Kommentar:Ein krankes System

Bayern ist reich. München ist reich. Dass ausgerechnet hier die Behandlung notleidender Kinder unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben wird, ist ein Armutszeugnis

Von Inga Rahmsdorf

Die Klinikleitungen machen ihre Aufgabe gut. In der Logik eines betriebswirtschaftlichen Unternehmens ist es nicht sinnvoll, kranke Kinder zu behandeln. Das ist personalintensiv, kostet viel Geld und bringt wenig ein. Da ist es nur logisch, die Kinderabteilungen herunterzufahren oder gar ganz zu schließen. Wie es nun der Kinderpsychosomatik am TU-Uniklinikum droht.

Wenn Ärzte, Psychologen und Pfleger in Kliniken wirklich das Wohl der kranken Kinder zum Ziel haben, können sie nur rote Zahlen schreiben. Denn der Fehler liegt im deutschen Gesundheitssystem. Wie eine medizinische Leistung vergütet wird, ist schließlich keine Frage des freien Marktes. Warum eine Knieoperation lukrativ sein kann, die Pflege eines Kindes aber nicht, basiert auf einer Entscheidung, die Politik und Krankenkassen getroffen haben. Damit auch Kinderkliniken für ihre Arbeit kostendeckend vergütet werden, muss das Abrechnungssystem dringend geändert werden.

Solange Kindermedizin aber ein Minusgeschäft ist, ist es eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, die Versorgung von kranken Kindern sicherzustellen. Wer würde auf die Idee kommen, eine viel befahrene Autobahn zu sperren, weil ihr Unterhalt zu teuer ist? Oder Münchens Bäder, U-Bahnen oder Theater zu schließen, weil sie defizitär arbeiten? Ist es nicht genauso absurd, Kinderkliniken klein zu sparen?

Der Freistaat Bayern ist zuständig dafür, dass in den beiden Münchner Unikliniken nicht nur lukrative Patienten, sondern auch Kinder angemessen versorgt werden. Statt dies sicherzustellen, baut die TU-Klinik gerade ihre Kinderpsychosomatik ab und die Ludwig-Maximilians-Universität plant seit sechs Jahren bisher eher erfolglos eine neue Kinderklinik. Das Projekt wird dabei immer weiter zusammengestrichen, die Klinik spricht euphemistisch davon, sie wolle es "kompakter" fassen. Der Freistaat fordert einen großen finanziellen Eigenanteil von der Klinik, weil es in Deutschland nicht selbstverständlich ist, Geld für die Versorgung von Kindern auszugeben. Und dass die LMU-Klinik ihren Anteil überhaupt erst zusammenbekam, als der Sultan von Oman 17 Millionen Euro spendete, ist ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Kinderheilkunde.

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