Kommentar:Das Miteinander sollte wichtiger sein denn je

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Die Münchner Brauchtumsvereine zerstreiten sich über die Beteiligung des Jüdischen Museums an ihrer Weihnachtsausstellung. Das ist unsensibel und kleinkariert

Von Oliver Hochkeppel

Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine vergleichsweise junge Tatsache, und deren Erkenntnis noch deutlich jünger. Das Judentum indes ist seit Jahrhunderten ein integraler Bestandteil des deutschen Alltags und ein Grundpfeiler der deutschen Kultur- und Kunstgeschichte. Der Versuch, dies auszublenden, war die dunkelste Stunde der deutschen Geschichte. In eine historische Ausstellung über die "Weihnachtszeit in München" auch das jüdische Lichterfest Chanukka einzubeziehen, ergibt Sinn - verschmolz es doch als Weihnukka hierzulande früh mit dem christlichen Weihnachtsfest. Um 1910 feierten viele der 11 000 jüdischen Mitbürger von damals 590 000 Münchnern Weihnukka. Zudem gilt: Die Wurzeln vieler Bräuche der Weihnachtszeit reichen ohnedies weit zurück in vorchristliche Zeiten.

Wenn sich nun Münchens Brauchtumsvereine über die Beteiligung des Jüdischen Museums an ihrer Weihnachtsausstellung zerstreiten und sechs von acht aussteigen, ist das kein Grund, diese sehr heterogenen und kleinen Organisationen pauschal des Antisemitismus zu bezichtigen. Aber bedauerlich ist dieser mit der Corona-Krise bemäntelte Vorgang. Eine Dreiviertelseite Text und eine Vitrine über jüdische Traditionen zur Weihnachtszeit sollten in der Ausstellung gezeigt werden. Wenn das schon zuviel scheint fürs "typisch Münchnerische" und für die hinreichende Präsentation eigener Brauchtumspflege, versteht man plötzlich die herrschenden Vorurteile über die Brauchtumsvereine, sie seien Vereinsmeier und verstaubt. Sie hätten keine Lobby, beklagt Nadine Kagerer von den Münchner Krippenfreunden, "nicht mal im Kulturreferat". Umso mehr sollte man den Zusammenschluss suchen. Auch mit dem Jüdischen Museum. Dass das Miteinander Erfolg bringt und wichtiger denn je ist, zeigt etwa ein anderes Projekt: "ausARTen" vom Münchner Forum für Islam. Von der Stiftung EVZ und Kreuzbergs Initiative gegen Antisemitismus wurde es soeben mit dem Award for Jewish-Muslim Solidarity belohnt.

"Wir sterben alle. Die Jungen haben heute so viele andere Möglichkeiten, sich zu engagieren", bedauert Kagerer mit Blick auf die Brauchtumsvereine. Doch bei derart unsensiblen, kleinkarierten Aktionen wie sie zum Aus dieser Gemeinschaftsausstellung führten, darf sich keiner wundern, wenn eine junge, weltoffene Generation sich nicht mehr angezogen fühlt.

© SZ vom 01.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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