Kommen & Gehen:"Da wusste ich dann, was ein Popel ist"

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Javier Gil Morillas zog von Madrid nach München, um als Erzieher und Pfleger zu arbeiten. Deutsch lernte er von den Kindern - und auf dem Fußballplatz

Interview von Elisa Schwarz, München

Javier Gil Morillas,30, studierte Sozialpädagogik in Madrid und arbeitete anschließend als Streetworker. Als sein Vertrag gekürzt wurde, schmiss er hin und fuhr durch Europa, mal was anderes sehen. 23 war er da. In Freiburg blieb er hängen, putzte zuerst in einem Hotel und bewarb sich später als Pfleger in der Münchner Arbeiterwohlfahrt. Wehe, du ziehst nach München, sagten seine Freunde. Er machte ein Foto von der "Münchner Volksbank", schickte ihnen das Bild und antwortete: sorry.

SZ: Was hat München, was Madrid nicht hat?

Javier Gil Morillas: Die Wege hier sind sehr kurz. Egal, wo man sein will, man braucht nur 20 Minuten mit der Bahn. In Madrid muss man meistens lange fahren und fährt durch ganz unterschiedliche Viertel, vorbei an Villen, und Sehenswürdigkeiten aber auch durch ärmere Viertel - es ist so, als gäbe es mehrere Städte in einer Stadt.

München ist ja auch etwas kleiner.

Ja, man fühlt sich hier überall zu Hause. Aber trotzdem fehlt mir etwas, und zwar die kleinen Bars. In München verabredet man sich zwar auch in Kneipen, die sehen dann aber eher aus wie Restaurant - Speisekarte, Reservierung, Treffpunkt 20 Uhr. In Madrid geht man spontan um die Ecke, trinkt ein Bier im Stehen, quatscht ein bisschen und weiter gehts.

Was war für Sie ein prägendes Erlebnis in München?

Ich habe in München zuerst als Erzieher in einer Kinderkrippe gearbeitet. Das war total toll - einmal kam ein Mädchen zu mir und meinte: Guck mal, ich hab hier einen Popel. Da wusste ich dann, was ein Popel ist. Und oft haben meine Kolleginnen zu den Kindern gesagt, dass sie goldig sind oder schnuckelig. Als ich anfing, beim MSV Schleißheim Fußball zu spielen, stand ich am Spielfeldrand und brüllte: "Die Flanke, die war so schnuckelig, Mann, bist du goldig!"

Javier Gil Morillas fühlt sich in München überall zu Hause. Aber trotzdem fehlt ihm etwas: die kleinen Bars, wie er sie aus Spanien kennt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das fanden bestimmt alle ganz niedlich.

Na ja, in der Umkleide haben mir dann die Jungs gesagt: Javier, du musst damit aufhören, was denkt der Gegner denn. Aber so lernt man Deutsch - am Leben, nicht am Schreibtisch.

Was machen die deutschen Fußballer denn besser als die spanischen?

Sie haben mehr Disziplin. Bis zur 95. Minute wird verteidigt, sonst kriegt man Ärger. Als ich noch in Madrid gespielt habe, war das anders, da haben wir aufgehört, wenn wir keine Lust mehr hatten.

Sie haben in Spanien als Streetworker gearbeitet. Was haben sie damals über Menschen gelernt?

Ich habe mich in Madrid um Obdachlose gekümmert, habe sie gezählt, war mit ihnen Kaffee trinken, hab ihnen gezeigt, wo sie schlafen und duschen können. Einmal waren wir sogar bei einer Fußballweltmeisterschaft für Obdachlose in Paris, da sind wir dann alle zusammen hingeflogen. Ich glaube, man lernt, Menschen zuzuhören und empathisch zu sein.

Jetzt sind Sie Koordinator der gerontopsychiatrischen Wohngruppe der AWO-Hasenbergl. Wie unterscheidet sich die Pflege in Spanien von der in Deutschland?

Zum einen ist der Pflegeberuf in Spanien akademisiert. Manche Pfleger, die nach ihrem Studium nach Deutschland kommen, fühlen sich unterfordert, weil sie merken: Hier entscheiden Pfleger viel weniger als in Spanien. Zum anderen sind die Pflegeheime in Deutschland etwas kleiner. Wir haben hier im AWO-Dorf Hasenbergl ungefähr 170 Bewohner, in Madrid können es schon auch mal 400 sein.

Wie wirkt sich das auf die Bewohner aus?

Mit kleineren Gruppen können wir natürlich viel persönlicher arbeiten. Eine Bewohnerin macht sich zum Beispiel gerne hübsch und freut sich dann total, wenn man sich Zeit nimmt und sagt: "Sie sehen heute wirklich toll aus." Oder sich auch die Sorgen der Bewohner anhört - ein kaputter Fernseher, bei dem nur aus Versehen das Programm verstellt wurde. Klar erkläre ich ihnen dann auch, warum er nicht kaputt, sondern nur verstellt ist. Meistens geht es ja darum, einfach mal zuzuhören. Meine Oma wohnt in einem größeren Pflegeheim in Madrid. Das Gefühl, in einer Fabrik zu wohnen, ist da viel höher. Sie beschwert sich manchmal, dass die Pfleger so wenig Zeit haben.

Haben Pflegekräfte ein anderes Image als in Deutschland?

Nein, da gibt es keine großen Unterschiede. Ein Pfleger in Spanien verdient ungefähr gleich viel. Und auch dort ist es so, dass alle den Beruf wichtig finden, aber trotzdem die Wertschätzung fehlt - manchmal auch von Angehörigen.

Was haben ihre Freunde in Spanien gesagt, als Sie nach München gezogen sind?

Die haben gesagt: Javier, nein, bitte zieh nicht nach München! Die fanden München doof, weil sie den FC Bayern nicht mögen. Als ich hier ankam, hab ich ihnen ein Foto geschickt von der Münchner Volksbank und geschrieben, sorry, da müsst ihr durch. Ich bin jetzt irgendwie Münchner.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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