Kommentar:Die Bürger ernst nehmen

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Wer viel zumutet, muss die Betroffenen überzeugen

Von Thomas Kronewiter

Liebgewonnene Wohn-Situationen, langjährig gewohnte Spaziergänge im Grünen - nichts scheint mehr garantiert zu sein im boomenden München des 21. Jahrhunderts. Wenn die Zuzüge alljährlich in fünfstelligen Dimensionen gezählt werden müssen, ist verständlich, dass die Verantwortlichen im Rathaus dem Wohnungsbau oberste Priorität beimessen. Da ist es erst einmal erfreulich, wenn nicht bloß die städtischen Gesellschaften aktiv werden.

Dass die Münchner, die sich in ihrer Stadt wohnlich eingerichtet haben, erst einmal einen misstrauischen Blick auf alles werfen, was ihnen das Licht im Wohnzimmer raubt oder den Ausblick ins Grüne verstellt, ist verständlich. Diese Interessen sind genauso berechtigt wie die der Neuzuzügler, eine Wohnung zu erhalten. Damit die Stadt wohnlich bleibt und nicht zum sozialen Dauer-Brennpunkt wird, kommt es aufs rechte Maß an. Es ist klar, dass die Fürstenrieder zusätzlichen Wohnraum in ihrem Viertel nicht einfach verweigern können. Fest steht aber auch, dass Stadtpolitik und -verwaltung sowie die Bayerische Versorgungskammer als Bauherr die Bürgerbeteiligung in Fürstenried nicht als Alibi-Veranstaltung sehen dürfen.

Mit dem Brief an die Betroffenen, deren Haus mittelfristig zum Abriss ansteht, hat das Unternehmen einen guten Anfang gemacht. Dass diese nachträglich eingebrachte Planänderung nun aber alle Nachbarn misstrauisch macht, was noch alles drohen könnte, muss Ansporn für transparente Planung sein. Gute oder sogar bessere Ideen der Anwohner sollten eine Chance haben, Eingang in die Konzepte zu finden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Ängste, dass die Motorsäge womöglich auf Jahre hinaus kahle Flächen hinterlässt - selbst wenn aus kleinen Schösslingen in Jahrzehnten wieder Prachtbäume werden können.

Wer viel zumutet, muss die Betroffenen überzeugen. Kein störungsfreies Bauen ohne Vertrauen in die Verantwortlichen - dieses Prinzip sollten Politiker und Investoren im ureigensten Interesse beherzigen, nicht nur in Fürstenried. Sonst drohen juristischer Streit, Prozesse und Bürgerinitiativen.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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