Kommentar:Moderne Herbergssuche

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Gut gemeint, schlecht gemacht: Ein marodes Haus in Milbertshofen soll einem Bau für Obdachlose weichen, aber wo sollen die Menschen hin, die jetzt noch dort wohnen?

Von Nicole Graner

Es ist kaum zu glauben, dass es so etwas im reichen München gibt: ein Haus, das in einem derart maroden, menschenunwürdigen Zustand ist! Mit Heizungen, die nicht wärmen, mit Fenstern und Wohnungstüren, die nicht richtig schließen, mit Wasser- und Schimmelflecken im Bad und mit großen Löchern im Fußboden. Ein Vermieter, der seit Jahren nichts repariert, aber abkassiert, die im Vergleich zum Zustand des Hauses relativ hohe Miete meist bar eintreibt, unrechtmäßige Kündigungen und Drohungen ausspricht. Und da sind die Mieter mit geringem Einkommen, die angewiesen sind auf diesen Wohnraum - mag er noch so feucht und unwirtlich sein.

Keine Frage: Das Haus an der Norderneyer Straße 10 ist ein Schandfleck. Es muss weg. Natürlich ist es gut, dass ein Investor aus Niederbayern dort mit einem Boardinghouse in Regie der Stadt München Wohnraum für wohnungslose Familien und wohnungslose Familien mit Migrationshintergrund schaffen will. In Zeiten, in denen Menschen auf der Suche nach einer neuen Heimat sind, ist das wichtiger denn je.

Nur: Erst muss für die Menschen, die im Haus an der Norderneyer Straße 10 leben, der Mieterschutz greifen. Wenn ihnen gekündigt wird, dann rechtmäßig. Und es muss für sie eine neue Bleibe gefunden werden. Und zwar - weil der Vermieter bis jetzt keine adäquaten, bezahlbaren Wohnungen gefunden hat - mit Hilfe der Stadt. Alleine schaffen es die Mieter der Norderneyer Straße 10 nicht. Zu groß sind die Hürden der Bürokratie: Ein Dringlichkeitsantrag für geförderten Wohnraum braucht Mietverträge und schriftliche Kündigungen. Das haben viele Mieter mit Migrationshintergrund nicht - und schon rutschen sie auf der Registrierungsliste nach hinten.

Es ist absurd, dass man die Menschen der Norderneyer Straße 10 in die Obdachlosigkeit zwingt, damit andere Obdachlose Obdach finden. Deshalb muss man spätestens jetzt auf die Bürokratie pfeifen und unkonventionell nach Lösungen suchen. Und zwar schnell.

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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