Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Bloß nicht alles auf Null stellen

Lesezeit: 1 min

Wer jetzt wie die Linke einen Baustopp für die zweite S-Bahn-Röhre fordert, führt eine Debatte, die eigentlich längst abgeschlossen ist. Das ist kein sinnvoller Beitrag zur Lösung der Münchner Verkehrsprobleme

Von Dominik Hutter

Eine Meisterleistung ist das nicht, was die Deutsche Bahn da in puncto zweite Stammstrecke abliefert. Die vierte Planungsvariante in Haidhausen, ein wie aus dem Nichts aufgetauchter Rettungsstollen, gravierende Änderungen am Hauptbahnhof, Mehrkosten, Verzögerungen. Und das nach einer Vorlaufzeit, die sich gewaschen hat: 2001, nach damals schon jahrelangen Variantendebatten, hat eine vergleichende Studie den Innenstadttunnel zum Sieger erklärt. 2001! Und 2028 sollen nun endlich die ersten Züge rollen.

Geht es nach den Linken, rollen sie nicht einmal 2028. Die seit eh und je tunnelkritische Partei fordert einen Baustopp. Stattdessen sollen Nord- und Südring ausgebaut werden. Ganz abgesehen davon, dass diese beiden Projekte eine verkehrlich völlig andere Aufgabe erfüllen würden als eine zweite Stammstrecke, die ja Direktverbindungen ins Stadtzentrum bei verbesserten Taktzeiten ermöglichen soll: Die Planung und Genehmigung der beiden Ringstrecken befindet sich nahe des Nullstadiums.

Beim Südring gibt es lediglich alte Vorüberlegungen als Stammstrecken-Alternative, beim Nordring eine Machbarkeitsstudie für eine Teilstrecke mit wenig ermutigenden Fahrgastprognosen. Es fehlen: eine belastbare Ingenieursplanung, ein Genehmigungsverfahren, die politische Debatte, die Finanzierung und natürlich die Beteiligung der Öffentlichkeit, bei der eines sicher ist: Der Ausbau einer oberirdischen Gleistrasse dürfte noch deutlich mehr Anwohnerproteste hervorrufen als ein Tunnel, der überwiegend bergmännisch aufgefahren wird.

Am Tunnel wird bereits gebaut. Zwar müssen die Genehmigungsverfahren noch einmal teilweise aufgeschnürt werden, weitere Mehrkosten und Verzögerungen sind trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht ausgeschlossen. Aber es gibt eine realistische Chance, das Ganze zumindest im nächsten Jahrzehnt fertigzustellen.

Was bei Nord- und Südring angesichts der üblichen Vorlaufzeiten nahezu ausgeschlossen ist. Man sollte sich darüber im Klaren sein: Wer jetzt noch unbedingt die zweite Röhre kippen will, stellt alles auf Null und versetzt das S-Bahn-System für zehn, zwanzig, vielleicht sogar 30 Jahre in einen Dornröschenschlaf. Kein Ausbau, keine Taktverbesserungen - dafür weiterhin Staus und Verspätungen. Und warum das alles? Um doch noch Recht zu bekommen in einer Variantendebatte, die längst abgeschlossen ist. Das ist kein sinnvoller Beitrag zur Lösung der Münchner Verkehrsprobleme. Es ist destruktiv.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4544636
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.