Kommentar:Der Kulturstaat muss handeln

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Wie sich der Freistaat gegenüber seinen Lehrbeauftragten verhält, ist wohl rechtmäßig, aber verantwortungslos. Weil er jahrelang von ihnen profitiert hat - vor allem aber, weil sein kulturelles Fundament die Ausbildung beispielsweise junger Musiker ist

Von Jakob Wetzel

Bayern ist ein Kulturstaat, das fordert die Verfassung, und das lässt sich selbiger Staat auch etwas kosten. Davon zeugen nicht zuletzt die jüngsten Großprojekte für die Landeshauptstadt: der momentan auf 370 Millionen Euro veranschlagte neue Konzertsaal, das für mehr als 120 Millionen Euro sanierte Theater am Gärtnerplatz oder die millionenschweren Sanierungen wichtiger Museen. Für diese Leuchttürme der bayerischen Kulturlandschaft nimmt der Staat viel Geld in die Hand, und das zu Recht. Doch das ist nur die eine Seite.

Die andere ist: Der Kulturstaat ruht auf einem Fundament, nämlich auf der Ausbildung beispielsweise junger Musiker. Und hier, wo es nicht um prestigeträchtige Bauwerke geht, sondern um Menschen, konkret um oft vielfach preisgekrönte Pianisten, Sänger oder auch Violinisten, ist in den vergangenen Jahrzehnten ein akademisches Prekariat entstanden. Natürlich kann es nicht darum gehen, Konzertsäle und Lehrbeauftragte gegeneinander aufzurechnen, doch die Situation ist absurd. Hochqualifizierte Lehrbeauftragte halten in staatlichen Unis und Hochschulen vielfach als Billig-Dozenten her und genießen dabei keinerlei Sicherheiten. Streng nach dem Gesetz ist es dabei nicht immer zugegangen, aber der Kulturstaat Bayern hat das alles jahrzehntelang in Kauf genommen. Jetzt zieht er die Reißleine, und die Leidtragenden sind die Dozenten. Die Hochschulen müssen nun sicherstellen, dass Lehraufträge im Gegensatz zur lange üblichen Praxis wirklich nur Nebenjobs sind. Die Dozenten müssen im Zweifel mit weniger Stunden auskommen - und verdienen noch weniger als bisher.

Diese Entscheidung ist wohl rechtmäßig, aber sie ist verantwortungslos. Der Freistaat, die Universitäten und die Musikhochschulen sind den Lehrbeauftragten, die zum Teil sei Jahrzehnten in ihren Diensten stehen, verpflichtet. Wer jahrzehntelang davon profitiert, dass Lehrbeauftragte auf missbräuchliche Weise beschäftigt werden, wer dabei nicht nur deren Leistung gerne in Anspruch nimmt, sondern auch verglichen mit Professorengehältern viel Geld spart, der muss für die Folgen geradestehen. Mit einem nüchternen Verweis auf die Rechtslage und darauf, dass alles nie so weit hätte kommen dürfen, ist es nicht getan. Aller prestigeträchtigen Bauprojekte zum Trotz: Diese Haltung ist für einen Kulturstaat ein Armutszeugnis.

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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