Kommentar:Nach 14 Jahren fast am Ziel

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Die Heimatsuche des TSV 1860 München wurde von einigen Vereinsmitgliedern klug gelenkt

Von Philipp Schneider

Eine Dreiviertelstunde nach Spielende waren noch Hunderte Fans des TSV 1860 im Grünwalder Stadion. Sie standen unter der analogen Anzeigetafel, die schon damals so aussah, als würde es gleich, wenn draußen die Tram vorbeirumpelt, Zahlen und Buchstaben auf die Zuschauer regnen. Die Löwen auf der Tribüne waren sehr melancholisch an diesem Maitag im Jahr 2005. Sie waren aber auch ein bisschen wütend, und der Fußballprofi Paul Agostino unterschätzte ihre Wut. "Eh, Leute, eh, ihr seid einfach zu viele, wir müssen umziehen! Nächstes Jahr steigen wir wieder auf!", rief er ihnen zu. Seine Botschaft ging unter im Gepfeife, also setzte Agostino neu an: "Eh, Leute, wir steigen auf!" Applaus.

Die Sechziger verließen an jenem Tag ihre baufällige Heimat in Giesing. Sie zogen an den Stadtrand in eine Arena, die sie Jahre zuvor mit dem FC Bayern geplant hatten - in einem Moment der Hybris, als sie dachten, sie würden für alle Zeiten in der ersten Liga spielen.

An diesem Maitag vor 14 Jahren zog eine Demonstration mit 400 Teilnehmern durch Giesing. Sie trugen schwarze Kleider unter ihren Trikots, dazu schwarze Krawatten, sie sangen ein Lied auf den Vereinspräsidenten Wildmoser: "Karl-Heinz hat den Verein verkauft." Unter den Protestlöwen waren einige, die sich etwas schworen: Dass sie nicht ruhen würden, ehe der TSV wieder zurückkehren würde ins aus ihrer Sicht so magische Stadion. Dass dieser Schwur der "Freunde des Sechzgerstadions" und der Anhänger der Initiative "Pro 1860" Realität werden könnte, ist nun wahrscheinlicher - und sie haben 14 Jahre lang darauf hingearbeitet. Sie haben die Satzung geändert, die relevanten Gremien besetzt und dann im strategisch klügsten Moment - dem Doppelabstieg 2017 von der zweiten in die vierte Liga - den Auszug aus der Arena eingeleitet. Um auf Nummer sicher zu gehen, verabredeten sie mit dem FC Bayern, dass sie niemals mehr zurückkehren dürfen, womit sie letztlich auch die Stadt München unter Zugzwang setzten. All dies lässt sich kritisieren. Keinesfalls kommt man umhin, die Schlauheit ihres Plans zu bewundern. Zurückgekehrt ins Grünwalder sind die Löwen 2017. Erst jetzt dürfen sie hoffen, dass sie bleiben können, sollten sie aufsteigen. Und nur ein Ort mit Bleiberecht fühlt sich an wie Heimat.

Seit 14 Jahren tobt bei 1860 der Streit zwischen Traditionalisten und Expansions-Freunden. An Schärfe verlieren wird er erst nach einem Beschluss des Umbaus. Dann können die Expansions-Freunde die Traditionalisten nicht länger "Ruinenanbeter" nennen. Dann können sie nur wie einst Paul Agostino die Kapazität kritisieren.

© SZ vom 25.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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