Kommentar:Sechs Tage reichen

Es tut dem Menschen gut, wenn er wenigstens an einem Tag in der Woche zur Ruhe kommt. Darauf sollte sich die Gesellschaft besinnen - und nicht die Freiheit einfordern, rund um die Uhr einkaufen zu können

Von Stephan Handel

Man muss ja nicht unbedingt praktizierender Christ sein, um vieles von dem für vernünftig zu halten, was der himmlische Gesetzgeber laut Bibel festgelegt hat: Einmal die Woche kein Fleisch essen. Den Acker alle sechs Jahre für ein Jahr brach liegen lassen. Und: "Am siebten Tage aber sollst du ruhen." Sonn- und Feiertage gliedern die Woche und das Leben, sie dienen nicht nur der Erholung, sondern geben der Zeit eine Form und eine Struktur. Fehlt diese, das ist bewiesen, wird der Mensch krank.

Andererseits: Geschäfte fordern mehr verkaufsoffene Sonntage. Eventveranstalter wollen auch am Karfreitag und an Allerheiligen zum Tanz einladen. Und das Oberlandesgericht München gibt nun - voraussichtlich - Bäckereien Recht, die das Ladenschlussgesetz umgehen, indem sie drei Tische aufstellen und sagen: Wir sind jetzt keine Bäckerei mehr, sondern eine Gaststätte, deshalb dürfen wir am Sonntag Semmeln verkaufen, so lange wir wollen. Dem 6. OLG-Senat ist daraus kein Vorwurf zu machen - er wendet die Gesetze ja nur an. Wenn darin eine Lücke offen bleibt, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, sie zu schließen.

Man könnte also folgerichtig nach dem Gesetzgeber rufen, der in Bayern ja immer noch die christliche Gesinnung vor sich her trägt. Vielleicht ist aber mehr noch eine gesellschaftliche Rückbesinnung erforderlich - dahin, dass nicht alle Bedürfnisse gleich und sofort befriedigt werden müssen. Dass es dem Menschen gut tut, wenn er wenigstens an einem Tag in der Woche zur Ruhe kommt. Und nicht zuletzt: Dass die Freiheit, immer und überall alles einkaufen zu können, auf Kosten jener Menschen geht, die dann zu diesen Zeiten arbeiten müssen, die Beschäftigten im Einzelhandel, aber auch die kleinen Familienbetriebe. Schon bei den Bäckereien verhält es sich so, dass die großen Ketten die Sonntagsöffnungszeiten ohne Weiteres stemmen können, während der Einzelkämpfer froh wäre, müsste er nicht sieben Tage die Woche mitten in der Nacht den Ofen anfeuern.

Und schließlich: Wenn's denn gar nicht anders geht, wenn das neue Kleid, die neuen Schuhe, der neue Laptop unbedingt heute noch gekauft werden müssen, dann gibt es ja die durchgehend geöffneten Online-Shops, vom warmen Zuhause aus zu bedienen, und es dauert ja meist auch nur wenige Tage, bis das Packerl daheim eintrifft. Zugegeben: Frische Semmeln zum Frühstück gibt's im Internet leider nicht.

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