Kommentar:Mit Anstand verhandeln

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Die Stadt täte gut daran, von einer Kündigung des Mietverhältnisses aus "ideologischen" Gründen abzusehen und einen vernünftigen Kompromiss anzubieten

Von Andrea Schlaier

Viele in München kennen es gar nicht, das kleine Haus mit der roten Fahne. Seit 40 Jahren setzt man sich unter seinem Dach mit großer Beharrlichkeit für die Arbeiterbewegung ein, im Treppenhaus hängt die einstmals purpurne Fahne, mit der Berliner Arbeiter 1945 die Rote Armee begrüßt haben. Im Erdgeschoss werden auf einem alten DDR-Monstrum Flugblätter gedruckt, in der öffentlich zugänglichen Bibliothek einen Stock höher stehen Marx, Lenin und August Kühn dicht beieinander. Und die Mitglieder des Wiederaufbaubunds der KPD gehen auch aus und ein.

Nun muss man beileibe nicht mit allem einverstanden sein, was sich in diesem Begegnungszentrum des Viertels abspielt. Dass sich aber vor allem konservative politische Kräfte diesen Treffpunkt zum Parade-Feindbild frisierten, um ihn aus der städtischen Immobilie zu vertreiben, in Kauf nehmend, dass dies den hauseigenen Verlag und die Druckerei die Existenz kosten könnte, wirft ein denkbar schlechtes Licht auf kommunalpolitisches Gebaren.

Als vor Jahren ruchbar wurde, dass die Stadt, initiiert durch einen CSU-Antrag, plant, den Verlag als Mieter vor die Tür zu setzen, formierte sich große Unterstützung quer durch die Bevölkerung und alle Parteien des Bezirksausschusses. Deren Forderung nach Fakten verpuffte gleichwohl und machte eine konstruktive Auseinandersetzung unmöglich. Großes politisches Wegducken - gerade auch der SPD im Rathaus, der die Treue zum CSU-Bündnispartner mehr am Herzen lag als die zur arbeiterbewegten Vergangenheit oder, eine Nummer kleiner: als der Austausch auf Augenhöhe mit einer im Viertel verwurzelten Institution. Erst vor Gericht legten die Vertreter der Stadt das, was sie an Argumenten zu haben vorgaben, auf den Tisch. Wie wenig die wert waren, zeigten die Einlassungen des Richters, der vor willkürlichen Entscheidungen warnte und die gänzlich fehlenden Planungen einforderte.

Dass der Kündigungsgrund im laufenden Prozess komplett geändert wurde, stützt die These einer "ideologischen" Entscheidung genauso wie die Polemik der CSU in einer Stadtratssitzung, die die Mieter als "kommunistische Verfassungsfeinde" brandmarkte. Der Rathaus-SPD nahmen viele im Viertel - darunter etliche Genossen - bitter übel, dass sie sich auf CSU-Seite geschlagen hatte. Der Absturz der Sozialdemokraten im Viertel bei den Kommunalwahlen kommt nicht von ungefähr. Nun, von den Grünen angetrieben, traut sich die SPD gerade wieder Haltung zu. Höchste Zeit, das Rad in diesem Prozess zurückzudrehen und mit tiefroten Nachbarn mit Anstand eine gemeinsame Zukunft auszuhandeln.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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