Spätestens seit Doris Dörries Bestseller "Leben, schreiben, atmen" weiß man, dass Erinnerungen den kreativen Wörterfluss initiieren und intensivieren können. In ihrem neuen Werk "Die Welt auf dem Teller" schöpft die Autorin und Filmemacherin aus dem Vollen. In den elegant-verschmitzten Miniaturen über Lieblingsgerichte und Geschmacksverirrungen, über Ernährungsphilosophien und Rituale aus aller Welt erinnert sich Dörrie beispielsweise an die kindlichen Glücksgefühle beim Abknabbern der Brotkruste oder beim Herausschälen von Erbsen ("ploppploppplopp"); sie erinnert sich an das Gefühl der Dankbarkeit bei Grünem Tee aus dem Automaten und Porridge mit einer Prise Salz.
Dabei schreibt sie zauberhafte Sätze wie: "Ich bin mit Herrenschokolade groß geworden wie andere mit Muttermilch", oder: "Wir sind, was wir essen, aber wir sind auch, wie wir kochen." Einmal mehr zeigt der bekennende "Pasta-Lover" und Fan von Reisbällchen mit salziger Pflaumenfüllung, wie geschmack- und gehaltvoll Häppchen sein können, Texthäppchen. Die 48 Kolumnen, farbstark und reduziert illustriert von Zenji Funabashi, erschienen zuerst in der Zeitschrift Essen & Trinken, in den vergangenen vier Jahren. Dörries Mikrokosmen im Makrokosmos des Genießens reichen vom Kalbshirn-Trauma ("Ich esse fast alles - außer Hirn"), über die Lieblingskartoffel Linda bis zum Sauerteig namens Hermann.
Doris Dörrie: Die Welt auf dem Teller - Inspirationen aus der Küche. Kolumnen, Diogenes Verlag, Zürich 2020, 208 Seiten, 22 Euro