gemeinsamkeiten scheint nach drei Jahren aufgebraucht zu sein. Es rächt sich, dass zuletzt viele Differenzen einfach mit Geld zugedeckt wurden. Nun muss auch München verstärkt auf seine Finanzen achten, neue Schulden gelten als unausweichlich, an einer Priorisierung der vielen Wunschprojekte kommt keiner mehr vorbei. Und dafür braucht es auch weiter eine stabile Koalition - denn es wäre fatal, wenn diese Weichenstellungen von Zufallsmehrheiten abhingen. Eine Stadt, die die Marke von 1,8 Millionen Einwohnern anpeilt, benötigt einen klaren Kurs, um ihr weiteres Wachstum sozial verträglich zu gestalten.

Damit das Klima nicht kippt, müssen viel mehr neue Wohnungen gebaut werden - ohne endlose Debatten über Fragen des Geschmacks und der Besitzstandswahrung. Und dass die Verkehrssituation so nicht bleiben kann, dürfte jedem klar sein, der einmal an einem Werktag hineingeraten ist. Vor diesem Hintergrund ist Dieter Reiter vielleicht doch nicht nur zu beneiden. Ein Spaziergang wird das alles nicht.

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