Ärger am Waldfriedhof:Haarspray gegen Grabschänder

Ärger am Waldfriedhof: Schaut der Engel auch deshalb so traurig, weil er ahnt, was den Blumen im Waldfriedhof womöglich bald droht?

Schaut der Engel auch deshalb so traurig, weil er ahnt, was den Blumen im Waldfriedhof womöglich bald droht?

(Foto: Catherina Hess)

Die Blumen, die auf dem Waldfriedhof zur Erinnerung aufgestellt werden, haben einige zum Fressen gern.

Kolumne von Rudolf Neumaier

Georg hat sich immer gewundert. Und geärgert. Alle paar Wochen kam er ans Grab seiner Tante im Münchner Waldfriedhof - und immer sah es aus, als hätten Verrückte ihr Unwesen getrieben. Blumenhasser vielleicht. Oder Blütendiebe, die den Blumen die Köpfe abrissen, um daheim damit die Badewanne zu dekorieren oder den Fernseher. Es gibt ja nichts, was es nicht gibt in einer so großen Stadt. Georg war ratlos. Er ist ein alter Freund aus der Schule, jüngstes von fünf Kindern einer Bauernfamilie aus dem kargeren Teil der Oberpfalz, in München hat er's zu etwas gebracht. Arbeitet als Lehrer an einer katholischen Schule. Wenn er Tante Liesls Grab besucht, weiß er, was sich gehört. Auf dem Weg dorthin besorgt er Blumen. Meistens Rosen.

Die Tante war eine feine Frau. Als ehemalige Caritas-Schwester ist sie auf dem Waldfriedhof umgeben von Barmherzigen Brüdern, Nonnen und Prälaten. Und ausgerechnet in den Parzellen dieser frommen Gemeinschaft sind Grabschänder unterwegs.

Das Rätsel löste sich auf, als Georg vergangene Woche wieder ins Blumengeschäft ging. Ob die Blumen für den Waldfriedhof bestimmt seien, wollte die Floristin wissen, weil sie dann gleich Haarspray draufsprühe. Haarspray? Drei-Wetter-Taft vielleicht? Aha, die Floralbarbaren ertragen es wohl nicht, wenn ihre zarten Opfer kleben. In welcher Welt leben wir eigentlich, wenn wir Grabblumen schon mit Haarspray schützen müssen, dass sie riechen wie Reihe fünf im Nationaltheater-Parkett, wo die blondierten Betonfrisuren abonniert sind und rundherum Asthma-Attacken auslösen mit ihren Taftemissionen? Die Blumenhändlerin klärte Georg auf. Das sei nur gegen die Rehe, die seien ganz wild auf solche Blumen. Er stimmte dem Einsatz chemischer Abwehrmittel zu.

Im Waldfriedhof gibt es also eine Reh-Population. Je blühender der Sepulkralschmuck, desto unwiderstehlicher ist er als Äsung. Von diesen Tieren weiß man, dass sie extrem gern naschen, viel feinschmeckerischer noch als jeder Hirsch und Hase. Der Jäger nennt sie Konzentratselektierer: Sehr gern zuzeln sie an den energiereichen Knospen der Leittriebe junger Bäume. Was wiederum viele Waldbesitzer auf die Palme bringt, die am liebsten alle Rehe zu Ragout verarbeiten würden, statt ihre Jungbaumplantagen einzuzäunen - oder mit Haarspray zu behandeln. Allein die Rehe als wildbiologisch anerkannte Schlüpfer und Drücker verstecken sich meisterhaft. Der verwinkelte Waldfriedhof bietet paradiesische Deckung, die Jagd ruht.

Wer ein Reh zu Gesicht bekommt, den können Anmut und Liebreiz verzaubern. Sein zoologischer Name Capreolus capreolus spricht sowieso für sich. Das Bundesjagdgesetz sieht vor, dass die von Rehen angerichteten Verbiss-Schäden zu ersetzen sind. Doch der fragliche Paragraf hat Lücken: Er umfasst weder Friedhöfe noch Grabblumen. Sonst käme Georg auf einen schönen Betrag. Seine Tante schätzte Blumen, den Rehen hätte sie aber ein paar Blüten gegönnt. Zehn Rosen ohne und zehn mit Haarspray, das wäre vielleicht ein Kompromiss.

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